(c) Peter Klier
MusicAeterna – Teodor Currentzis
am 15. November 2015
Als östlichste Stadt Europas ist die Millionenstadt Perm, ein Verkehrsknotenpunkt
am schiffbaren Fluß Kama und der Transsibirischen Eisenbahn gelegen, vielen unbekannt. Lange Zeit war sie unter dem Stadtnamen „Molotov“ wegen ihrer Rüstungsindustrie für westliche Besucher „verbotene Stadt“. Opernfreunden war auch lange Zeit unbekannt, daß es dort ein Opern- und Ballett-Theater gibt, bis der Grieche Teodor Currentzis 2011 zu seinem musikalischen Leiter berufen wurde und die Möglichkeit erhielt, sein eigenes Orchester mitzubringen, von ihm gewünschte Sänger zu engagieren und sehr intensiv einzustudieren.. Damit sorgte er dann zunächst wegen seiner Aufführungen und Einspielungen von Opern Mozarts sehr schnell für weltweites Aufsehen. Dessen Berechtigung konnten er und sein Orchester MusicAeterna jetzt im Konzerthaus Dortmund beweisen mit konzertanten Aufführungen der drei Opern, die Mozart auf Texte Lorenzo da Pontes komponiert hat.
Nach „Cosi fan tutte“ wurde am vergangenen Sonntag „Figaros Hochzeit“ („Le Nozze di figaro“) aufgeführt. Wie bei den anderen Mozart-Opern auch spielte das Orchester nach historischem Vorbild, die Violinen mit Darmsaiten, Hörner und Trompeten ohne Ventile und Traversflöten aus Holz, alle gestimmt auf 451 hz. Ebenso wie bei den Singstimmen gab es natürlich kein Vibrato. Das ergab einen etwas abgedunkelten Orchesterklang, dafür waren trotz für Mozart verhältnismässig grosser Streicherbesetzung alle Stimmen und Nebenstimmen sehr gut hörbar. Geiger und Bläser spielten im Stehen, nur bei den Rezitativen durften sie sitzen, das erhöhte die Aufmerksamkeit des Spiels, war aber sicher auch anstrengend, besonders bei langen Finalszenen.
Bei einer handlungsreichen Oper wie „Figaros Hochzeit“ mit Verstecken und Verkleiden wirken konzertante Aufführungen häufig lang, das war hier nicht der Fall. Alle hatten die Oper schon im Theater gespielt und sangen zum größten Teil ohne Noten. Deshalb konnten sie trotz fehlendem Bühnenbild die Handlung szenisch glaubhaft darstellen. So vermaß etwa Figaro beim ersten Duett das Dirigentenpult und Hammerklavier statt des Raums, Cherubino versteckte sich später vor dem Grafen im Orchester, es wurde geküßt und geohrfeigt wie vorgesehen. Der Notar Don Curzio stotterte wie üblich (Danis Khuzin), Gärtner Antonio (Harry Aghajanian) war vor lauter Saufen dauernd heiser, Sergey Vlasov war mit helltrimbrierten Tenor als schmieriger Intrigant ein Don Basilio wie man sich ihn vorstellt. Auch Beleuchtung wurde verwendet, bei Barbarinas „Nadel“ – Cavatine (frisch und keck Eleni Lydia Stamellou) wurde sogar die Instrumentenbeleuchtung gelöscht, sodaß die gedämpften Violinen und die gezupften Bässe fast im Dunkeln gespielt werden mußten – ein eindrucksvoller Beginn für den turbulenten letzten Akt.
Als resolute Strippenzieherin der Handlung ist Susanna fast dauernd auf der Bühne, in den meisten Ensembles wirkt sie mit. Stimmlich sich immer steigernd und lebhaft im Spiel war Fanie Antonelou eine Spitzenbesetzung, bis hin zur großartig gesungenen Arie „O säume nicht“ (Deh vieni) mit zartem p bis in tiefe Lagen hin zum hier sehr deutlich hörbaren, fast getanzten Siciliano-Rhythmus des Orchesters. Absolute Spitzenbesetzung war Vito Priante für den Figaro. Seine wandlungsfähige Stimme konnte alle Gefühlslagen deutlich machen, als gebürtiger Italiener lag ihm das schnelle Parlando am besten vor allen. Über einen wunderbar lyrischen gleichzeitig in allen Lagen tragfähigen Sopran verfügte Natalia Kirillova als jugendliche schlanke Gräfin. Ihre langen p-Töne beim „Dove sono“ waren hinreissend, das Duett mit Susanna über die „sanften Abendwinde“ war reinster Musikgenuß. Jugendlich wirkte auch Konstantin Shushakov , allerdings fehlte der Stimme besonders in der grossen Arie „Der Prozess schon gewonnen“ etwas der stolze Biß des Macho-Typs. Hinreissend war auch Paula Murrihy als Cherubin mit schlanker überzeugend geführter Stimme in ihren beiden Arien. Die unbekümmerte Jugendlichkeit dieser vielleicht schönsten Rolle in Mozarts Opern gestaltete sie verführerisch. Typischen Mezzo-Glanz in der Stimme hörte man von Maria Forsström als auch noch jugendliche Marcelline. So war es passend, daß sie auch ihre Kunst des Koloraturen-Singens in der Arie im letzten Akt zeigen konnte. Nikolai Loskutkin steuerte als Bartolo die ganz tiefen Töne bei. Der Chor sang seine kleinen Partien exakt.
Ein so großartiges Erlebnis wurde der Abend aber vor allem durch die musikalische Leitung von
Teodor Currentzis. Tänzelnd Einsätze gebend, den Rhythmus manchmal stampfend, wobei er die ohnehin deutliche Pauke noch verstärkte, mit beweglicher Zeichengebung ohne Taktstock waren seine Tempi teils sehr schnell. Im ersten Unisono-Presto Teil der Ouvertüre fürchtete man fast, so schnell könnten die Geigen gar nicht spielen, aber sie konnten es. Das ganz kurze Duettino im zweiten Akt zwischen Susanna und Cherubino hat man kaum so schnell gehört, aber sie waren zusammen. Ritardandi setzte er ohne Übertreibung an den passenden Stellen ein. Die Balance zwischen Streichern und Bläsern gelang bei der guten Akustik des Konzerthauses optimal. Statt Wohlfühl-Atmosphäre klangen Tanzrhythmen und Dramatik in Mozarts Musik überwältigend. Gefühlvoll begleitete der die Sänger, dafür verließ er das Podium, um ihnen Einsätze zu geben. Besonderes Lob verdienten Maxim Emelyanychev am stilgerechten Hammerklavier und seine Continuo-Gruppe für die geistreiche Begleitung der Rezitative,
Nach dem abschliessenden fast hymnischen „sotto voce“ „Ah tutti contenti“ folgte die schwungvolle Schlußsteigerung mit Chor und allen Solisten. Das Publikum im ausverkauften Konzerthaus reagierte danach mit einem Bravo-Geheul, das man den meist älteren Besuchern kaum zugetraut hätte. .Solch ein Abend erweckte beim Opernfreund höchstes Glücksgefühl. Morgen folgt „Don Giovanni“
Sigi Brockmann 16. November 2015
Fotos Pacal Amos Rest
PS: Bei Sony ist „Figaros Hochzeit“ mit MusicAeterna unter der Leitung von Currentzis auf CD erschienen, die Sängerinnen der Susanna und Marcelina sind dieselben wie gestern in Dortmund