Wien: „Iolanta“, Peter Tschaikowsky

Piotr I. Tschaikowskys blinde Prinzessin Iolanta hat neben seinen großen Heldinnen – Tatjana, Lisa – nie sonderliche Beachtung auf den Bühnen gefunden, nicht einmal, als Anna Netrebko mit einer konzertanten Fassung dieser etwas mehr als eineinhalbstündigen Oper „tourte“. Die Volksoper hat das Werk mit Szenen aus Tschaikowskis „Nussknacker“-Ballett verschnitten, mit dem zusammen der Einakter 1892 einst in St. Petersburg uraufgeführt worden war. Die Wiener Staatsoper begnügt sich nun damit, „Iolanta“ ganz für sich zu spielen.

Die Geschichte selbst, nach einer dänischen Vorlage, ist nicht sehr substanziell. Ein liebender königlicher Vater will verhindern, dass seine blinde Tochter in der Erkenntnis ihrer Krankheit lebt. Heilung ist aber nur möglich, wenn die Prinzessin weiß, worum es geht. Zwei Ritter tauchen auf, einer soll diese Iolanta heiraten, will aber nicht, der andere verliebt sich leidenschaftlich. Amor vincit omnia, Happy End.

© Michael Pöhn

So einfach kann es ein Regisseur von heute nicht geben. Der Russe Evgeny Titov ist allerdings die längste Zeit gnädig mit seiner Heldin und dem Publikum, das überzeugt ist, eine „schöne“ Inszenierung zu sehen, weil die Welt Iolantas die längste Zeit den paradiesischen Natur-Anstrich hat, auf den immer wieder hingewiesen wird (Bühne: Rufus Didwiszus).

Hier beginnt es schier endlos elegisch, weil das junge Mädchen (die junge Frau, wie man will) spürt, dass etwas nicht mir ihr stimmt und sie sehr darunter leidet. Etwas Dramatik kommt auf, als der entschlossene Papa, König Rene, auftaucht (erster Szenenapplaus des Abends für seine Arie). Er bringt einen maurischen Arzt mit, aber dessen Bedingung zur Heilung lautet, Iolanta muss wissen, worum es geht, und muss es wollen. Das lehnt der König ab. Auftritt der beiden Ritter, natürlich nicht in Rüstung, aber in so neutralem Alltagsgewand (Kostüme: Annemarie Woods), dass man nicht aus dem „Paradies“ geworfen wird.

Freilich, gelegentlich würzt der Regisseur schon kleine Irritationen ein – wenn Marta weniger wie eine Vertraute der Preinzessin wirkt als wie eine strenge Herrin, die versucht, hart Ordnung zu halten. Oder wenn da eine seltsame Soldaten-Gestalt im Zardoz-Stil herumgeistert. Oder wenn Ritter Robert seine Verlobte halbnackt mit sich führt (sie wird als Herzogin von Lothringen vorgestellt, hat sie kein Geld für ein ordentliches Kleid?). Irritationen, wie gesagt.

Aber, was er wirklich sagen will, hebt sich der Regisseur als Knalleffekt für das Ende auf. Tatsache ist, dass die nun sehende Iolanta nicht in Jubel ausbricht, sondern sich ziemlich realistisch im Schrecken darüber findet, wie „hell“ plötzlich alles ist und dass sie niemanden erkennen kann. Aber am Ende hätte sich Tschaikowski schon Glück ausgedacht. Nicht so Regisseur Evgeny Titov – in Sekundenschnelle verwandelt sich alles, das Paradies gab es offenbar nur in Iolantas Welt, was man nun sieht, sind keine schönen Menschen mehr, sondern düster vermummte Gestalten, und der Hintergrund ist eine Landschaft, die aus zerborstenem Kriegsmaterial besteht-

Angesichts von Tschaikowskys Jubelmusik, der da wirklich nur an das Happyend der aus der Dunkelheit befreiten Prinzessin dachte, bekommt man in dieser Inszenierung als Schreckschuß am Ende die Erkenntnis, dass es offenbar gar nicht so erstrebenswert ist, sehenden Auges auf unsere Welt zu blicken…

Eine Märchenprinzessin kann nicht schöner sein als Sonya Yoncheva mit ihrem langen schwarzen Haar (ihre Damen sehen die längste Zeit übrigens aus wie sie), zu Beginn im Nacktbody im Wasser, dann in ein schönes Kleid gehüllt. Sie singt wunderbare Kantilenen, schwingt sich mühelos zu Höhen auf (nur im Lauf des Abends ließ die Qualität ein wenig nach) und fand sich mit ihrem Tenor zu einem wirklich leidenschaftlichen, heftig akklamierten Liebesduett.

Der Mann an ihrer Seite war Dmytro Popov als Vaudémont, mit etwas viel Metall in der Kehle, aber wirklich überzeugendem Liebhaber-Umriß. Im Übrigen dominierten die dunklen Stimmen, an der Spitze Ivo Stanchev als königlicher Vater Rene, Boris Pinkhasovich (Robert), Attila Mokus (maurischer Arzt), Simonas Strazdas (Faktotum) ergänzten, ein Tenor dazwischen (Daniel Jenz) fällt kaum auf. Drei Damen um gurren Iolanta, es sind die bewährte Monika Bohinec und die beiden Russinnen Maria Nazarova und Daria Sushkova.

Tschaikowskys Musik hat nichts von seinen bekannten „Ohrwürmern“ aus den großen Opern, aber sie ist ungemein stimmungsintensiv und steigert sich sukzessive bis zum Ende, was Tugan Sokhiev mit so viel Gefühl wie Stringenz ausbalancierte.

Der düstere Schlußeffekt minderte nicht den begeisterten Premierenapplaus, die meiste Zeit war’s, „schön“, schön anzusehen, schön gesungen, schöne Musik. Dennoch – ob Iolanta nun trotz dieser großteils gefälligen Inszenierung neben den großen Tschaikowsky-Opern den Platz im Repertoire einnehmen wird, möchte man bezweifeln. Das Bessere ist der Feind des Guten, und das sind eben die beiden anderen großen Opern des Meisters, an denen sich dieses Werk messen lassen muss.

Renate Wagner 17. März 2025


IIolanta
Peter Tschaikowsky

Wiener Staatsoper

Premiere: 24. März 2025

Regie: Evgeny Titov
Dirigat: Tugan Sokhiev 
Orchester der Wiener Staatsoper