Paris: „Das Rheingold“, Richard Wagner (zweite Besprechung)

Zaghafter Beginn des neuen Pariser „Ring“

Das mit Spannung erwartete „Rheingold“ in der Neuinszenierung von Calixto Bieito als Vorabend des neuen „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner an der Opéra de Bastille Paris geriet einigermaßen enttäuschend. Vielleicht hatte man zu viel erwartet, denn das ursprüngliche Enfant terrible Bieito erweist sich mittlerweile doch als recht zahnloser Visionär. Selten sah man das Erste Bild im Rhein von größerer Langeweile, zumindest, was die Personenregie angeht. Ein wabernder, Wasserbewegungen andeutender Vorhang im Bühnenbild von Rebecca Ringst, unter dem die fast bewegungslosen Rheintöchter in türkisen Tauchanzügen mit Sauerstoffflaschen hervorkommen und sich weitgehend bewegungslos vom heftig verkabelten bedauernswerten Alberich hier und da mal am Zeug flicken lassen. Am Ende seiner Demütigungen durch die Taucherinnen, die ihm gemeinerweise noch die Stirn aufritzen, weint er bitterlich.

© Herwig Prammer

Dass er den im Moment seines Fluches über die Liebe herabfallenden Vorhang wie ein Bühnenarbeiter aufraffen und umständlich zur Seite entsorgen muss – dieser ist wohl das Rheingold, obwohl weiß – ist an Banalität und Phantasielosigkeit nicht zu überbieten. Das macht man normalerweise schnell aus dem Seiten-Off. Dabei war in einem riesigen grauen metallenen Kubus mit unzähligen Löchern hinter dem Vorhang zuvor das Gold geheimnisvoll leuchtend zu erkennen wie auch interessante Einblicke in die Gänge und Zimmer von Walhall. Denn das sollte er dann darstellen, wie das Zweite Bild offenbarte. Die Lichtarbeit von Michael Bauer und die Videos von Sarah Derendinger mit den schimmernden und leicht mysteriösen Videos auf dem Vorhang waren also attraktiv und ließen auf Tiefgründigeres hoffen – immerhin führte ja Calixto Bieito Regie!

Die „Götter“, Menschen unserer Tage mit einem „Feuergott“ Loge, der aussah wie ein LKW-Fahrer mit Baseballkappe ganz in Schwarz, leben nebeneinanderher und lassen die Äpfel rollen wie im letzten Pariser „Ring“ Günther Krämer die Orangen. Der viel zu alt wirkende Wotan Iain Paterson ganz in Schwarz liefert sich mit der attraktiven und viel jüngeren Fricka von Ève-Maud Hubeaux auf dem schwarzen ledernen Canapé Szenen einer Ehe à la Ingmar Bergmann, sogar physisch. Fafner von Mika Kares sieht aus wie ein texanischer Farmer mit Cowboy-Hut und der viel kleinere Fasolt von Kwangchul Youn wie ein Versicherungsberater mit Krawatte. Das wallende Kostüm von Fricka ist hingegen ein absoluter Hingucker. Froh sieht aus wie ein Ersatz-Jesus aus „Ben Hur“ und Donner wie ein Baseball-Spieler. Freia kommt in einer Öljacke daher wie Senta aus dem „Fliegenden Holländer“, bekanntlich immerhin auch von Wagner. Die Kostüme von Ingo Krügler sind also völlig uneinheitlich, zum Teil ansehnlich, zum anderen Teil abstoßend wie das von Mime, der als ultimativer Spießer in kurzer Turnhose, Unterhemd und alten Socken daherkommt.

Der Walhall-Kubus verfügt über Türen, die gelegentliches Verschwinden der Akteure ermöglichen, und einer im Finale herunter kommenden Rampe, auf der Wotan und Fricka sich an ähnlich wie auf der Rampe von Robert Lepage an der Met (dort nur eleganter) an Kabeln – die überhaupt eine Hauptrolle in der Optik des Vorabends spielen – mühsam in die Burg hangeln. Immerhin eine passende Message, dass der Triumph der Götter am Schluss nur ein vermeintlicher ist. Donner und Froh sind schon früher oben eingezogen, wo sie kaum sichtbar die Gewitter- und Regenbogenmusik besingen, auch wenn natürlich kein Regenbogen, nicht mal andeutungsweise, zu sehen ist. Freia wird unten vergessen.

