Athen: „Hoffmanns Erzählungen“, Jacques Offenbach

Obschon manche nach Athen eingeladene Pressevertreter bereits verkünden, die Griechische Nationaloper habe den Olymp der weltweit besten Opernhäuser erklommen, weiss man hier sehr wohl, dass es noch ein weiter Weg ist dorthin. Immerhin können dank der finanziellen Unterstützung der Stavros Niarchos Stiftung wichtige Schritte hin zu einer Internationalisierung des Athener Opernbetriebs gemacht werden. Unter dem Intendanten Giorgos Koumendakis werden die Kollektive erneuert bzw. verjüngt, das Repertoire erweitert, Gastsänger von Rang engagiert und internationale Kollaborationen eingegangen. Es zeichnet sich eine positive Entwicklung ab, die aber die Frage aufwirft, wie die Nationaloper diesen Weg ohne permanente Zuwendungen von der Stavros Niarchos Stiftung in Zukunft wird fortsetzen können. Die aktuelle Produktion von Jacques Offenbachs Oper „Les contes d’Hoffmann“ macht das Erreichte exemplarisch anschaulich.

(c) Andreas Simopoulos

Offenbachs Werk kommt als Koproduktion mit der Oper in Brüssel auf die Bühne. Die Premiere fand in Belgien bereits im Jahr 2019 statt. Regisseur der Produktion ist der international renommierte und gefragte polnische Theatermacher Krzysztof Warlikowski. Das Athener Publikum kennt sein Schaffen bereits aufgrund von Gastspielaufführungen. Die Aufführungsserie in Brüssel erhielt positive Kritiken und so war in der griechischen Hauptstadt die Spannung und Vorfreude gross, Warlikowski nun als Opernregisseur zu erleben. „Les contes d’Hoffmann“ ist ein Werk, das bekanntlich drei Erzählungen E.T.A. Hoffmanns mit einer Handlung rahmt, die den Schriftsteller zum Hauptakteur macht. Es geht um einen Künstler und dessen Beziehung zu einer Frau, einer Sängerin, die gleichsam in drei unterschiedlichen Frauenfiguren gespiegelt wird. Im romantischen Blick des Dichters steckt, und das öffnet die Tür zu interessanten Interpretationen, viel Surreales und Tiefenpsychologisches. Und dies macht es für einen Regisseur wie Krzysztof Warlikowski fraglos spannend, sich mit Offenbachs Oper auseinanderzusetzen.

(c) Andreas Simopoulos

Warlikowski zeigt uns Hoffmann als Filmemacher, er folgt Höhen und Tiefen des künstlerischen Alltags eines Mannes, der vom Film und einer Frau besessenen ist. Der eindrucksvolle Bühnenraum von Małgorzata Szczęśniak gibt den Blick auf Innen- und Aussenwelten frei, in dem er permanent zwischen zwei Raumfigurationen wechselt: Er ist prachtvoller Kinosaal und Filmstudio. Der Filmscreen ist in dieser Inszenierung allgegenwärtig, ebenso wie Referenzen zum Werk von David Lynch. Es ist nicht immer einfach den Handlungsfaden im Auge zu behalten, es ist aber äusserst faszinierend, dieser surrealen Bühnenwelt und den Fragen, welche sie aufwirft, ansichtig zu werden. Der Antonia-Akt wechselt zum Beispiel vom Casting zum Filmshooting und endet mit einer kurzen eingefügten Szene, in welcher Antonia gleichsam aus der Rolle fällt – die Figur entpuppt sich als traumatisierte Schauspielerin, die nicht über den Tod ihres Sohns hinwegkommt. Warlikowski schärft den Blick für die Schattenseiten des Filmgeschäfts, sein Filmemacher ist ein Getriebener, innerlich Zerrütteter. Sein und Schein der Filmwelt fügen sich sehr gut zum erzählerischen Duktus von E.T.A. Hoffmann. Der Regisseur zeigt uns, dass der Weg zum Oscar wenn nicht mit Leichen geplastert ist, so doch mit Traumata und Verletzungen einhergeht. Warlikowskis Inszenierung ist im besten Sinne irritierend, für manche wohl auch recht verstörend.

Lukas Karytinos hat das Orchester sicher im Griff. Der Dirigent bietet keine aufregende Interpretation, aber eine gute Grundlage für einen gelungenen Opernabend. Die Leistung des Chors (Einstudierung: Agathangelos Georgakatos) ist bemerkenswert gut. Das Kollektiv gewinnt an Qualität. Von den zahlreichen Solisten des Abends seien nur vier genannt, zwei davon stechen in jeder Hinsicht heraus: Adam Smith als Hoffmann und Nicole Chevalier in den vier Frauenrollen sind hervorragende Sängerdarsteller, die das Konzept der Inszenierung bravourös umsetzen. Smiths Stimme hat alles, was ein Hoffmann braucht: elegante Stimmführung, sichere Höhe und metallene Grundierung. Chevalier erstaunt mit grosserer stimmlicher Wandlungsfähigkeit, die von Koloratur und Triller bis hin zum dramatischen Aufschwung reicht. Es ist der Abend dieser beiden Sänger. Daneben singen auf hohem Niveau Mary-Ellen Nesi die Muse resp. den Nicklausse und Tassos Apostolos die Rollen der Bösewichter. Das gesamte Ensemble auf der Bühne der Griechischen Nationaloper, das darf gesagt werden, zeigt sich von seiner besten Seite.

Es ist ein grosser Opernabend, den das Athener Publikum erlebt. Einige Zuschauer verlassen die gut vierstündige Aufführung früher. Die Verbleibenden feiern alle Beteiligten und ganz besonders Adam Smith und Nicole Chevalier.

Ingo Starz, 1. Januar 2022

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online Wien


„Hoffmanns Erzählungen“ Jacques Offenbach

Griechische Nationaloper Athen

29. Dezember 2022

Inszenierung: Krzysztof Warlikowski

Musikalische Leitung: Lukas Karytinos

Orchestra of the Greek National Opera