Auch wenn man bereits unzählige Opern, Operetten und Musicals erleben durfte, viele davon für immer in bester Erinnerung abgespeichert, so gibt es hin und wieder doch diese ganz besonderen Abende, wo man ein selten gespieltes Werk erstmals sieht und dieses dann dermaßen überzeugen kann, dass der Theaterbesuch das Repertoire dieser Erinnerungen um eine weitere Aufführung bereichert. So geschehen am vergangenen Freitagabend in Solingen, wo im Theater und Konzerthaus das Musical Das Lächeln einer Sommernacht von Stephen Sondheim seine Premiere feierte. Nach She Loves Me, Anything Goes und Titanic ist dies die vierte Zusammenarbeit zwischen dem Theater und der Folkwang Universität der Künste. Auch für das kommende Jahr ist bereits eine weitere große Musicalinszenierung in der Klingenstadt angekündigt worden, doch zurück zur diesjährigen Premiere. Inspiriert wurden Stephen Sondheim (Musik / Texte) und Hugh Wheeler (Buch) vom gleichnamigen Ingmar-Bergman-Film aus dem Jahr 1955. Ein Film, welcher dem schwedischen Regisseur erstmals einen großen internationalen Erfolg bescherte. Seine Uraufführung erlebte das Musical im Februar 1973 in New York, die deutschsprachige Erstaufführung fand bereits im Jahr 1975 im Theater an der Wien statt. 1977 folgte eine Verfilmung der Musical-Version, u. a. mit Dagmar Koller und Elisabeth Taylor in der Hauptrolle. Die Handlung des Stückes ist angesiedelt in Schweden zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dreht sich vor allem um die turbulenten Affären der reisenden Schauspielerin Desireé Armfeldt. Bei einem Gastspiel trifft sie auf ihre ehemalige große Liebe, den Anwalt Fredrik Egerman. Dieser ist inzwischen mit der blutjungen Anne verheiratet, auch wenn die Ehe bislang nicht vollzogen wurde. Zwischen Desireé und Fredrik flammt schnell das alte Feuer der Liebe erneut auf, doch plötzlich taucht der Militäroffizier Graf Carl Magnus Malcolm auf, der aktuelle Liebhaber der Schauspielerin. Seiner Ansicht nach darf er zwar seine Frau betrügen, dass seine Geliebte aber ihn betrügt, passt nun gar nicht in sein Weltbild. Und dann ist da noch das liebestolle Dienstmädchen Petra sowie Henrik Egerman, Fredriks Sohn aus erster Ehe, der ein Auge auf seine Stiefmutter geworfen hat, die nicht nur sein Alter teilt, sondern auch darüber hinaus gut zu ihm passen würde. Trotz diverser Eifersüchteleien und Verdächtigungen nehmen alle die Einladung an, das Wochenende auf dem Landgut von Desireés Mutter zu verbringen, die sich während der Reisen der Schauspielerin um ihre Enkelin Fredrika kümmert. Hier nimmt nun das Schicksal seinen Lauf, denn: „Dreimal lächelt die Sommernacht: einmal für die Jungen, die noch gar nichts wissen, ein zweites Mal für die Narren, die zu wenig wissen und ein drittes Mal für die Alten, die zu viel wissen.“
Auch wenn der Song Send in the Clowns wohl der populärste ist, den Sondheim je komponiert hat, ist das Musical Das Lächeln einer Sommernacht (im Original A Little Night Music) nur sehr selten auf den Spielplänen zu finden. Oft wird dem Komponisten nachgesagt, dass seine Stücke nur schwer die Zuschauer in den Saal ziehen und seine Melodien wenig eingängig sind. Zweifelsfrei gehört Sondheim wohl zu den musikalisch anspruchsvollsten Musicalkomponisten mit einer Vorliebe für komplexe musikalische Strukturen und komplizierte Harmonien. So ist Das Lächeln einer Sommernacht zwar fast durchgehend im 3/4-Takt gehalten und erinnert in vielen Punkten an den Bereich der Operette, dennoch sind als echte „Ohrwürmer“ wohl nur Wo sind die Clowns? und Ein Weekend auf dem Lande zu nennen. Gespielt wird in Solingen im Übrigen die durchgängig deutsche Fassung von Eckart Hachfeld, so dass der Zuschauer dem Humor des Stückes gut folgen kann. Allerdings lässt sich in den letzten Spielzeiten erfreulicherweise feststellen, dass Sondheims Werke vermehrt den Weg in die deutschen Theater finden. Sei es nun aktuell Company in Freiburg, Follies in Wiesbaden oder in der kommenden Spielzeit die deutschsprachige Erstaufführung von Merrily We Roll Along in Regensburg oder der Klassiker Sweeney Todd in Dortmund. Letzteres im Übrigen in einer Inszenierung von Gil Mehmert, der sich auch für die rundum gelungene Regiearbeit in Solingen verantwortlich zeichnet. Geschickt arbeitet er den Humor des Werkes heraus und setzt dabei alle Darsteller ganz wunderbar in Szene, so dass der Abschlussjahrgang 2025 der Folkwang Universität der Künste einmal mehr darauf aufmerksam machen kann, was für eine hervorragende Nachwuchsarbeit dort geleistet wird.
