Per aspera da astra – spätestens seit Beethovens Meistersinfonien kämpfen sich Komponisten in ihren sinfonischen Werken oftmals aus dem Dunkel ins Licht. So auch Gustav Mahler z. B. in seiner fünfsätzigen 7. Sinfonie, ein Opus ganz besonderen Ausmaßes – und ein qualvoller Schaffungsprozess (Mahler hatte in den vier Jahren, während derer er an der Sinfonie arbeitete, von den ersten Skizzen der Nachtmusiken bis zu den letzten Feinschliffen an der Partitur während der Proben zur Uraufführung, viel Schweres zu ertragen: Hasstiraden auf ihn, teils antisemitisch geprägt, in Wien, wo er die Hofoper leitete, den Tod seiner Lieblingstochter Marie und regelrechte Schreibblockaden, die ihn in Trübsinn stürzten).
Trotz all dieser Widrigkeiten ist eine grandiose Sinfonie entstanden, ein regelrechtes Klang Bad mit unterschiedlichen Temperaturen, in welches man dank der durchwegs spannungsgeladenen Interpretation durch das bestens disponierte Tonhalle-Orchester Zürich unter der ungemein explosiv formenden Leitung Paavo Järvis noch so gerne eintauchte. Vom düsteren Beginn der Adagio-Einleitung zum ersten Satz (abgelauscht den Ruderschlägen, welche den depressiven Mahler ans andere Ufer des Wörthersees brachten) bis zum so schmerzhaft und blechgewaltig gleißenden C-Dur Finalrondo, dessen Jubel man kaum aushält – und doch am Ende in diesem gewaltigen Strudel mitgerissen wird.
Die Reise dahin führte nach der kurzen, schwer lastenden Adagio-Einleitung mit dem selten verwendeten Tenorhorn durch den forsch dahin lärmenden ersten Satz, in dem oftmals ein jauchzendes Kreischen wie von spielenden Kindern zu vernehmen war, Fanfaren des Blechs mit dem „Karfreitagszauber“ verwandten, ruhigeren, naturnahen Passagen wechselten, ein Trauermarsch sich jäh durchsetzte, alles grandios vom Tonhalle-Orchester und Järvi ineinander verwoben. In der Reprise (der Satz ist in einer Art freien Sonatensatzform gehalten) setzte sich das Hauptthema mit markanter Vehemenz durch, wobei die Schlagzeuggruppe des Orchesters prägnante Akzente zu setzen wusste. In der Nachtmusik I bewunderte man den schönen, die anmutige Natur verehrenden Klang der Hörner, mit leichten, fein intonierten Echowirkungen, dem berühmten Kuhglocken-Klang, dem fein ziselierten Vogelgezwitscher. Järvi dirigierte das alles beinahe swinghaft tänzerisch. Ein Augenblick (ach verweile doch) zum Zurücklehnen.
Ganz herrlich war das anschießende Scherzo intoniert, den verschatteten, schrägen Walzer hörte man wunderbar heraus. Ob Ravel diese Mahlersinfonie gekannt hatte, als er La Vals komponierte? Man lauschte gespannt dieser so geheimnisvollen, trotzdem leicht sinnlichen-befremdenden Musik, auf Franziska Gallusserin der hervorragend gestalteten Einführung im kleinen Tonhalle Saal besonders hinwies, indem sie einen Ausschnitt aus der Vision Ken Russells zu dieser Musik in seinem umstrittenen Mahler-Film aus dem Jahr 1972 zeigte. Die zweite Nachtmusik kam dann erst wie ein Lullaby daher, ein sanftes Hinübergleiten in Träume, eine wunderbar leichte Serenade mit Gitarre und Mandoline, mit Waldesrauschen und Elfentanz.
Wunderbar spielte die Konzertmeisterin Julia Becker die schönen Solopassagen der Violine. Und auch das Solo Horn trug viel dazu bei, die Schönheiten der Nacht zu preisen. Ein sehr positiv, luftig daherkommender Satz, wunderschön verklingend. Doch die beschauliche Ruhe hält nicht lange, denn das bei vielen Kritikern umstrittene Jubelfinale, dieses lärmige Rondo, das selbst die Akustik der Tonhalle an ihre Grenzen bringt, ist ein gefährliches Stück Musik. Allzu leicht ertappt man sich dabei, in den beinahe populistischen Freudentaumel, untermalt von effektvollem Kirchenglockengeläut, mit einzusteigen. Einzig die differenziert herausgearbeiteten B, C, D … Teile des Rondos bringen etwas Ruhe in den (parodistischen?) Tanz.
Oftmals wurde Mahler vorgeworfen, damit Wagners „Meistersinger-Ouvertüre“ zu verballhornen. Es ist zwar richtig, dass man in den blechgeschwängerten A-Teilen des Rondos tatsächlich Anlehnungen an Wagners einzige komische Oper heraushört, doch Mahler selbst hat in von ihm dirigierten Aufführungen dieser Sinfonie Wagners Meistersinger-Ouvertüre seiner siebten Sinfonie vorangestellt. Auf ein „Beiwerk“ hat man in Zürich verzichtet (noch auf der kürzlich durchgeführten Spanien-Tournee des Orchesters wurde diese Sinfonie – in Barcelona – mit Prokofjews 2. Violinkonzert gekoppelt). Nun ließ man in der Zürcher Tonhalle also Mahlers 7. als glanzvollen Solitär erstrahlen. Mit einer Spieldauer von knapp 80 Minuten kann man das machen, muss man aber nicht.
Kaspar Sannemann, 21. November 2024
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 7
Tonhalle Zürich
9. November 2024
Dirigat: Paavo Järvi
Tonhalle-Orchester Zürich