Marc-André Dalbavie
Deutsche Erstaufführung: 14. Januar 2017
Besuchte Vorstellung: 8. Februar 2017
Gleich zwei Auseinandersetzungen des Musiktheaters mit der in Auschwitz ermordeten Künstlerin Charlotte Salomon erlebten in den letzten drei Jahren ihre Uraufführung. In Gelsenkirchen choreografierte Bridget Breiner im Februar 2015 ein Ballett auf die Musik von Michelle Dibucci, und bei den Salzburger Festspielen kam im Sommer 2014 die Oper von Marc-André Dalbavie zur Uraufführung. Bielefeld spielt dieses Werk nun als deutsche Erstaufführung.
Grundlage beider Werke ist Charlotte Salomons autobiografische Bildersammlung „Leben? oder Theater?“. Erstaunlich ist, dass Charlotte Salomon in beiden Bühnenwerken nicht nur über ihre Kunstwerke das Bühnenbild prägt, sondern über die musikalischen Verweise, die sie auf ihren Bildern notiert hat, auch die kompositorische Arbeit von Dibucci und Dalbavie bestimmt.
Im ersten Teil der Oper hat man den Eindruck, dass Dalbavie durch diese Vorgaben stark eingeschränkt wird, denn Stücke wie Schuberts „Tod und das Mädchen“ oder der Brautjungfernchor aus Webers „Freischütz“ bilden das Gerüst. Dalbavie hat diese Vorlagen sehr geschmackvoll instrumentiert, kommt hier aber noch nicht zu einer kompositorischen Eigenständigkeit. Unter der Leitung von GMD Alexander Kalajdzic bringen die Bielefelder Philharmoniker die Musik schön zum Leuchten. Besonders der Reichtum an Farben und Schattierungen wird sorgfältig ausgeleuchtet.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Lebensgeschichte der jüdischen Künstlerin, die 1917 in Berlin geboren wurde, 1935 ein Studium der Malerei begann, 1939 nach Südfrankreich floh und 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Die Problematik aus dieser Geschichte einer Oper zu konstruieren, bemerkt man auch in Dalbavies Oper: Der erste Libretto-Entwurf rückte das Schicksal der vor den Nazis geflohenen Jüdin ins Zentrum, schien dem Komponisten aber zu austauschbar. Das vertonte Libretto von Barbara Honigmann benutzt nur originale Texte der Künstlerin, arbeitet aber keinen zentralen Konflikt heraus.
Ein interessanter Aspekt wäre zum Beispiel, dass Charlotte aus einer Familie von Selbstmörderinnen stammt, jedoch einen starken Lebenswillen entwickelt. Die Bedrohungen durch die Nazizeit thematisiert die Oper nur am Rande. Auch ist das Ende, wenn Charlotte beschließt, ihre Probleme in der Kunst zu verarbeiten, ein hoffnungsvolles. Am ehesten kann man in dieser Oper erfahren, wie das Familienleben der jungen Frau ihr künstlerisches Werk beeinflusste und sie dabei Bezüge zu berühmten Kompositionen herstellte.
Bühnenbildnerin Cleo Niermeyer ermöglicht es mit Portalschleier und Leinwand auch die Malerei Salomons als Videoprojetionen, für die Malte Jehmlich verantwortlich ist, in die Aufführung zu integrieren. Ein Gerüst mit Treppen und Stegen bietet auf der Drehbühne weitere Auftrittsmöglichkeiten. Regisseurin Mizigin Bilmen rückt sowohl die persönlichen Nöte der Künstlerin als auch die Familiengeschichte mit einer authentischen Personenführung in den Mittelpunkt. Künstlerisch verfremdet wird das Geschehen durch die Kostüme Alexander Djurkov Hotters, der alle Figuren aussehen lässt, als seien sie den Bildern Charlotte Salomons entsprungen.
Lediglich Schauspielerin Jana Schulz als Charlotte Salomon ist nicht in dieser Weise kostümiert, darf sie selbst bleiben. Es ist ein besonderer Coup, dass es dem Bielefelder Theater gelungen ist, Jana Schulz für diese Rolle engagiert zu haben. Die Schauspielerin feiert in Hamburg und Bochum große Erfolge und wird im März 2017 mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring ausgezeichnet. Die gebürtige Bielefelderin spielt nun zum ersten Mal an dem Haus, an dem sie als Jugendliche vom Theater-Virus infiziert wurde.
Wer Schulz in den Inszenierungen Roger Vontobels gesehen hat, kennt sie als harten und kantigen Charakter, als Darstellerin voll unerbittlicher Energie. In der Oper zeigt sie nun auch ihre weichen und zerbrechlichen Seiten. Beachtlich, dass sie mit dem Klischee bricht, dass sie sonst repräsentiert.
Das Bielefelder Theater besetzt die vielen kleinen und großen Gesangsrollen aus dem eigenen Ensemble. Hasti Molavian singt mit kraftvollem Sopran das Alter Ego der Künstlerin, Charlotte Kann. Mit warnen und vollem Mezzo gestaltet Nohad Becker die Opernsängerin Paulinka Bimbam, während Daniel Pataky mit weichen Tenorfarben den Amadeus Daberlohn singt.
„Charlotte Salomon“ ist ein weiterer interessanter Versuch die Erinnerung an eine von den Nazis ermordete Künstlerin wach zu halten. Gleichzeitig regt das Stück an, sich mit Leben und Werk der Malerin zu beschäftigen.
14.2.2017 Rudolf Hermes
Bilder (c) Theater Bielefeld