Klassisch-romantisch
Im Jahr 1809, als Joseph Haydn starb, wurde Felix Mendelssohn geboren. Dies ist eine (freilich belanglose) Klammer bei den rahmenden Werken im jüngsten Konzert des Kölner Kammerorchesters. Bei seiner Ouvertüre „Das Märchen von der schönen Melusine“ hatte Mendelssohn, einem Besuch von Conradin Kreutzers Oper „Melusina“ nachsinnend, angemerkt: „Da bekam ich Lust, auch eine Ouvertüre zu machen, nach der die Leute nicht da capo riefen, aber die es mehr inwendig hätte.“ Dieses Zitat im Programmheft dürften die Konzertbesucher wohl kaum gelesen haben, denn sie frönten indolentem Zwischenbeifall mehrfach. Nach dem ersten Satz von Ludwig van Beethovens Violinkonzert mochte er – da sehr ausgedehnt – der Leistung von Clara-Jumi Kang gegolten haben. Nach dem Introduktionssatz von Joseph Haydns Sinfonie Hob. I:102 aber war es aber nur noch eine Gewohnheitsreaktion. Kurz und leise tröpfelte es auch nach dem Menuett. Bei Mendelssohn war nichts falsch zu machen, denn die Ouvertüre ist ja durchkomponiert. Diese Anmerkungen mögen nicht als besserwisserische Hinweise verstanden sein, aber manchmal muß man sich gegen fatale Reaktionen einfach zur Wehr setzen.
Beethoven und Haydn entsprachen der klassischen Programmlinie, welche das Publikum schätzt und an welcher KKO-Chef Christoph Poppen nicht vorbei kommt. Daß er vorsichtig auf fortschrittliche Änderungen sinnt, hat er verschiedentlich bekundet. Insofern wird ein Konzert im Februar des nächsten Jahres von Bedeutung sein, wenn nämlich Christoph Prégardien u.a. mit Gustav Mahlers Gesellen-Liedern aufwartet.
Melusine gehört als Nixe zu jenen Zwischenwesen, deren Existenz an das Wasser gebunden sind, die jedoch zu einer beseelten Existenz in der Menschenwelt streben. Doch solche Hoffnungen erweisen sich immer wieder als trügerisch. Melusine (oder auch Undine oder Rusalka) kehrt enttäuscht in ihr nasses Lebenselement zurück. Auf dieses finale, traurige Moment verzichtet Mendelssohns Konzertouvertüre. Sie schildert vielmehr Momente des anfänglichen Glücks, kontrastiert das wellenartige Melusinen-Motiv mit dem heldischen Charakter ihres geliebten Ritters. Die reichen Emotionen dieser wunderbaren Musik (was wäre bei Mendelssohn eigentlich nicht wunderbar?) holte Christoph Poppen aus dem klangwilligen Orchester bezwingend hervor. Zwei, drei unstete Takte des Beginns müssen korrekterweise erwähnt sein, waren freilich ohne Belang für die insgesamt feingetönte Interpretation.
Die einleitenden Paukenschläge von Beethovens Violinkonzert geben meist einen ersten Hinweis auf die Gesamtinterpretation des Werkes. Unter Poppen erklangen sie zurückgenommen und weich. Eine gewisse Dezenz prägte dann in der Tat den gesamten ersten Satz. Diesem Trend schloß sich Clara-Jumi Kang an (sie studierte u.a. bei Poppen), bot dabei Filigranes vielleicht etwas einseitig. Etwas mehr Nachdruck, etwas weniger Verhaltenheit hätte der Musik gut getan. Umso erfüllter erklang das warmherzige Larghetto. Hier wartete die die junge koreanische Geigerin mit großartiger Klangintimität auf, ausgedehnt bis in extreme Höhenlagen hinein. Im finalen Rondo offerierte die Geigerin dann freilich moussierendes Giocoso-Temperament, bestens unterstützt vom KKO, welches Christoph Poppen animierend steuerte. Historisches nota bene: Mendelssohn dirigierte das Konzert 1844 in London, Solist war der zwölfjährige Joseph Joachim, nachmaliger Brahms-Freund.
Die Sinfonie Hob. I:102 ist einmal mehr Zeugnis für die individuelle, immer wieder mit geistreichen Überraschungen aufwartende Kompositionsweise Haydns, wie sie sich beispielsweise in der schweifenden Harmonik des Adagio manifestiert. Den Reichtum der Musik ließ Christoph Poppen mit seinem sehr animiert spielenden Orchester ausgesprochen lustvoll spüren.
Christoph Zimmermann (3.6.2018)