© Herwig Prammer

Der im ganzen Stück auf den Bühne stehende Kubus engt die Spielfläche allerdings auf wenige Meter der Vorderbühne ein. Das nimmt der ganzen Produktion doch sehr viel an möglichen Dimensionen, die einen höheren Tiefgang erlaubt hätten. So wird das Ganze eher zu einem Kammerspiel einer untergehenden Familie à la Thomas Manns Buddenbrooks. Allein die immer wieder Herzanfall-ähnlichen Attacken Wotans lassen die Figur einmal in einem anderen, menschlicheren Licht erscheinen. Das war besonders bei Alberichs Fluch eindrucksvoll, wo Wotan in der Tat wie nach einem Herzstillstand schmerzverzerrt lange auf dem Boden bleibt. Sein Kommentar zu Loge mit der „geifernden Lust“ passt allerdings nicht dazu… Dennoch wirkt Wotan bei Bieito wie ein unsympathisches Ekel.

Im Dritten Bild agiert Alberich in einem aus der Bühnentiefe hochkommenden Kabuff mit Mime und bastelt an vielfältig farbenfroh verkabelten Humanoiden, deren Gliedmaßen schauerlich von der Decke hängen. Auch hier also ein déjà vu mit dem Wiener „Ring“ von Sven-Eric Bechtolf und jenem von Dimitri Tscherniakov in Berlin, wo auch kleinmanufakturelle Bastelarbeiten zu sehen sind. Ein solcher bereits zum „Leben“ erweckter Humanoide, Gisela genannt (Juliette Morel), räkelt sich auf dem Boden und bleibt auch dann noch länger liegen, nachdem Alberich bei einer albernen Kröten-Imitation überwältigt und weggeschafft worden ist. Noch einfallsloser war der von ihm vermeintlich vorgeführte Drache. Ein hektisches Herumlaufen auf der Bühne mit gebleckten Zähnen war das – in der Tat kein Aufreger!

Als Gold dient ein Haufen Goldmünzen, von Mime auf einem Einkaufswagen, wie jene in den einschlägigen Gartenmärkten, hereingefahren. Sie werden einfallslos über die praktischerweise auf einer schwarzen Plastikplane liegende Freia gestreut. Nibelungen glatte Fehlanzeige! Aber auch hier steht der Entsorgungsaspekt im Vordergrund. Fafner wirft den strangulierten Fasolt nämlich zu den Goldmünzen auf den Wagen und verlässt so unspektakulär die Bühne. Wenn man da an Patrice Chéreau in Bayreuth denkt, wie umwerfend er diesen Moment 1976 schon gestaltete.

© Herwig Prammer

Allerdings wartet Bieito hier mit einem ganz und gar neuen Goldring auf. Er ist nämlich so groß wie eine Halskrause und wirkt durchaus spektakulär, da eben aus glänzendem Gold. Die Frage ist nur, wie sich so ein Riesen-Ring durch den ganzen Pariser „Ring“ handeln lässt. Wenn man sich an frühere Arbeiten Calixto Bieitos erinnert, und da war vieles doch immer wieder neu und spektakulär, denkt man an diesem Abend an der Bastille manchmal, es müsste noch etwas gut durchdacht Überraschendes kommen. Es kam aber nicht.

