Selbstredend stand wiederum eine Starpianistin im Zentrum dieses letzten sinfonischen Konzerts anlässlich des nun jährlich stattfindenden Festivals LE PIANO SYMPHONIQUE im KKL. Zuerst aber möchte ich auf die rein orchestralen Programmpunkte des Abends eingehen. Während bei Martha Argerich mit Schumanns Klavierkonzert und bei Yoav Levanon mit Paderewskis Klavierkonzert jeweils das Residenzorchester des KKL, das Luzerner Sinfonieorchester, spielte, wurde nun das Orchestre de la Suisse Romande unter seinem Chefdirigenten Jonathan Nott eingeladen – ein wertvoller kultureller Austausch zwischen den Sprachregionen der Schweiz, der öfter passieren sollte, verfügt dieses kleine Land doch über mehrere ganz ausgezeichnete Konzertformationen. Für den Dirigenten Jonathan Nott war es quasi eine Heimkehr, leitete er doch als Chefdirigent und als Musikdirektor das Sinfonieorchester Luzern und das Luzerner Theater von 1997 bis 2002.
Nott ist bekannt für seinen Einsatz für Werke des 20. Jahrhunderts und für zeitgenössische Musik. So brachte er für das gestrige Konzert Arthur Honeggers „Rugby“ und Igor Strawinskys „Petruschka“ mit und ließ das OSR nach begeistertem Schlussapplaus auch noch Maurice Ravels „Un Barque Sur L‘ ozean“ spielen. Bei allen drei Werken bewunderte man die oszillierenden orchestralen Farben, welche das großartig aufspielende Orchestre de la Suisse Romande (OSR) zu Gehör brachte. In Honeggers jazzig unterhaltsamen Stück bewunderte man die musikantische Rhythmik, die originelle Instrumentation, diese ständige, aber nie nervende sondern zum Schmunzeln animierende Unruhe und die überraschenden Wendungen. Das Stück ist kurz, prägnant und einfach ganz große Klasse – vor allem wenn es mit so viel hörbarer Freude am gemeinsamen rhythmisch präzisen Musizieren präsentiert wird.
Überschäumende Jahrmarktsstimmung, vergebliche Liebesmüh und die Tragik der Petruschka-Puppe prägten Strawinskys Burleske. Mit fesselnder Agogik, unentrinnbarem, plastisch gestaltendem Drive und wiederum immenser Farbigkeit intonierte das OSR unter Jonathan Nott diese mitreißende und gefühlvolle Partitur. Man brauchte nicht mal die Optik des Balletts, um in die Geschichte hineinzufinden, denn das Orchester erzählte mit gekonnter Lautmalerei alles, was man wissen musste. Herausragende Einzelleistungen der Soloflöte, der Pianistin, der Blechbläser, der Bassklarinette oder des Fagotts entfalteten sich auf dem spannungsreichen Klangteppich des Orchesters. Spannend war es auch, dem Dirigenten und insbesondere seinem bis in die Fingerspitzen genau ausformendem interpretatorischen Wirken zuzusehen – eine Formgebung, die sich eins zu eins auf das Spiel der Musiker auswirkte.
Dieser klar definierte Gestaltungswille führte auch bei Ravel zu einem stimmungsvollen Klangzauber, das Riesenorchester wurde quasi zu einem bewegten Meer, mal ruhige, dann aber auch bedrohliche Wellen werfend. Wunderbar!
Im Mittelpunkt des Programms stand logischerweise Tschaikowskis b-Moll Klavierkonzert mit der georgisch-französischen Starpianistin Khatia Buniatishvili als Solistin. Tschaikowskis erfolgreiches erstes Klavierkonzert hat man schon oft gehört, für mich persönlich prägend war meine erste Langspielplatte des Tschaikowski-Konzerts mit dem 24jährigen Van Cliburn unter der Leitung von Kyrill Kondraschin. Ich gebe es zu, es fällt mir oft schwer mich von Hörgewohnheiten zu entfernen. Deshalb sind meine Einwände gegen die Interpretation des Konzerts durch Khatia Buniatishvili ganz subjektiver Natur. Mir schien es, Khatia Buniatishvili wolle alles anders machen. Abrupte Tempowechsel, ausgeprägte ritardandi oder accelerandi führten für mich zu einem fahrigen Eindruck. Der erste Satz schien mit insgesamt zu überhastet mit plötzlichen Tempostopps, um einen Eindruck der Geschlossenheit zu hinterlassen. Natürlich war das technisch ausgezeichnet gespielt, die differenzierte leicht manieristisch scheinende Anschlagskultur von Khatia Buniatishvili ist absolut bewundernswert. Aber gerade zum Beispiel die nach der kurzen Orchestereinleitung so effektvoll aufsteigenden Akkorde schienen mir zu flüchtig und tempo massig unpräzise, artifiziell verzögert einzusetzen. Der Dirigent Jonathan Nott nahm das schnelle Tempo auf, doch hatte man manchmal das Gefühl, das passe alles noch nicht bruchlos zusammen. Manches klang gehetzt, anderes wieder zu gedehnt, von der Solistin sehr eigenwillig interpretiert. Aber es gab natürlich auch Momente von überragender Schönheit, das Duettieren des Flügels mit der Flöte zum Beispiel oder wunderbar fein perlende Läufe im Pianissimo, eine Kunst, die Khatia Buniatishvili wie kaum eine andere beherrscht. Im zweiten Satz, diesem wunderbaren Andantino, fehlte erneut der große Atem, der Bogen. Die zum Teil technisch sensationell gespielten Einzelteile wirkten sezierend, führten zum Zerfall des Ganzen. Auch im Finalsatz, diesem auf der Rondo-Form aufgebauten Allegro con fuoco wirkte vieles zu analytisch, als fürchtete sich die Interpretin vor zu viel Schmalz und Schwulst, wollte nur ja keine Emphase aufkommen lassen. Nichtsdestotrotz durfte sie am Ende eine lang anhaltende Ovation entgegennehmen.
Als Zugabe spielte Khatia Buniatishvili die Klavierversion des Adagios aus Alessandro Marcellos Oboenkonzert in d-Moll, welches Johann Sebastian Bach für Cembalo bearbeitet hatte (BWV 974). In dieser Bearbeitung einer Bearbeitung nahm man gerne die interpretatorischen Freiheiten Khatia Buniatishvilis in Kauf, weit gedehnte, traumverlorene Piani mit überaus großzügig appliziertem Pedaleinsatz. Das Publikum war verzückt.
Kaspar Sannemann 11. Februar 2023
Luzern KKL
Arthur Honegger: Rugby, Mouvement symphonique Nr. 2
Schostakowitsch: 11. Sinfonie
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: Klavierkonzert Nr. 1
Igor Strawinsky: Petruschka
Khatia Buniatishvili
Orchestre de la Suisse Romande
Dirigat: Jonathan Nott