München: „Das Rheingold“, Richard Wagner

© Wilfried Hösl

Mit einem fulminanten Rheingold ging an der Bayerischen Staatsoper ein neuer Ring des Nibelungen in die erste Runde. Bis 2027 soll an diesem Ring geschmiedet werden, jede Saison gibt es eine Premiere. Wenn auch die weiteren Abende der Tetralogie rein szenisch derart hochkarätig ausfallen, darf man auf Einiges hoffen. Regisseur Tobias Kratzer hat in Zusammenarbeit mit seinem Ausstatter Rainer Sellmaier ausgezeichnete Arbeit geleistet. Seine durchweg guten Ideen hat er famos in wirkungsmächtige Bilder umgesetzt und wartete darüber hinaus mit einer ausgeprägten, flüssigen Personenregie auf. Alles wirkte wie aus einem Guss. Leerläufe stellten sich an keiner Stelle ein. Langweilig wurde es wirklich nie. Hier zeigte sich erneut das große Talent des Regisseurs Kratzer, auf dessen weitere Arbeiten am Nationaltheater München man schon gespannt sein kann.

Kratzer hat sich konzeptionell von mehreren Gedanken leiten lassen. Zuerst interessiert ihn die Frage nach Sterblichkeit und Unsterblichkeit. Die Götter sind naturgemäß unsterblich. Alberich dagegen ist sterblich. Er weiß genau, dass ihm in seiner Lebensspanne nur wenig Zeit zur Verfügung steht und dass er in dieser alles erreichen muss, was er sich vorgenommen hat. Bereits zu Beginn ist er am Ende seiner Kräfte angelangt. Völlig deprimiert versucht er, sich mit einer Pistole das Leben zu nehmen. Der intendierte Selbstmord misslingt indes. Anschließend scheinen die Rheintöchter, die von Kratzer als moderne Mädchen gedeutet werden, ihm neuen Lebensmut zu geben. Sie spielen aber nur mit ihm. Der Raub des Rheingolds, hier eine nicht näher definierbare goldene Masse, erhält den Charakter einer Trotztat, zu deren Zeuge der kettenrauchende und öfters mal mit einem Feuerzeug züngelnde Analytiker Loge wird. Hier haben wir es mit einem trefflichen Tschechow‘ schen Element zu tun. Um seine Beute zu sichern, schießt Alberich auf die Rheintöchter und verletzt eine von ihnen am Bein. Am Ende erscheint diese dann nachvollziehbar an Gehhilfen.

© Wilfried Hösl

In weitaus stärkerem Maße interessieren Kratzer aber Religion und Atheismus. Ihnen kommt hier entscheidende Bedeutung zu. Zu Beginn sieht man auf der Bühne Nietzsches berühmtes Postulat Gott ist tot prangen. Feuerbachs Projektionsgedanke spielt hier ebenfalls eine gewichtige Rolle. Auch einer weiteren Form des Atheismus huldigt der Regisseur, wenn er Loge im existentialistischen Schwarz  auftreten lässt. In dem Verfall der göttlichen Macht sieht der Regisseur unterschiedliche Haltungen der Menschen zur Religion. Gott interessiert die Leute nicht mehr, er ist tot. Am Ende huldigen sie den neuen heidnischen und sehr konventionell vorgeführten Göttern. In ihrer altmodischen Aufmachung scheinen die Asen einem Bilderbuch des vorletzten Jahrhunderts entsprungen zu sein. Der mit Flügelhelm und Umhang versehene Wotan trägt sogar wieder einmal einen Speer. Die Götter haben sich in einer gewaltigen gotischen Kathedrale einquartiert, die indes dringend renovierungsbedürftig ist. Insbesondere der verhängte Altar muss ausgebessert werden. Die zwischen eisernen Gestellen und Matten hausenden Götter zeigen andererseits wenig Interesse daran, den maroden Kirchenraum schnell wieder auf Vordermann zu bringen. Sie sind ja unsterblich und haben demgemäß viel Zeit. Die alten Bewohner haben die Kathedrale fast gänzlich verlassen. Nur die zwei bigotten Priester Fasolt und Fafner sind noch da. Auch sie haben sich von Gott abgewandt und erweisen nun den neuen germanischen Göttern ihre Ehrerbietung. Dein Walhall /Dein Wotan haben sie auf ein Plakat geschrieben.

Aber die Macht Wotans ist Schwankungen unterworfen, was Kratzer in erster Linie in den Videos stark herausstellt. Alberich hat sich im dritten Bild in New York angesiedelt. Deswegen begeben sich Wotan und Loge auf eine Reise in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ein Film zeigt sie auf Wanderungen durch München, New York und noch andere Orte. Man sieht sie im Flugzeug und in der U-Bahn. Wotan hat, um nicht aufzufallen, sein altmodisches Gewand gegen einen zeitgenössischen Straßenanzug vertauscht. In diesem neuen Outfit wird er nachhaltig mit der Welt konfrontiert. Nicht immer gefällt ihm, wie sie ihm begegnet. Alberich hat sich in einer Garage eingenistet, die zugleich eine mit Monitoren ausgestattete Überwachungszentrale als auch eine Waffenkammer mit an der Wand hängenden Schusswaffen ist. Mime, dem Kratzer einen Hund zuordnet, ist sein Mitarbeiter, der das ganze dritte Bild auf der Bühne bleibt und schließlich Zeuge wird, wie Wotan und Loge Alberich überwältigen. Ein weiterer Film zeigt, wie Wotan und Loge den verwandelten Alberich nach Deutschland zurückbringen. Nur mit Mühe kriegen sie die Lunch-Box mit der Kröte darin durch den Zoll. Im Flieger bringt Wotans Sitznachbar dem von ihm nicht erkannten Gott nicht gerade Sympathie entgegen.

