DVD: „Manon Lescaut“, Megarität von Aubert

Etwas vorweg: Daniel, Francois, Esprit Auber (1782-1871) war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der allerbekanntesten Komponisten und der Star der Opera Comic in Paris, für die er an die 50 Opern komponierte. „Die Stumme von Portici“ (1828) war derart berühmt, dass man auf der Straße ihre Melodien pfiff. Durch eine Aufführung dieser Oper, mit ihren Freiheitsgedanken, wurde in Belgien sogar eine Revolution ausgelöst. Bei EMI gibt es noch die großartige CD von 1987 mit Alfredo Kraus. Die komische Oper “Frau Diavolo“ (1830) wurde auch zum Beginn meiner „Opernlaufbahn“ in den sechziger Jahren noch oft aufgeführt. Es gab damals sogar eine Verfilmung mit dem berühmten Wagnertenor (!) Wolfgang Windgassen. Auch den Maskenball nahm Auber Verdi vorweg („Gustav III.“ 1833) und vom „Der Schwarze Domino“ erschien 1995 noch eine hübsche CD mit Sumi Jo. 1856 folgte dann seine „Manon Lescaut“. Noch vor seinem Tod geriet Auber aber schon in Vergessenheit, da die Opera Comic inzwischen als antiquiert galt.

Aubers feine, elegante und geistvolle Musik hat in den ersten beiden Akten ihre größten Momente: die Schilderung der flatterhaften, oberflächlichen, aber auch entzückenden Manon ist hinreißend und von großem Zauber. Da übertrifft er mit dem Charme und Liebreiz seiner feinen Musik eigentlich alle 3 Konkurrenten. Schwerer tut er sich mit dem 3. Akt, denn große Dramatik war seine Sache nicht. Manons Tod wird so zum elegischen Dahinschwinden. Das ist nicht ohne tiefe Wirkung, denn seine sensible Musik berührt durchaus. Die geradezu vulkanischen Gefühlseruptionen Puccinis sind dazu das andere Extrem. Interessant, dass bei Auber Prevosts Roman sehr verändert, wurde: die beiden leben zu Beginn schon länger miteinander, keine Flucht vor dem Kloster und dem Priesterseminar, kein Vater Des Grieux. Dafür werden die vielen Liebhaber auf nur einen reduziert, dem stark aufgewerteten Marquis d`Herigny, der unglücklich in sie verliebt ist und mehr zu singen hat als der fast zur Nebenfigur degradierte Des Grieux, dem nicht einmal eine einzige Arie gegönnt wird! Und das bei einem Tenor! Manon aber wird zum fast unschuldigen naiven Opfer ihres schurkischen Vetters Lescaut und des ziemlich verantwortungslosen Des Grieux. Ich nehme an, dass diese Umwandlungen wegen der Zensur geschahen, die eine Beinah- Dirne, wie bei Prevost, als Titelfigur niemals zugelassen hätte.

Diese einzige DVD dieser Oper gibt es bei Klassik Center und man muss dankbar sein, dass es überhaupt eine gibt. (Tatsächlich auch noch im Amazon Angebot) Die Aufnahme stammt zwar schon von 1990 und bleibt der Tradition sehr treu. Aber das ist kein Nachteil. Denn eine so unbekannte Oper würde durch die heute üblichen Verfremdungen unverständlich. Aber so ist eine recht ansprechende, wenn auch brav solide Inszenierung (David Freeman) zustande gekommen, in einem modern stilisierten Einheitsbühnenbild und einer ruhigen Regie. Bloß der 3. Akt läuft dann aus dem Ruder: diese brutalen Szenen auf der Bühne mögen ja authentisch für ein Straflager gewesen sein, sie passen aber in der ausgespielten Realität weder zur Regie der beiden ersten Akte noch zur sensibel feinsinnigen Musik. Darauf hätte man verzichten können, um stattdessen lieber die Charaktere mehr zu betonen. Elizabeth Vidal ist vom Typ her genau richtig besetzt, wenn sie auch die Koloraturen Opulenz einer Sumi Jo nicht erreicht. Rene Massis schafft die für einen Bariton sehr anspruchsvollen Höhen des Marquis mühelos, ist aber darstellerisch viel zu steif. Der des Grieux des Alain Gabriel sieht ebenso blendend aus wie er singt. Das Orchester leitet Patrick Fournillier gründlich und routiniert. Aber nun kommt es: bei einer so unbekannten Oper müssten doch unbedingt Untertitel vorhanden sein. Das rasend schnelle Französisch, überfordert unser Schulfranzösisch total. Da hilft es auch nichts, aus dem Internet das Libretto herunterzuladen, da die Dialoge für diese Einspielung extra neu geschrieben wurden, was ja beweist, wieviel Mühe man sich gemacht hat. Ein Witz aber ist das im Cover vollmundig angepriesene sogenannte „Booklet“: es besteht aus 1 Seite (!) auf der in 5 Sprachen jeweils 17 Zeilen zum Werk stehen! Und noch dazu in einer lausigen Übersetzung.

Peter Klier 11. April 2023


KLASSIK CENTER KASSEL

2016

DVD

Theatre Imperial de Compiegne