Sängerisch stand es auch nicht so ganz zum Guten wie an der Scala in Mailand, die ebenfalls gerade einen neuen „Ring“ begonnen hat. Große Erwartungen lagen natürlich auf Ludovic Tézier, der als Wotan debütieren sollte. Ein französischer Wotan, das hätte man lange nicht gehört und klang spannend. Leider musste der großartige Bariton absagen, und Iain Paterson übernahm die Rolle. Nicht ganz überzeugend. Die Stimme hat doch etwas zu wenig Volumen und Resonanz, und auch in der Tiefe könnte es etwas mehr sein. Darstellerisch ist er natürlich voll überzeugend. Ève Maud-Hubeaux beeindruckte als Fricka durch ihre resolutes Spiel und war auch stimmlich sehr präsent, wenngleich die ekstatische Art und Weise, mit der sie die Rolle interpretieren musste, nicht immer dem vollen Klangpotential ihres guten Mezzo entgegenkam.

Simon O’Neill als Loge ist vom Timbre her auch nicht ganz ideal. Die Stimme hat nur ein begrenztes Facettenpotential für diese so spezielle Rolle. Brian Mulligan debütierte als Alberich und hat bei vielen guten Ansätzen noch Luft nach oben in vokaler Qualität und Ausdruckskraft. Kwangchul Youn war wie immer ein guter Fasolt mit seinem vollen Bass, und Mika Kares, immer mehr als Hagen unterwegs, gab auch einen stimmlich guten Fafner. Gerhard Siegel ist weiterhin ein exzellenter Mime. Matthew Cairns war ein guter Froh und Florent Mbia ein vor allem sängerisch überzeugender Donner. Eliza Boom sang die Freia mit viel Emphase. Die Rheintöchter, Margarita Polonskaya als Woglinde, Isabel Signoret als Wellgunde und Katharina Magiera als Flosshilde sangen einwandfrei, konnten sich aufgrund der verhaltenen Regie aber darstellerisch kaum ausdrücken. Marie-Lecole Lemieux sang die Erda zwar gut, aber von der Lage her viel zu hoch. Auch wurde ihr Erscheinen ziemlich banalisiert. Mythos sollte aber wohl mal wieder nicht sein…

Der Star des Abends war der spanische Maestro Pablo Heras-Casado mit dem Orchestre de l’Opéra national de Paris. Nach seinem „Ring“ in Madrid und der Bayreuth-Erfahrung mit „Tristan und Isolde“ 2024 mausert er sich immer mehr zu einem sehr guten Wagner-Dirigenten. Das war musikalisch ein „Rheingold“ mit elegant federnder Leichtigkeit bei großer Transparenz und Klangschönheit des Orchesters. Man hatte sogar sechs Harfen aufgeboten und hörte bei der bekannt guten Akustik des Hauses mit seinen 2.800 (!) Plätzen im Finale selten solch schöne Klänge von diesem wunderbaren Instrument. Heras-Casado wusste aber auch die dramatischen Momente einnehmend zu gestalten, wie beispielsweise den Ab- und Aufstieg nach Nibelheim oder das hohl tönende Finale.

© Herwig Prammer

Darin nähert sich Loge mit einem kleinen Feuerchen der Freia, die sich offenbar mit Rohöl eingeschmiert hat. Andeutung an den kommenden Weltenbrand? Aber gab es das Öl nicht schonmal bei Frank Castorf in Bayreuth…? Am Schluss ließ sich Regisseur Calixto Bieito mit dem Leading team nicht zum Applaus sehen. Man sagte mir, er käme erst nach der „Götterdämmerung“, also erst in 2-3 Jahren. So etwas macht doch nur Sinn, wenn eine Neuinszenierung des „Ring“ zyklisch in wenigen Tagen über die Bühne geht wie in Bayreuth. Wer erinnert sich nach der „Götterdämmerung“ noch, wie das „Rheingold“ war, wenn er überhaupt drin gewesen sein sollte?! Also, nach der „Walküre“ erwarte ich Calixto Bieito vor dem Vorhang.

Klaus Billand, 3. Februar 2025


Richard Wagner: Das Rheingold

Opéra national de Paris Bastille

Premiere am 29. Januar 2025

Inszenierung: Calixto Bieito
Musikalische Leitung: Pablo Heras-Casado
Orchestre de l’Opéra national de Paris