Bücherecke: „Warum eine Pistole auf der Bühne nicht schiesst“, Matthias Hartmann

Es gab zwar vereinzelt Leute, die sich für ihn eingesetzt haben, aber es nützte nichts: Das Burgtheater hat die Karriere des Matthias Hartmann nachhaltig zerstört. Mittlerweile sind zehn Jahre seit seinem unrühmlichen Abgang von dem Haus vergangen, und nun schien es ihm an der Zeit, einige Dinge klarzustellen.

Seine Memoiren, die er in Wien begreiflicherweise nicht am Burgtheater, sondern in den Räumen der Josefstadt vorgestellt hat, tragen  den gewissermaßen „allgemeinen“ (und im Grunde nicht ganz glücklichen) Theatertitel; „Warum eine Pistole auf der Bühne nicht schießt“. Aber man greift – vor allem in Wien – natürlich aus anderen Gründen nach dem Buch. 

Bevor man konkret über Hartmanns Burgtheaterzeit und den Finanzskandal nachlesen kann, der ihm das Genick gebrochen hat, obwohl seine Unschuld an unrechtmäßigen Zahlungsvorgängen später bewiesen und bestätigt wurde, zerbricht sich Hartmann den Kopf über die Theater heute. Ausführlich, Länge mal Breite. Das ist sein Thema, auch wenn er dann autobiographisch wird: Hartmann lässt den Leser an den  schier unglaublichen Umwegen teilnehmen, die ihn  zum Theater  führten,  

Zwar wollten in seinem Fall die Eltern, dass er Künstler werde, aber der 1963 in Osnabrück geborene Junge wollte das gar nicht  (und mutete ihnen allerlei zu, bis er doch „Künstler“ wurde). Er war ein schlechter Schüler, ein träumerisches Kind mit wenig Realitätsbezug. Vier Jahre Internat in England, kurzzeitig Lehre als Maschinenschlosser (!), kurzzeitig in einem Öko-Laden, Herumtreiben in Italien („Lebte von altem Brot und geklauter Salami und landete vollkommen pleite auf der Insel Elba“). Wieder in der Schule in Deutschland (man braucht ja einen Abschluß), war es so weit – Jung-Hartmann gründete eine Theatergruppe. Und dann Schritt für Schritt: Schauspielhaus Hamburg, lernt an Schauspielern, lernt das Handwerk, Hospitanz in Berlin, an der Schaubühne bei Peter Stein.  „Als ich wusste, dass ich ans Theater gehöre, habe ich versucht, jede verschlossene Tür aufzustoßen.“ So marschiert man mit Hartmann, locker erzählt, durch sein Theaterleben. Mit herrlichen Episoden – etwa den Umgang mit Peter Zadek…

Hartmann verschweigt nicht, wie viel man „intrigieren“ muss, um sich selbst auf einen Direktorensessel zu hieven. Freunde mobilisieren. Auf positive Berichte im Feuilleton hoffen. Und – beim Kulturdezernenten in Bochum direkt anrufen. Da bekam er den Job im Jahr 2000. Hartmann wollte als Intendant „funkeln und begeistern“ und schaffte es, das Publikum zu interessieren, indem er es herausforderte. Denn dass Menschen ins Theater kamen und wieder kamen und wieder kamen, war sein Credo (und ist es bis heute – was wenige Kollegen mit ihm teilen). Theatertheoretische Überlegungen spielen eine große Rolle in dem Buch, werden immer wieder ins Biographische hineingeschoben.

Ist man einmal Intendant, befindet man sich in einem Ranking-Spiel. Die Kryptowährung, wie Hartmann sie nennt, heißt „Bedeutung“. Der Autor erklärt vieles über das „Drei-Blöcke-Kraftwerk– Fachjournalisten, Kulturpolitiker und Theaterstrategen“, die Karrieren machen und verhindern.

Für die Theatermacher besteht die Hierarchie in Hamburg, Berlin, München. Irgendwann auch Wien. Hartmann kam zunächst nach Zürich, dann endlich, ab September 2009, an das Burgtheater (wo sich damals auch Kusej beworben hatte und Breth und Baumbauer). Da fühlt man sich am Ziel.

Also erzählt Hartmann „noch mal die fucking Geschichte mit der Burg“, aus Vorsicht nicht immer mit Klarnamen. Interessiert es noch so sehr? In Hartmann wühlt sie natürlich, die große Ungerechtigkeit, die sein ganzes Leben umkrempelte und seine Karriere beendete (auch wenn er noch so hohe Worte für die Tätigkeit bei Mateschitz findet). „Entscheidend ist, dass ich am Ende rausgeflogen bin.“

Er will nicht pathetisch und larmoyant klingen, wenn er von der „schmerzenden Ungerechtigkeit“ spricht. Schließlich resümiert er: „Das Eigentümliche an der Burgtheater-Geschichte ist die Art, wie dieser Fall nicht aufgeklärt und alle Spuren aus der Vergangenheit verwischt sind.“

Schließlich erzählt er doch mit viel Ironie und in aller Ausführlichkeit vom Burgtheater. Das ganze Gemauschel inbegriffen. Und Interna, die den Umgang mit Schauspielern ebenso betreffen wie die Aktionen der „lieben Silvi“, die das Finanzielle regelte. Er erzählt von der Jagd, die „Profil“ und ORF auf ihn eröffneten, auf den vielen so unsympathischen lauten Deutschen. Ein Fest für die Medien, die sich überschlugen. Es liest sich fast wie ein Krimi. Dazu gibt es am Ende noch 20 Seiten mit Materialien zu der „Affäre“. Glaubt man Hartmann jetzt endlich, dass er an allen finanziellen Fehlverhalten der „Burg“ unschuldig und unbeteiligt war? Wenn man sein Buch gelesen hat – ja.

Und doch flog er ehrlos aus dem Job. Für den so tief Gefallenen wurde es schlagartig still. Es ist eine klassische Erfahrung. Vielen Kollegen hatte er geholfen. „In dem Moment, als ich jetzt dringend Hilfe brauchte, meldete sich niemand bei mir.“ Nur Dietrich Mateschitz fing ihn schließlich auf. Und da ist man schon in der Gegenwart.

Es ist ein Buch, dem man die Erleichterung des Autors nachfühlt. Endlich einmal die Meinung sagen dürfen. Nicht mehr in dem Pulk jener zu stecken, die sich nur behaupten können, wenn sie woke politische Korrektheit pflegen. Hartmann schreibt gegen etwas an, das er als Fehlentwicklung betrachtet, was aber derzeit so fest etabliert ist, dass kein Widerspruch mehr gewagt wird, auch wenn viele insgeheim genau so denken. Aber man hat gelernt, den Mund zu halten.

Hartmann, der gelegentlich in Italien Oper macht, hat, obwohl erst 61jährig, seine große Theaterkarriere an den deutschsprachigen Zentren vermutlich abgeschrieben. Allerdings – er wird zum Abschluß der Ära Föttinger an der Josefstadt den „Theatermacher“ inszenieren, einigermaßen sicher mit dem Direktor Föttinger selbst als Hauptdarsteller. Dann wird er zumindest solcherart im Geschäft sein, dass die Medien ihn wieder wahrnehmen – so wie jetzt anlässlich seines Buches.

Renate Wagner, 22. Dezember 2024


Matthias Hartmann: 
WARUM EINE PISTOLE AUF DER BÜHNE NICHT SCHIESST
Ein kleiner Versuch, das Theater zu retten
192 Seiten, Verlag ecoWing. 2024