Premiere am 4. 5. 2019
Der neue dreiteilige Abend des Staatsballetts ist kontrastreich und dürfte in den Repertoireaufführungen mit geteilten Publikumsreaktionen aufgenommen werden. Die Premiere am 4. 5. war ein einhelliger Erfolg, was freilich nichts aussagt, denn im Saal saßen viele Anhänger und Freunde der beteiligten Künstler. Am Beginn stand ein Klassiker von George Balanchine – Theme and Variations auf den letzten Satz von Tschaikowskys Suite für Orchester Nr. 3 G-Dur op. 55, uraufgeführt 1947 beim New York City Ballet. Das Stück ist eine Hommage an den Großmeister des klassischen Balletts, Marius Petipa, indem es das Bewegungsvokabular dieser Gattung vorführt. Dies gestaltete sich als eine Demonstration von Eleganz und Präzision auf der leeren, nur mit drei Kristall-Lüstern geschmückten Bühne. Von bestechender Wirkung sind Elsie Lindströms hinreißend schöne Kostüme in hellgrauen, bläulichen und silbernen Farbtönen. Im Mittelpunkt steht ein Solopaar, das mit Maria Kochetkova a.G. und Daniil Simkin nur zur Hälfte ideal besetzt war. Denn so reizend die Russin in der kürzlich gezeigten Sylphide wirkte, so fremd schien sie in diesem Idiom, das hoch gewachsene, langgliedrige Ballerinen verlangt.
Ihre flinken Pirouetten und die graziöse Variation kamen nicht genügend zur Geltung durch ihren geradezu untersetzt wirkenden Körper. Ganz anders der neue Erste Solotänzer der Compagnie, der mit federleichten und hohen Sprüngen brillierte. Der finale Pas de deux bei reduziertem Licht (Perry Silvey) atmete wunderbare Abendstimmung und Simkin konnte hier mit mühelosen Hebungen der Partnerin noch einmal seine Klasse demonstrieren. Umgeben ist das Paar von vier Solistinnen (Iana Balova, Cécile Kaltenbach, Krasina Pavlova, Luciana Voltolini) und dem Corps de ballet, die für immer wieder neue und attraktive Formationen sorgen. Paul Connelly leitete mit erfahrener Hand die Staatskapelle Berlin, die sich danach schon verabschiedete, denn die nächsten beiden Darbietungen wurden von eingespielten Klangcollagen begleitet. Das dürfte eher die jüngere Generation begeistern, die derart monotone und stupide Exzesse cool finden mag. Ältere Zuschauer, zu denen ich mich zähle, empfinden sie doch als Zumutung und enervierend.
The Second Detail von William Forsythe stammt aus dem Jahre 1991 und erlebte seine Uraufführung 1991 beim National Ballet of Canada. 2006 wurde die Choreografie erstmals beim Staatsballett gezeigt, schon damals auf Thom Willems’ irritierende Geräuschkulisse. In einem weiß ausgeschlagenen Raum agieren die Tänzer in hellen Trokots (Yumiko Takeshima) und absolvieren ein ähnliches Bewegungsmaterial, wie es Balanchine verordnet. Der Tanz ist temporeich, streng symmetrisch und sehr auf Geometrie bedacht, bietet am Ende noch ein attraktives Bild, wenn eine Tänzerin in extravagantem weißem Kleid (entworfen vom Modedesigner Issey Miyake) alle Blicke auf sich zieht.
Mit einer Uraufführung endete der Abend – Oval vom amerikanischen Choreografen Richard Siegal, der auch das Objekt entwarf, welches optisch die dunkle Bühne bestimmt. Es ist ein in der Höhe schwebender Ring, der digitale Lichtfelder und -raster aufweist, auch in grünen oder roten Farben leuchtet, kreisen oder gekippt werden kann. Die Tänzer in hautengen, körperfarbenen Latex-Trikots (UY Studio), darunter Elisa Carrillo Cabrera, Ksenia Ovsyanick, Vladislav Marinov, Ross Andrew Martinson, Federico Spallitta, Dominic Whitbrook, Lucio Vidal, Vahé Martirosyan), ähneln Außerirdischen, finden immer wieder zu neuen Duett-Formationen. Ein Männertrio, das sich umkreist und in bizarren Posen verbindet, fällt besonders auf. Die Klangfolie ist ein Auftragswerk und stammt von Alva Noto – brummende, elektrisch knisternde, glucksende Geräusche, die ermüden und das Ohr des Zuschauers auf eine harte Probe stellen.
Bernd Hoppe 7.5.2019
Bilder (c) Staatsballett