Im Einzelnen sind dies Anna Hirzberger als junge Ehefrau Anne Egerman, Jonathan Guth als Henrik Egerman, Alina Ju Tchin Simon als Fredrika Armfeldt, Constanza Pérez de Lara Bonatti als Dienstmädchen Petra, Elena Franke als eifersüchtige Gräfin Charlotte Malcolm und Maximilian Lochmüller als Graf Carl Magnus Malcolm. Letzterer erhielt für seine wunderbare Rolleninterpretation des exzentrischen Militäroffiziers den meisten Szenenapplaus des Abends und setzte den exzellenten Leistungen aller Darsteller die Krone auf. Hochkarätig sind auch die Gastrollen des Abend besetzt. Mit Helen Schneider in der Rolle von Desireés Mutter ergibt sich eine wunderbare Kombination von jungen Nachwuchsdarstellern und einer der zweifelsfrei renommiertesten Künstlerinnen der letzten Jahrzehnte. Brilliant auch Markus Schöttl in der Rolle des Anwalts Fredrik Egerman, der zuletzt als Erstbesetzung der erwachsenen Titelrolle in Harry Potter und das verwunschene Kind in Hamburg große Erfolge feiern konnte, und hier nun auch sein Gesangstalent unter Beweis stellen kann. Mit Wo sind die Clowns? darf Vera Bolten in der Rolle der Desireé Armfeldt den Hit des Abends vortragen, der besonders im Duett mit Markus Schöttl zu Herzen geht. Abgerundet wird das Ensemble durch weitere sieben Studierende aus den jüngeren Jahrgängen sowie dem Theaterchor Solingen. Selten erlebt man eine derart passende Besetzung, bei der sich wie selbstverständlich etablierte Stars mit dem Nachwuchs mischen und bei der Spielfreude und musikalische Leistungen in allen Bereichen überzeugen können.
Musikalisch leitet Stephan Kanyar, der sich seit 2003 auch durch die Entwicklung und Komposition neuer Musicals einen Namen gemacht hat, die Bergischen Symphoniker gefühlvoll durch den Abend. Ein echtes Erlebnis, die große Sondheim-Komposition von einem Orchester mit rund 50 Musikern im Graben so schön, oft mit viel Schwung, vernehmen zu dürfen. Abschließend seien noch das gelungene Bühnenbild und die passenden Kostüme von Britta Tönne und die sehenswerten Choreografien von Andrew Chadwick genannt, die diesen Musicalabend stimmungsvoll abrunden. Zu sehen ist diese Perle der Musicalunterhaltung leider nur noch dreimal: Einmal in Solingen, einmal in Remscheid und einmal in Leverkusen. Seien Sie an einem der drei Abende dabei, damit die Sommernacht auch Ihnen zulächelt.
Markus Lamers, 28. April 2024
Das Lächeln einer Sommernacht
Musical von Stephen Sondheim
Theater & Konzerthaus, Solingen
Premiere: 26. April 2024
Inszenierung: Gil Mehmert
Musikalische Leitung: Stephan Kanyar
Bergische Symphoniker
Weitere Aufführungen: 4. Mai (Solingen), 11. Mai (Remscheid), 14. Mai (Leverkusen)