Comedia Köln, 05.02.2022
Ein faszinierender Blick auf eine Zukunft, die es nie gegeben hat
Es war der Schrecken des Weltkrieges – später hat man ihn den Ersten Weltkrieg genannt – der viele Künstler in Europa veranlasst hat, die bestehenden Strukturen zu hinterfragen und nach neuen Konzepten für ein friedliches Miteinander zu suchen.
Der tschechische Schriftsteller Karel Čapek löst diesen Friedenswunsch in seinem 1920 erschienenen Drama R.U.R – Rossum´s Universal Robots durch den gedanklichen Versuch ein, die im marxistischen Sinne entfremdeten Menschen in ihren repetitiven Tätigkeiten im Bereich der Massenproduktion von ihrem Joch zu befreien und sie ewigem Genuss und Glückseligkeit in einer von Arbeit befreiten Welt zuzuführen. Die notwendige Arbeit soll statt dessen von (im heutigen Sprachgebrauch) Androiden erledigt werden, einer Art seelenlosen Maschinen-Menschen für die Čapek den von seinem Bruder geprägten Begriff des ‚robota‘ (Fronarbeiter) übernahm, und die Bezeichnung des Roboters prägte.
So sehr die Menschen jedoch nach Individuation und Einmaligkeit streben, so ist ein Leben langfristig nur unter Ähnlichen und Gleichen vorstellbar. Und so ist es Helena, die Tochter des Fabrikbesitzers Rossum, die die empfindungs- und willenlosen Existenzen der Roboter nicht erträgt, und ihnen heimlich eine Seele einpflanzt. Die dadurch ihrer Existenz bewussten und zum Leid befähigten Roboter erheben sich in einem blutigen Aufstand gegen ihre menschlichen Unterdrücker und vernichten – bis auf einen Wissenschaftler – die gesamte Menschheit.
Ist dem Menschen der Tod vorbehalten, so droht dem Roboter der Verschleiß, so daß das Fortbestehen der Existenz der Roboter davon abhängt, dass ihre Reproduktion gewährleistet ist.Dazu bedarf es jedoch einer Formel, die beim Aufstand der Roboter verloren gegangen ist. Alquist, Wissenschaftler und letzter lebender Mensch, wird von den beiden Robotern Helena und Primus festgehalten, damit er die Formel rekonstruiert. Es wird ihm nicht gelingen.
Hier endet Capeks Drama, dass in der Rezeption Blaupause für etlichen Science-Fiction Werke des 20. Jahrhundert wurde, und den tschechischen Komponisten Jan Jirásek 1977 zu seiner zweiten und letzten Oper R.U.R. inspirierte.
Im Januar und Februar 2022 inszenierte das Künstlerduo Gamut Inc, das sich aus der Computermusikerin Marion Wörle und dem deutsch-polnischen Komponisten Maciej Śledziecki zusammensetzt, in Zusammenarbeit mit dem RIAS Kammerchor eine musikalische Neubearbeitung des Theaterstücks Rossums Universal Robots am Theater im Delphi in Berlin und am Comedia Theater in Köln (Premiere: 05.02.2022), aus Anlass des 101-jährigen Jubiläums der Uraufführung der literarischen Vorlage. Librettist der Neufassung ist der Autor Frank Witzel.
Die Handlung dieser Roboter-Oper beginnt, nachdem die Drama-Handlung endet: Wir befinden uns in Alquists Labor, in dem Alquist mit den beiden Robotern Helena und Primus unterschiedlichste Gedanken und Konzepte zu Mensch und Maschine sowie zur Seele verhandeln. Hatte Wagner den Einzug nach Nibelheim als Abbild einer industriellen Arbeitshölle in eine industrielle Klangkulisse mit hämmernden Ambossen gekleidet, so lässt Marion Wörle einen ähnlichen Effekt durch die repetitiven Elemente ihrer Musik-, besser jedoch: Geräusch-Maschinen entstehen.
