Wie jedes Jahr hat man bei der „Großen Nachtmusik“ zur Eröffnung des Bremer Musikfests die Qual der Wahl und muss sich für drei von den achtzehn angebotenen Konzerten entscheiden. Meine Wahl fiel auf französische Oper, kubanischen Jazz und Barockmusik, womit auch das breite Spektrum vom Musikfest etwas repräsentiert wird.
Marc Minkowski und Les Musiciens du Louvre sind langjährige Stammgäste beim Musikfest. Im Konzerthaus „Die Glocke“ widmeten sie sich diesmal der Musik von Georges Bizet. Mit Ausschnitten aus den L’Arlésienne-Suiten, darunter die effektvolle, temporeiche Farandole aus der Suite Nr. 2 und das ruhige und sanfte Adagietto aus der Suite Nr. 1 sowie die sehr differenziert gespielte Berceuse aus Jeux d`enfants setzte Minkowski sehr gekonnt verschiedene Stimmungsbilder gegeneinander. Das Orchester zeigte sich dabei von seiner besten Seite und setzte Minkowskis teils temperamentvollen, teils kontemplativen Vorgaben unmittelbar um. Als Gesangssolisten wirkten die Mezzosopranistin Eugénie Joneau und der Tenor Cyrille Dubois mit. Joneau stellte sich mit einer Arie aus der selten gespielten Oper Djamileh vor und zeigte schon da ihre stimmlichen Qualitäten. Die gr0ße Arie des Nadir aus Les pêcheurs des perles („Die Perlenfischer“) ist mit ihrem schwebenden Ton bis hin zur Kopfstimme für jeden Sänger eine Herausforderung. Dubois bestand sie mit seinem schlanken, gut fokussierten Tenor herausragend. In den Ausschnitten aus Carmen (La Seguedille, die beiden Duette aus dem 2. Akt sowie die Blumenarie) überzeugte Joneau mit sinnlichen, verführerischen Tönen und der hell timbrierte Dubois mit leidenschaftlicher Intensität. Ein mitreißender Auftakt!

Mitreißend war auch der Open-Air-Auftritt vom Alfredo Rodriguez Quintet im Forum am Domshof mit ihrer „Hot Cuban Jazz Night“. Die Mannschaft um den von Quincy Jones geförderten Pianisten Alfredo Rodriguez sind allesamt Vollblutmusiker, deren Temperament und Energie kaum zu bremsen ist. Yarel Hernandez an der Bass-Gitarre, Carlos Sarduy an der Trompete, Michael Olivera am Schlagzeug sowie die Sängerin Alana Sinkey konnten mit ihrer umwerfend kraftvollen Performance die einsetzende Abendkühle fast vergessen machen. Der Klang und die Intensität ihrer Musik überrollte die Zuhörer wie eine Lokomotive, auch wenn es zwischendurch mal einen „klassischen“ Cha-Cha gab, der Klassiker Guantanamera erklang oder Alana Sinkey mit ihrer schönen und ausdrucksvollen Stimme etwa bei Besame mucho für ruhigere Momente sorgte. Aber wie Alfredo Rodriguez sein Klavier (man kann es nicht anders sagen) „bearbeitete“, war unglaublich und irrwitzig. Und schalkhaft schmuggelte er auch noch Beethovens Für Elise unter die Flut seiner Töne. Wer da nicht begeistert mitging, dem ist nicht zu helfen.

Ein Concerto grosso ist eine musikalische Kompositionsform der Barockzeit, bei der eine kleine Gruppe von Solisten (Concertino) in Kontrast zu einem größeren Orchester (Ripieno oder Tutti) tritt. Das Orchester Il Pomo d’ Oro (15 Musiker) und sein Dirigent Maxim Emelyanychev hatten bei ihrem Konzert in der Oberen Rathaus-Halle gleich vier Concerti grossi im Gepäck: Jeweils eines von Charles Avison, von Georg Friedrich Händel, von Alessandro Scarlatti und von Arcangelo Corelli. Das Concerto von Scarlatti wurde in kammermusikalischer Besetzung, die anderen mit allen Streichern musiziert. Höhepunkt war das Concerto grosso op.6/2 von Händel, obwohl eigentlich alle Stücke mustergültig aufgeführt wurden. Das fein austarierte Wechselspiel zwischen den Solisten und dem Orchester gelang hervorragend. Der Dirigent Maxim Emelyanychev agierte dabei mit unermüdlichem Engagement. Zefira Valova an der 1. und Stefano Rossi an der 2. Violine setzten solistische Glanzpunkte. Als Zugabe gab es den berühmten Kanon von Johann Pachelbel, der hier im Stil eines Concerto grosso musiziert wurde. Ein schönes Konzert, für das man sich keinen besseren Rahmen als die festliche Rathaus-Halle denken konnte. (16. August 2025)

Vince Mendoza, der Leiter und Arrangeur der WDR Big Band, betonte bei seinem Konzert unter dem Titel „Unsophisticated“ in der „Glocke“ seine Freude über die Arbeit mit der „finest band in the land“. Und tatsächlich ist die WDR Big Band eines der führenden Ensembles dieser Art in Europa. Ihren jetzigen Namen trägt sie erst seit 1980, als man auf die Streichergruppe verzichtete und Jazz zum Schwerpunkt wurde.. Gegründet wurde das Orchester 1946 als Kölner Rundfunk-Tanzorchester. Geprägt wurde das Orchester damals u. a. von Adalbert Luczkowski, Werner Müller und besonders von Kurt Edelhagen. Ihre Sonderklasse stellte die jetzt fast zwanzigköpfige Formation eindrucksvoll unter Beweis. Ob Trompete, Posaune, Saxophon oder Gitarre: In fast jedem Song traten die Musiker auch solistisch in Erscheinung und gaben dem satten Bläsersound jeweils eine eigenständige Farbe. Besonders hervorzuheben ist die famose Leistung des Percussionisten.
Als Sängerin trat die 1989 in Nashville geborene und besonders von Prince geförderte Kandace Springs auf. Bereits 2018 hatte sie mit der WDR Big Band bei den Leverkusener Jazztagen zusammengearbeitet. Sie verfügt über eine schöne, warm timbrierte Stimme mit großen Ausdrucksvermögen.

Mal saß sie am E-Piano, mal relaxed auf einem Hocker. Songs wie „For All We Know“, „Unsophisticated“, „Gone Away“ oder „People make the World go round” gestaltete sie mit der ihr eigenen Intensität. Aber weil sich die Stücke mitunter sehr ähnelten, konnte der Eindruck einer gewissen Eintönigkeit nicht ganz vermieden werden. Zudem war die Balance zwischen den dominanten Bläsern und der Gesangsstimme nicht immer optimal ausgesteuert. Für ein Lied (sowie zwei Zugaben) setzte Springs sich an das klassische akustische Klavier und begleitete sich allein: „The first time ever I saw your face“ war der berührendste Moment des gesamten Konzerts. In diesem ruhigen Stück konnte sich die Schönheit ihrer Stimme ganz entfalten und sorgte für Gänsehaut. Trotz der kleinen Einschränkungen war es eine lohnendes Konzert und eine nachhaltige Begegnung mit einer außergewöhnlichen Sängerin.
Wolfgang Denker, 24. August 2025