Nach den Sinfonien vier und fünf veröffentlicht nun das Label Pentatone die dritte Einspielung der Mahler Sinfonien mit der Tschechischen Philharmonie und ihrem Chef-Dirigenten Semyon Bychkov.
Zu hören ist die zweite Sinfonie „Auferstehung“, ein gewaltiges Werk mit vielerlei Extremen. Der Interpretationsansatz von Semyon Bychkov hat sich gegenüber seinen früheren Dirigaten sehr verändert. Waren diese von höchster Energie und Risikobereitschaft geprägt, gestaltet Semyon Bychkov heute mit großer Abgeklärtheit. Im Mittelpunkt stehen bei ihm Tonschönheit und Transparenz. Ironie und Groteske sind in der Mahler Interpretation von Bychkov flüchtige Gäste. Mit Ruhe und Gelassenheit lässt er die Musik für sich selbst sprechen. Dies zeigt sich auch in den sehr breiten Tempi, für die der Dirigent sich entschied. Allerdings gelingt es ihm nicht immer, die Spannung zu halten, so hängt der überlange letzte Satz mit knapp 36 Minuten immer wieder durch. Dynamisch geht er den Extremen dieser intensiven Gefühlsachterbahn komplett aus dem Weg. Gustav Mahler im geschönten Klang. Das Menuett im zweiten Satz klingt naiv und pur, ohne Geheimnis. Selten klang das Scherzo des dritten Satzes so ernst und damit auch viel zu beiläufig. Auch die großen Eruptionen im fünften Satz, wie z.B. das gewaltige Schlagzeug Crescendo wirken überaus gebändigt. Zu vorherrschend ist der Eindruck, eines allzu gezähmten Musizierens. Nie lässt Bychkov das Orchester von der Leine, was Mahlers Sinfonie in seiner Wirkung empfindlich verkleinert.
Mit Elisabeth Kulmans „Urlicht“ öffnet sich das Tor zu einer anderen Welt. Derart gesammelt und hoch konzentriert in Tongebung, ist dieses so besondere Solo selten zu erleben. Die Klangfarbe ihrer Stimme ist herrlich ausgewogen und kultiviert. Jede Silbe ist vorbildlich, verständlich und mit tiefem Sinn vorgetragen. Kulman gebietet als ehemalige Sopranistin nicht über eine erhabene Alt-Stimme, dafür sind gerade die finalen Phrasen in der höheren Lage dafür wunderbar leicht und wohltönend. Ein Ereignis! Welche Enttäuschung dann im Kontrast dazu der stark schwächelnde Prager Philharmonische Chor. Dazu singt dieser überwiegend nur Vokalisen, ohne Verwendung von Konsonanten. Kein Wunder, dass dann die herrlichen Textzeilen verschenkt wurden, so ausdruckslos und komplett unverständlich kommen die Silben daher, zu hören ist: „Aaaauuuuueeeeee“, anstelle von „Auferstehn“. Ein Ärgernis! Christiane Karg steuert sehr leichtgewichtige, soubrettig schwächelnde Soprantöne bei. Auch von ihr ist viel zu wenig Text zu verstehen.
Die Tschechische Philharmonie ist hörbar mit der Musik Gustav Mahlers vertraut. Vor allem in den Holzbläsern sind besonders individuelle Beiträge gelungen. Die Streichergruppe sorgt für eine feine Transparenz, während die viel geforderten Blechbläser mit schlanker Tongebung immer wieder an ihre Grenzen gelangen, ausgenommen sind die strahlenden Hörner. Zu leicht gewichtig erklingt einmal mehr das Schlagzeug. Der großen Trommel fehlt die Tiefe in der Resonanz, während die Becken zu flach und klein klingen. Feine Farbnuancen sind in der Fernmusik des letzten Satzes zu hören.
Pentatone hat diese große Sinfonie sehr weiträumig aufgenommen. Das Klangbild betont etwas zu stark die Höhen auf Kosten der Tiefen, denen die Substanz fehlt. Manche Klangspielereien der Tontechnik sind störend, wie Pegelveränderungen im zweiten Satz. Ausgerechnet in dem wunderbaren „Urlicht“ stimmt die Balance zwischen Orchester und Stimme überhaupt nicht. Die Blechbläser sind gefühlt einen Kilometer weit vom Ohr entfernt, während Streicher und Gesangsstimme etwas zu nah am Ohr des Hörers sind. Auch sind die beiden Solistinnen nicht immer in gleicher Position am Mikrofon, was irritiert. Sehr gut sind hingegen die Fernmusiken im letzten Satz aufgezeichnet.
Insgesamt eine leider nur gediegene Interpretation von Semyon Bychkov, die Mahler vom Blatt gespielt in schöner Klangqualität ertönen lässt. Ein akademischer Vortrag, an dem Karl Böhm seine Freude gehabt hätte. Allerdings blieb dem ewigen Nörgler Böhm das Verständnis für das Genie Mahlers verwehrt, sodass er keine Sinfonien von ihm einstudierte. Wer mehr gestalterische Tiefe und Extreme sucht, der ist bei Leonard Bernstein oder der letzten Live-Aufnahme mit Klaus Tennstedt wesentlich besser bedient.
Dirk Schauß, 8. April 2023
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 2 „Auferstehung“ c-Moll
Chritiane Karg, Sopran
Elisabeth Kulman, Alt
Prager Philharmonischer Chor
Tschechische Philharmonie
Semyon Bychkov, Leitung
Pentatone, PTC 518 69 92