Besuchte Vorstellung: 22.04.2018
Im Westen nichts Neues
Wenn sich ein Haus an einen Ring macht, dann stellt es sich einer großen Aufgabe. Eine Aufgabe, die Kräfte bindet, die aber auch ein Statement ist, denn welches Werk bietet eine solche Angriffsfläche, eine solche Schatzkammer an Möglichkeiten starke Aussagen zu treffen, eine ganzheitliche relevante Deutung zu formulieren. An der Düsseldorfer Rheinoper wird diese Chance schlichtweg vertan, denn nein, eine wirklich wegweisende oder bahnbrechende Produktion ist dieser „Siegfried“ wahrlich nicht. Nach einer szenisch enttäuschenden „Walküre“ ertrinkt nun auch der zweite Tag der Tetralogie in viel unnützem Tand auf der Bühne, schwachen Deutungsansätzen und zerbröselt in ein szenisches Klein-Klein, vermag aber sehr wohl musikalisch zu fesseln.
Regie-Altmeister Dietrich Hilsdorf gelingt es nicht diesen Ring zu einem großen Ganzen zu schmieden, ein großes Thema, einen klaren Deutungsansatz, eine Richtung sucht man vergeblich. Vielmehr wird viel an kleinen, hübschen Ideen in einen Topf geschmissen, viel zusammengestückelt, anstatt einen großen Wurf zu wagen. Gerade das üppige Bühnenbild entlarvt dieses szenische Manko. Denn hier bemüht Bühnenbildner Dieter Richter wirklich viel – zu viel. Und so steht das dekorative Portal mit den Kirmeslämpchen – wie auch in der Walküre – unnütz auf der Bühne herum um im Waldweben dezent ein paar grüne Birnchen zum Glühen zu bringen. Warum dieses Portal in einem sonst sehr konkret behaupteten Wellblechverschlag steht, der dann später ein Ringlokschuppen wird, in dem dann auch noch auf wunderbare Art und Weise ein Kampfhubschrauber gerät – ja, das wissen Regisseur und Bühnenbildner vermutlich alleine, denn als Zuschauer versteht man es nicht. Das Prinzip „viel ist viel“ liegt der Ausstattung zu Grunde und da gibt es freilich immer was zu schauen. Mime zeigt Videos aus dem Rheingold, Siegfried zerreißt Plakate am Portal, Fafner, ein quälend kulissiges Gebilde einer Lokomotive schiebt sich auf die Bühne, vermag aber auch nur kurz zu beeindrucken. Und last but not least liegt im dritten Akt auf einmal – wie bereits erwähnt – der abgestürzte Hubschrauber aus dem Finale der Walküre, umgeben von ein paar traurig züngelnden Videoflämmchen auf der Bühne, ja, immer noch in dem Ringlokschuppen, während sich Erda vorne unter einem grünen Tuch verstecken muss, dort eine halbe Stunde ausharrt um dann bedeutungsschwanger von der Bühne zu staksen. Nein, das macht alles wenig Sinn und ist in den einzelnen Szenen noch nett anzuschauen, aber der große Bogen, das, was eine Interpretation des Stücks, geschweige denn des Zyklus zu nennen wäre – das fehlt und das ist ehrlich gesagt enttäuschend. Dabei sind in der Zeichnung der Figuren wunderbare Ansätze zu finden, aber das reicht bei dem Umfang einer Wagneroper, ja gerade beim Umfang der Tetralogie eben nicht. Als Zuschauer sucht man vergebens nach klaren Themen. Worum geht es denn in dieser Produktion? Um den Menschen? Um die Macht der Industrialisierung? Um zwischenmenschliche Konflikte? Um Krieg und Zerstörung? Um die Verantwortung des Menschen für die Welt? – Leider von allem ein bisschen und in sich eben deutlich zu wenig. Dafür gibt es viel Kulisse, viel Nebel und sogar ein bisschen echtes Feuer. Dass das aber der Sache wenig bringt und die Schwächen der Regie nur entlarvt ist eindeutig. So bleiben am Ende gleichermaßen Vorhang und Fragen offen und die Hoffnung, dass die „Götterdämmerung“ den durchschlagenden Höhepunkt dieses Rings bringen wird schwindet dahin.
Dabei mühen sich einige der Darsteller redlich: Allen voran sei Cornel Frey genannt, der sich mit viel Verve in die Rolle des Mime schmeißt. Quirlig, wild, mal einfältig und dann doch durchtrieben legt er Siegfrieds Ziehvater an und beweist auch musikalisch, was für ein exzellenter Sänger er ist. Er ist ein Sänger, dem man gerne zuschaut, dem man gerne zuhört und der die Rolle einfach umwerfend meistert. In der Titelpartie präsentiert die Rheinoper Michael Weinius. Gesanglich lässt dieser Künstler keine Wünsche offen, die Höhen sicher und klangschön, die Piani zart, die wuchtigen Passagen kraftvoll und mit viel Glanz in der Stimme. Doch leider ist das Singen in der Oper nicht alles. Behäbig und mit wenig Schwung bewegt sich Weinius oftmals ganz unheldenhaft auf der Bühne. Gerade gegen die ihn umgebenden Energiebündel Mime und Wanderer (alias Wotan), mit wunderbarem Gesang und ausgesprochen spielfreudig von Simon Neal interpretiert, diskreditiert das die Heldenfigur deutlich. Als Brünnhilde präsentiert sich gewohnt souverän Linda Watson. Die vereinzelten Buhrufe, die sie als einzige am Abend entgegennehmen musste, schienen aber keinesfalls gerechtfertigt. Sie interpretiert die Brünnhilde absolut souverän, wenn auch szenisch ein bisschen zu sehr als Grand-Dame. Das lässt das Finale insgesamt leider zu einer eher konzertanten Angelegenheit werden, denn zwei Interpreten, die in ihrem Spiel derart zurückhaltend sind – das ist leider keine Freude. In den kleineren Partien überzeugen Jürgen Linn als finsterer Alberich, Thorsten Grümbel als dröhnender Fafner und Elena Sancho Pereg als zart tönender Waldvogel. Als Einspringerin in der Rolle der Erda stellt sich Christa Meyer dem Düsseldorfer Publikum vor und füllt diese Rolle mit ihrem glühendem Alt wunderbar.
Aber auch aus dem Düsseldorfer Graben tönt es beachtlich. GMD Axel Kober präsentiert wieder Wagner-Klang vom Feinsten. Hier stimmt eigentlich alles: Solide Tempi, eine ausgewogene Dynamik, Mut zum Schwelgen und raffinierte Feinheiten in den kniffligen Passagen – die hohe musikalische Qualität in dieser Produktion die Konstante ist, die den Ring zusammenhält.
Sebastian Jacobs 22.4.2018
Bilder siehe Premierenbesprechung