CD: „Schumann – Die innere Stimme“ Hörbiographie von Jörg Handstein

Vor 40 Jahren kam Peter Schamonis Film „Frühlingssinfonie“ in die Kinos; Herbert Grönemeyer spielte den jungen Robert Schumann und tatsächlich sämtliche Klavierstücke selbst. Nastassja Kinski war als Clara zu sehen, ihren mißgünstigen Vater Friedrich Wieck gab Rolf Hoppe. Ab dieser Zeit konzentrierte sich Grönemeyer zunehmend auf die Musik und man hat beinahe den Eindruck, als sei es dieser Film gewesen, der den Schauspieler vom Film weg zu seiner eigentlichen Karriere als Musiker gebracht hätte. Verstärkt wird dies durch ein Zitat des jungen Schumann anläßlich eines Konzerts, bei dem er feststellte, die Menschen seien „wie eine träge Herde Kühe, schauen kurz auf und grasen dann gemütlich weiter“. Diese Bemerkung integrierte Grönemeyer n seinen Song „Jetzt oder nie“ auf dem Album „4630 Bochum“, das im Folgejahr, also 1984, herauskam.

Den sensiblen, angreifbaren Robert Schumann verkörperte Grönemeyer absolut glaubhaft, ebenso wie den trotzigen, selbstbewußten Mann, der um Anerkennung kämpft. Eine Polarität, ja ein wohl für ihn selbst und dann seine Familie am schwersten zu ertragender Spannungsbogen, zieht sich durch das ganze Leben Schumanns. Diesen Aspekt und alle anderen, die für ein Erfassen von Mensch und Werk notwendig und weiterführend sind, beleuchtet die bereits 2018 erschienene, aber nach wie vor unbedingt empfehlenswerte Hörbiographie von Jörg Handstein, „Schumann – Die innere Stimme“ aus der Reihe „BR Klassik“.

In früheren Schumann-Biographien wird gerne von geistiger Umnachtung gesprochen, wenn es um seine psychische Erkrankung und die Hintergründe seiner Einlieferung in die vom Psychiater Franz Richarz eingerichtete „Anstalt für Behandlung und Pflege von Gemütskranken und Irren“ in Endenich nahe Bonn geht. Hinter diesem Euphemismus verbirgt sich einerseits das weihevolle Umschreiben einer massiven Erkrankung – bei einem der Heroen der romantischen Musikliteratur haben sich nüchterne Diagnosen offenbar immer irgendwie unpassend angehört – und andererseits blanke Unkenntnis. Das liegt naturgemäß an der seinerzeit noch kaum entwickelten Psychiatrie und Psychologie und die Methoden der damaligen modernen Vorreiter (man denke nur an Autenrieths Behandlung Hölderlins) lassen heutigen Fachkräften die Haare zu Berge stehen.

Sehr wahrscheinlich hat die progressive Paralyse infolge einer Syphilis-Erkrankung zu einer zunehmenden Schädigung von Schumanns Hirn geführt, aber die in der Hörbiographie verwendeten Quellen aus der Kindheit des Komponisten lassen auch an eine tieferliegende Disposition denken. Es gibt frühe Anzeichen psychischer Irritationen und einer familiär bedingten Anlage. So litt Schumanns Schwester Emilie unter massiven Depressionen und beging Suizid. Dem Jugendfreund Emil Flechsig war aufgefallen, daß Schumann sich dessen gewiß war, „ein berühmter Mann zu werden – worin berühmt, das war noch sehr unentschieden, aber berühmt unter allen Umständen“. War das ein Drang zum Ruhm ohne wirklichen Plan? In Handsteins Ausführungen wird deutlich, daß sich bereits in Kindheit und Jugend ganz wesentliche Anlagen zeigten, die sich später auswachsen sollten.

„Musik ist die höhere Potenz der Poesie“, fand Schumann, der ausgesprochen belesen war, und so fand er einen Weg, seine innere Stimme klingen zu lassen und das, was in ihm sprach, in Töne zu fassen.

