2016 9.7.2018
Gürzenich-Orchester
Francois-Xavier Roth (Leitung), Emmanuel Pahud (Flöte)
Bei einem Konzert pflegt man gerne nach Gemeinsamkeiten zwischen den gebotenen Werken, nach inneren Zusammenhängen zu forschen, seien sie thematischer oder stilistischer Natur. Bei den Kölner Gürzenich-Konzerten bietet der regelmäßige Opening-Text des Programmheftes (“Das Konzert auf einen Blick“) oftmals Erhellendes. Bei Felix Mendelssohns „Hebriden“-Ouvertüre und Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie wurde das Prinzip der Programmusik angesprochen. Das uraufgeführte Flötenkonzert „Saccades“ von Philippe Manoury ließ sich unter diesem Stichwort freilich nicht vereinnahmen. Folgende Bemerkungen sind also unverbindliche persönliche Gedankensplitter. Das Flötenkonzert widmet sich in Gänze einem speziellen Instrument. Die „Hebriden“ enden – genialer Einfall des Komponisten – auf einem hohen unbegleiteten Flötenton. Für seine „Schicksals“-Sinfonie, wo dem Instrument im Andante einige periphere, gleichwohl deutlich vernehmbare Passagen gegönnt sind, setzt Beethoven im Finale die von ihm sonst nie verwendete Piccoloflöte ein.
Obwohl das Manoury-Konzert ein gemeinsames Auftragswerk des Gürzenich-Orchesters, des Orquesta Sinfonica do Estado de Sao Paulo, des Orchestre Philharmonique de Radio France und der Tokyo Opera City Cultural Foundation ist, hatte die Uraufführung in der Kölner Philharmonie unter Francois-Xavier Roth eine besondere lokale Bedeutung. Die Aufführung Konzert bildete den Schlußteil der „Kölner Trilogie“, welcher Manourys Orchesterstücke „Ring“ und „In situ“ vorausgingen. Eine Besonderheit bei diesem Werken war die Orchesteraufstellung. „Ring“ (2016) verwirklichte das im Wortsinn. Die Zuhörer schienen von einzelnen Instrumentengruppen regelrecht um“ringt“, die kommunikative Zielsetzung seines Werkes unterstrich der Komponist zudem dadurch, daß er die anfänglichen Publikumsgeräusche sich mit der eigentlichen Musik verzahnen ließ. Ähnliches gilt, freilich nicht ganz so aufwendig, auch für „In situ“ (2016), wo es genauso wichtig ist, wo „die Klänge herkommen wie die Klänge selber“, so der 1952 geborene Komponist. Die Gruppierung beim Flötenkonzert hingegen ist konventionell. Als Besonderheit der Besetzung fiel freilich auf, daß im reich besetzten Schlagzeugarsenal die Pauken fehlen.
Gemeinhin gilt die Flöte als lyrisch edles, fast sogar elysisches Instrument. Das ignoniert Manoury ostentativ. Gleich die ausgedehnten Anfangssoli erfordern ein Spiel mit Flatterzunge, und an hochgetriebenen, gepreßten, schneidenden Tönen herrscht in der Folge kein Mangel. Erstaunlich die weitgehende Dezenz des Orchesters; zunächst schleicht es sich in das Werk mit leisen Streichertremoli regelrecht hinein. Man empfindet sogar Assoziationen zu den klanglichen Nebelschwaden der „Hebriden“-Ouvertüre. Später sorgen helle Stabspiele und Schellen für sanftes Klangschweben. Insgesamt wird das Orchester zurückhaltend eingesetzt, dominiert gerade mal im zweiten der fünf Abschnitte.
Der Flötenpart mit seinen extremen Techniken ist eine tour de force. Das verwirklicht im Grunde nur ein Ausnahmemusiker. Emmanuel Pahud ist ein solcher. Er spielte das ihm gewidmete Werk mit immenser Energie und zirzensischer Virtuosität – ein fast schon dämonischer Interpret ohne Furcht und Tadel. Die zweifellos vorhandenen Anstrengungen ließ er kaum spüren.
Übrigens hat sich Manoury eine kleine Kapriole erlaubt. An einer Stelle nahm Francois-Xavier Roth, selber ausgebildeter Flötist, eine Piccolo in die Hand und duettierte mit dem Solisten. Vor einiger Zeit hatte er sich im Zugabenteil eines Konzertes auch als Chansonnier präsentiert. Womit wird man ihn noch erleben? Der Musik des von ihm hochgeschätzten Manoury war er ein souveräner Anwalt, und die Gürzenich-Musiker konnten sich auf seine exakten gestischen Weisungen uneingeschränkt verlassen. Die lokalen Rezensionen beurteilten das Manoury-Werk übrigens recht unterschiedlich.
Schon ein dezentes Crescendo der Trompeten zu Beginn der „Hebriden“-Ouvertüre hatte angedeutet, daß Roth der bestens vertrauten Musik individuelle Farbtupfer entlocken würde. Das Dur-Thema in den Celli geriet ausgesprochen sämig und volltönend, Übergänge wurden dynamisch sensibel gestaltet. Insgesamt erlebte man eine klanglich reich illustrierende Interpretation. Mendelssohns geniale Musik gibt sie freilich vor.
Foto Fischnaller / Phil Köln
Christoph Zimmermann (11.7.2018)