© Wilfried Hösl

Zurück in der Kathedrale wird der Nibelung, nun wieder Mensch, von Wotan gänzlich entkleidet. Hier haben wir es mit einem Höchstmaß an Demütigung und Erniedrigung zu tun, das den Fluch, den Alberich splitternackt singt, menschlich nur zu verständlich erscheinen lässt. Auf diese Weise wird der Nibelung zu einem regelrechten Schmerzensmann. Das ist eine Szene, in der man regelrecht Mitleid mit Alberich hat. Mime bringt den aus einer stattlichen Anzahl von Geldkoffern bestehenden Hort auf die Bühne. Die Demütigung nimmt auch nach dieser eindringlichen Szene kein Ende. Als nächstes trifft es Freia, die von Fafner aufgehängt wird. So viele Koffer müssen die Götter unter ihr auftürmen, dass ihre Füße wieder festen Halt finden und sie atmen kann. Auch dieses Bild hinterließ einen gewaltigen Eindruck. Erda erscheint als alte Frau, die den Ring an sich nimmt und den Göttern eine Vision vor Augen führt. In dieser wird deutlich, welches schlimme Schicksal den Asen blüht, wenn Wotan den Ring nicht hergibt. Gekonnt lässt Erda die Zeit vorwärtslaufen und dreht sie dann wieder zurück. Als Konsequenz des soeben Gesehenen übergibt Wotan den Ring den Riesen. Anschließend wird Fasolt von Fafner erschossen. Am Ende nehmen die Götter ihre Plätze in dem nun fertig renovierten, prachtvollen Hochaltar ein, der für Walhall steht. Eine Horde Menschen betritt die Kathedrale und bestaunt ihre neuen Götter.

Am Pult des trefflich disponierten Bayerischen Staatsorchesters schlug GMD Vladimir Jurowski größtenteils breite, recht langsame Tempi an. Dennoch wies seine Herangehensweise an Wagners reichhaltige Partitur, die er hervorragend zu kennen scheint, beispielsweise weniger Berührungspunkte mit Wilhelm Furtwängler als vielmehr mit Pierre Boulez auf. Jurowskis Dirigat war spannungsgeladen und transparent, aber ziemlich analytisch und von einer ausgemachten Kühle geprägt.

© Wilfried Hösl

Von den Sängern ist an erster Stelle Nicholas Brownlee als Wotan zu nennen. Hier handelt es sich um einen aufstrebenden jungen Sänger, der mit seinem in jeder Lage sonor und voluminös klingenden, bestens italienisch fokussierten und ausdrucksstarken Heldenbariton die verschiedenen Facetten des Göttervaters hervorragend auslotete und auch schauspielerisch voll überzeugte. Darstellerisch perfekt war auch der Alberich von Markus Brück. Mit großem Elan stürzte er sich in seine dankbare Rolle, in der er voll aufging und sogar gänzliche Nacktheit nicht scheute. Gesanglich verlegte er sich indes mehr aufs reine Deklamieren. Was er vokal zu bieten hatte, war mehr ein maskiges Sprechen auf den Tönen als schönes Singen. An einer soliden Körperstütze seines Tenors mangelte es auch Sean Pannikars Loge. Der in Stuttgart als Loge und großer Mime gefeierte, über wunderbares, prachtvoll fundiertes Stimmmaterial verfügende Matthias Klink erwies sich als eine echte Luxusbesetzung für den Mime. Er wäre der bessere Feuergott gewesen. Ekaterina Gubanova war eine voll und rund singende Fricka. Solide gab Mirjam Mesak die Freia. Mit profunder, tiefgründiger Altstimme verlieh Wiebke Lehmkuhl der Erda große Autorität. Die Riesen waren bei Matthew Rose (Fasolt) und Timo Riihonen (Fafner) in bewährten Händen. Von dem äußerst stimmstark intonierenden Ian Koziara in der Partie des Froh wird man in Zukunft noch einiges erwarten dürfen. Mit ordentlichem, wenn auch nicht außergewöhnlichem Bariton-Material stattete Milan Siljanov den Donner aus. Phantastisch klang das aus Sarah Brady (Woglinde), Verity Wingate (Wellgunde) und Yajie Zhang (Floßhilde) bestehende Trio der Rheintöchter, deren vorbildlich gestützte Stimmen einen homogenen Gesamtklang bildeten.

Ludwig Steinbach, 4. November 2024


Das Rheingold
Richard Wagner

Bayerische Staatsoper München

Premiere: 27. Oktober 2024
Besuchte Aufführung: 31. Oktober 2024

Inszenierung: Tobias Kratzer
Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski
Bayerisches Staatsorchester

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