Daß auf diesem Lebensweg gerade in den frühen Erwachsenenjahren der Alkohol ein steter und oft maßlos genutzter Begleiter war, steht der reifen, ja manchmal kleinbürgerlich reduziert wirkenden Gesetztheit des späten Schumann gegenüber.

Ein ausgesprochener und auffälliger Gegensatz besteht im Anspruch auf gesellschaftliche Anerkennung, ja Ruhm und einem zurückgenommenen Auftreten mit so leiser Stimme, daß ihn die Orchestermitglieder kaum verstanden.

Der eigentümlichste Aspekt dürfte aber in der Diskrepanz zwischen Schumanns Schwermut, ja Hang zu Depressionen und der davon komplett unbehelligten Musik liegen, denn Schumanns Kompositionen vermitteln bekanntlich Fröhlichkeit, Klarheit und Unbeschwertheit. Offenbar war ihm sein Schaffen also keine Plattform für die Ausbreitung oder Aufarbeitung seiner psychischen Probleme.

Die hätten ihn sicher weitaus mehr belastet, wäre ihm seine Frau Clara nicht eine solche Stütze und Lebensbegleiterin gewesen. Sie hielt ihm familiär den Rücken frei und obwohl die beiden zeitweise, vor allem im frühen Miteinander, musikalisch auf Augenhöhe gestanden und einander ergänzt hatten, reduzierte er sie auf die klassische Rolle als Gattin und Mutter, wenn es ihm gerade paßte. Mit Sicherheit hatte er ihr gegenüber Komplexe – sie war schließlich die gefeierte und berühmte Pianistin, und das bereits in jungen Jahren.

Robert ohne Clara ist ebenso undenkbar wie Felix Mendelssohn ohne seine Schwester Fanny, aber wenn es sich schickte, waren die gleich- oder sogar höherbegabten Damen eben doch nur das, was ihnen die gesellschaftliche Konvention zugestand. Absolut hochkarätig besetzt sind die Stimmen der beiden: Matthias Brandt spricht Schumann und dieser sensible, vielschichtige Schauspieler gibt die feinnervigen Töne ebenso wieder, wie die ironisch gebrochenen oder trotzigen. Brigitte Hobmeier ist Clara und auch das ist eine Idealbesetzung, denn die bekannte Darstellerin läßt diese Frau gleichsam selbstbewußt wie angreifbar erscheinen.

Kenner der Reihe lieben sie auch wegen Udo Wachtveitl als Erzähler, der sich in dieser Produktion all den Lebensumständen, Zeitläuften, Klippen und schließlich Abgründen mit Hingabe annimmt. Wiederum vermitteln die klug ausgewählten Musikbeispiele sehr viel an Zeitkolorit, aber natürlich auch von der Kompositionstechnik und den kulturhistorischen Hintergründen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dem jungen Schumann leiht Benedict Lückenhaus seine Stimme, die Härte und Arroganz von Claras Vater Friedrich Wieck vermittelt Michael Tregor. Zitate werden von Thomas Albus, Christian Baumann, Folkert Dücker, Beate Himmelstoß, Jerzy May und Katja Schild wiedergegeben, während als Schumanns innere Stimme Lori Liebelt mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks zu hören ist.

Als charakteristisches Musikbeispiel ist die berühmte „Frühlingssymphonie“, also die Symphonie Nr. 1 B-Dur op. 38, unter der Leitung von Mariss Jansons zu hören, es spielt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. In zwei Jahren wird der 170. Todestag des Komponisten begangen. Für diejenigen, die sich vorher umfassend und kenntnisreich über Vita und Werk Robert Schumanns informieren wollen, ist diese Hörbiographie ideal geeignet.

Andreas Ströbl, 29. Dezember 2023


4 CDs

BR-KLASSIK 900916

Erhältlich im Handel und im BR-Shop