Dieses Muster der fast schon quälenden Wiederholungen überträgt Maciej Śledziecki auch auf die Einspielungen des Chors (RIAS Kammerchor) dessen Gesang die Eintönigkeit industrieller Arbeitswelten für Sänger und Zuhörer erlebbar macht. Wird Charlie Chaplin in seinem Film Moderne Zeiten noch vom Fließband seiner Factory Work mitgerissen und von den Zahnrädern der unüberschaubaren Produktionsmaschine verschluckt, so sind es bei der Oper R.U.R. sieben automatisierte Scheiben von Nina Rode, die mit ihren stroboskopierenden Effekten einen nahezu hypnotischen Effekt durch die ewige Repetition eines seelenlosen Produktionsprozesses darstellen.
Satz- und Sprachfetzen, sowohl vom Chor, als auch von Gina May Walter (Sopran) und Georg A. Bochow (Coutertenor) vorgetragen, wirken in ihrer Zusammenhanglosigkeit dadaistisch. Die Stimmen der beiden Sänger werden über Mikrofone verstärkt, was ihren künstlichen und mechanischen Charakter unterstützt.
Warum jedoch auch Patric Schotts Stimme, Schauspieler und Darsteller von Alquist, elektronisch verstärkt wird, erschließt sich nicht. Stimmlich wäre er jedenfalls problemlos in der Lage, sich im Grünen Saal der Comedia Köln gehör zu verschaffen.
Die beiden Darsteller der Roboter ahmen in ihren Bewegungsabläufen Elemente der Meyerholdschen Biomechanik nach, die ebenfalls in den 1920er Jahren entwickelt wurde und die Technikfaszination der damaligen Zeit wieder spiegelt. Durch genau definierte Bewegungsstrukturen und Körperhaltungen soll die Physiologie des Handelnden die seelische Verfassung der gespielten Figur bestimmen.
Den Kontrapunkt zu diesen in festen Stereotypen verhafteten, künstlichen Bewegungsabläufen bildet eine schwarze schattenhafte Gestalt (Ruben Reniers), die inneres Erleben durch Ausdruckstanz vermittelt, und deren Kostüm an Oskar Schlemmers Triadisches Ballett aus den 1920er Jahren erinnert.
Mit dem Schöpfungsmythos der Bibel ist das Problem der Theodizee verbunden: Wenn ein guter und vollkommener Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat, wie kann dann das Böse in der Welt erklärt werden? Eine wichtige theologische Frage nach den Schreckenserlebnissen des ersten Weltkrieges. Und warum hat Gott den Menschen überhaupt geschaffen?
Entstand das Böse, weil Gott die Schöpfung misslang oder weil zur Vollkommenheit seines Abbildes eben auch der freie Willen gehört, der sich, sobald er dem göttlichen Abbild einmal eingehaucht war, verselbständigte und von der göttlichen Vollkommenheit entfernte? fragt der Librettist Frank Witzel.
Schöpfungen nach dem eigenen Ebenbild beinhalten immer das Problem, dass die Schöpfung entweder mißlingt, so dass das Ergebnis im Grunde verzichtbar ist, oder in ihrer Qualität den Schöpfer selbst übertrifft, was den Schöpfer überflüssig macht.
Die Oper R.U.R. – Rossum´s Universal Robots stellt verständlicherweise mehr Fragen, als sie selbst beantworten kann. In der Intensität des musikalischen Erlebens und der Eindringlichkeit der Bilderwelt entsteht ein emotionsgeladenes Ganzes, dass den Zuschauer in hohem Maße fordert.
Ein lohnender Abend, der jeden Betrachter, der einen Zugang zu diesem intensiven Bühnengeschehen findet, in hohem Maße bereichert.
Das erschöpft erscheinende Publikum der ausverkauften Kölner Premiere spendete am Ende der 60minütigen Aufführung reichlich Beifall.
Eine Zuschauerin fasste die Eindrücke des Abends bei Verlassen des Saales einschränkend für sich zusammen: „Also, für Jeden war das hier heute Abend auch nicht das Richtige…“
Aber für Manche war es das schon!
Ingo Hamacher, 6.2.22
Bilder (c) Comedia Köln