Premiere am 28.9.2019 in Gelsenkirchen
Oper in 16 Bildern nach Mary Shelley
Erstaufführung der vom Komponisten revidierten Neu-Fassung
Die Oper Frankenstein ist aus einer Produktion am Theater Basel hervor gegangen und wurde zu einem Auftragwerks der Hamburgischen Staatsoper – UA 2018 ebd. in der Fabrik Kampnagel. Wir kennen Literaturopern, komische Opern, Singspiele…etc. Was ist nun das Neue an dieser so titulierten Erzähloper? Lassen wir dazu den Regisseur zu Worte kommen, der im Vorgespräch diesen Stil folgender Maßen erläuterte: Wenn die Zuschauer die Augen schließen und dem gesprochenen und gesungenen Wort lauschen, braucht es beinahe kein Bühnenspiel, weil die Geschichte auch so zu verfolgen ist. Denn die Erzähltexte sind sehr ungewöhnlich für eine Oper und machen sie darum sehr spannend.
Erzählt wird die Geschichte des gut 200 Jahre alten Gothic-Novel Klassikers von Mary Shelley, leicht gekürzt. In der Oper von Jan Dvorak tritt das Geschöpf gleich zu Anfang auf und erzählt seine Geschichte in ausgesuchten Etappen. Viktor Frankenstein – ausgezeichnet gesungen von Piotr Prochera – der Erschaffer der Kreatur kommt erst später hinzu und fungiert als quasi ergänzender Erzähler. So wird die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven präsentiert und endet dankenswerter Weise schon nach 2 3/4 Stunden. Es gibt eine Pause, in der man aber nicht (!) davon rennen muß, denn diese zeitgenössische Oper beinhaltet keine Körperverletzungs-Musik. Sie ist ausgesprochen ver- und erträglich, da sie in einer gefälligen ohrengenehmen Stilmixtur angesiedelt ist, irgendwo zwischen Filmmusik, Mozart, Bartok, der Sängerin Björk, etwas Jazz, bisserl Musicaltouch und modernen Clusterstrukturen. Die finalen anspruchsvollen Schlagwerkorgien gereichen jedem Percussionisten zur höchsten Ehre und sind allerdings das Lauteste in dieser sonst recht ruhigen Kammeroper.
Die Regie von Sebastian Schwab zeichnet ohne viel Verfremdung die spannende, traurige Geschichte sehr werktreu und gekonnt an der Grundstruktur des Originals nach. Die Kostüme von Rebekka Dornhege Reyes sind passend düster gewählt. Die Einheits-Bühne von Britta Tönne ist eine Art medizinischer Hörsaal, der variantenreich einsetzbar ist, inklusive der einfallsreichen Nutzung eines Stegs vor dem Orchestergraben. Selbst das Finale in der Arktis ist durch ausreichend Bühnennebel sehr einfühlsam umgesetzt.
Vom Komponisten Dvorak vorgegeben ist die Darstellung des Monsters als große Puppe, die ursprünglich von einer Schauspielerin gesprochen wird. Kommt in der Urfassung die Stimme noch aus dem Off, stehen in der MiR Produktion professionelle Puppenspielerinnen – Absolventinnen der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch – real auf der Bühne und agieren teilweise auch in den Mordszenen, losgelöst vom Puppenkörper.
Evi Arnsbjerg Brygmann, Bianka Drozdik, Eileen von Hoyningen Huene und Anastasia Starodubova machen ihre Sache grandios und ernten am Ende zu Recht euphorischen Beifall. Ein toller Einstieg, eine superbe Präsentation der neuen Sparte des Marionettentheaters am Musiktheater in Gelsenkirchen.
Giuliano Betta leitet brillant die die Philharmonie Westphalen, die sich heuer überwiegend aus Percussions und Streichern zusammensetzte; zusätzlich sehr stimmungsvoll begleitet vom Geräuschemacher Johannes Kuchta, der die Musik mit Waldklänge, Sturm, Gewitter und diversen skurrilen Lauten trefflich ergänzte.
Es gibt sogar einige sehr schön gesungene Frauenpartien – ungewöhnlich in einer modernen Oper – die an Lieder der extravaganten Schlager-Sängergin Björk erinnern; von Bele Kumberger als Frankensteins Braut Elisabeth und Rina Hirayama als Kindermädchen Justine sehr angenehm intoniert.
Fazit: Eine sehr spannendes, modernes Musiktheater, welches einmal nicht zum Flüchten, sondern zum Verbleiben einlädt; mit hoher Qualität seitens des Regieteams und den Sänger umgesetzt. Intendant Schulz beweist wieder einmal, daß dieses Haus zur Zeit sicherlich zu den Besten – nicht nur in NRW -gehört, und sowohl in der Programmvielfalt, als auch in kontinuierlicher Inszenierungsqualität vorbildlich arbeitet. Man fährt auch als Kritiker stets gerne nach Gelsenkirchen.
Peter Bilsing 30.9.2019
(c) Karl und Monika Förster