Premiere 27. Januar 2018 – besuchte Vorstellung 4. März 2018
Von der Hinrichtung von sechzehn Karmeliterinnen in Compiègne während der französischen Revolution am 17. Juli 1794 durch die Guillotine wissen wir durch eine überlebende Schwester. Daraus formte Gertrud von Le Fort eine Novelle „Die Letzte am Schafott“, indem sie das Schicksal einer Karmeliterin hinzufügte, die trotz der Chance zu überleben freiwillig mit den Mitschwestern betend den Märtyrertod wählte. Obwohl als Blanche de la Force geboren fehlte ihr aus Daseinsangst entgegen ihrem Namen charakterliche Stärke (Force), so nannte sie sich beim Eintritt ins Karmeliterkloster folgerichtig „Schwester Blanche von der Todesangst Christi“ (Blanche de l’Agonie du Christ) Danach wiederum verfaßte Georges Bernanos ein heute vergessenes Bühnenstück. Nicht vergessen sondern in letzter Zeit häufig aufgeführt ist die nach diesem Bühnenstück auf einen eigenen Text von Francis Poulenc komponierte Oper „Dialogues des Carmélites“ (Gespräche der Karmeliterinnen). Sie war jetzt wieder in einer rundum gelungenen stimmigen Aufführung am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen zu bewundern.
Das zeigte gleich das Bühnenbild von Ben Baur – eine der Handlungszeit des Stücks entsprechende Bibliothek des Marqis de la Force mit leeren Regalen, die mit wenigen Versatzstücken auch passte für die Räumlichkeiten im Kloster. Zum Schluß öffnete sich dann das Bühnenbild – die Kulissen wurden von auftretenden Jakobinern von Hand bewegt. So gab es einen passenden Rahmen für die wenigen Massenszenen. Wie erfreulich, war es, daß auch die Kostüme (Uta Meenen) der Handlungszeit des Stücks entsprachen – bis auf die weissen Unterkleider der Karmeliterinnen überwiegend in schwarz gehalten.
An zwei Stellen der Oper wird von drohenden Schatten gesprochen, einmal wenn Blanche sich vor dem Schatten des väterlichen Dieners fürchtet, dann als die sterbende alte Priorin von Gott als Schatten spricht. Demgemäß tauchten in der Aufführung häufig übergrosse Schatten von Personen hinter der Bühne auf, so z.B. des Arztes der alten Priorin oder natürlich der drohenden Jakobiner. (Video Kevin Graber) Dadurch wurde die Einsamkeit der auf der Bühne dargestellten Personen noch verstärkt.
In diesem Rahmen unterstützte die Inszenierung ( auch Ben Baur) die gewaltige Musik Poulencs, lenkte nicht von ihr ab oder widersprach ihr,nicht, wie heute leider häufig – das verdient allerhöchstes Lob! Die Oper wurde an einigen Stellen gekürzt, z.B. wenn Blanche gegen Ende des zweiten Aktes erschreckt durch die Parolen des vor dem Klostern schreienden Volkes den „kleinen König“ (das Jesuskind) fallen läßt, das dann zerbricht. Geschickt wurde die letzte Unterredung zwischen Mère Marie und dem Beichtvater (Edward Lee) ersetzt durch eine kurze Pantomime, in der letzterer Mère Marie fast mit Gewalt daran hindern mußte, den anderen Karmeliterinnen in den Tod zu folgen, sodaß sie als einzige überleben konnte. Immer wieder gelang es der Inszenierung zu verdeutlichen, daß Martyrium eben kein opernhafter Heldentod ist, sondern im Gebet gewonnenes Ergebnis des Kampfes gegen Angst und Schwäche.
Das lag natürlich auch am intensiven Spiel der Hauptdarstellerinnen. In der Riesenpartie der Blanche spielte Bele Kumberger eindrücklich die Zerrissenheit ihres Gemüts zwischen Angst sowohl im Leben als auch vor dem Tod und andererseits Hoffnung auf göttliche Gnade. Stimmlich gelangen ihr sowohl Sprechgesang als auch Steigerung in den ariosen Partien bis hin zu den Spitzentönen gegen Ende. Erschütternd spielte und sang bis zu ganz tiefen Passagen Noriko Ogawa-Yatake den schmerzerfüllten Todeskampf der alten Priorin, der sie an Gott zweifeln ließ und das schreckliche Ende der ihr anvertrauten Schwestern vorausahnte, eine der ganz grossen Szenen des Abends. Ganz gegenteilig erfreute Dongmin Lee als Schwester Constance mit fast heiterem Spiel in ihrer naiven Frömmigkeit, die auch Gedanken an den Tod nicht ausschloß. Stimmlich glänzte sie mit flüssigem, auch sehr raschem, Parlando, und klangvollen Legatobögen. Als Mère Marie konnte Almuth Herbst mit grosser Stimme sowohl Mut im Streitgespräch mit dem ersten Kommissar (Apostolos Kanaris), resoluten Ausdruck bei Beeinflussung der Mitschwestern als auch Nachsicht gegenüber der ihr von der alten Priorin anvertrauten Blanche ausdrücken. Als neue Priorin sang Petra Schmidt ihre beiden längeren Ansprachen in ausdrucksvollem Legato, allerdings mit manchmal forcierten Spitzentönen. Glaubhaft spielte sie Fürsorge und Trost gegenüber ihren „Töchtern“ im Angesicht der bevorstehenden Hinrichtung. Unter den wenigen männlichen Partien glänzte Ibrahim Yesilay mit schlankem höhensicherem Tenor in bester französischer Gesangstradition. Wohl deshalb war seine Französisch von allen am besten zu verstehen. Seine vielleicht sogar mehr als brüderliche Zuneigung zur seiner Schwester Blanche spielte er glaubhaft – immerhin nannte er sie früher und daran erinnernd auch beim letzten Abschied von ihr im Kloster „mein Häschen“ (mon petit lièvre). Danach wurde er auf der Bühne sichtbar vom Pöbel umgebracht. .
Alle anderen Darstellerinnen der Schwestern des Karmel paßten sich stimmlich und schauspielerisch dem hohen sängerischen Niveau der Hauptdarstellerinnen an, ebenso Piotr Prochera als Blanches Vater Marquis de la Force.
Gewohnt präzise sangen die Chöre des MiR ihre kurzen Partien einstudiert von Alexander Eberle.
Erfolgreich verantwortlich für den tiefen Eindruck des Abends war die anregende und überlegene musikalische Leitung durch Rasmus Baumann. Er entlockte der Neuen Philharmonie Westfalen alle Facetten von Poulenc’s vielgestaltiger Partitur. Lyrische Passagen klangen nicht übereilt, die teils exotische Instrumentation, z.B. Glocken, Peitsche, verschiedene Trommeln und anderes Schlagzeug, aber auch Celesta und Klavier, war gut durchzuhören. Viele Soli einzelner Instrumente besonders der Holzbläser waren zu loben. So gerieten, wie manchmal bei grossen Opern, die Zwischenspiele zwischen den einzelnen Bildern zu Höhepunkten. Auch akustisch schneidend hörte man zum Schluß die Guillotine ihr blutiges Werk ausführen.
Dabei war das letztes Bild dieses vielleicht wirkungsmächtigen Finales einer Oper des 20. Jahrhunderts bewußt zurückgenommen. Den blutverschmierten Henker (Zhive Kremshovski) hatte man vorher gesehen. So sangen zum Schluß die Schwestern jede mit einer Kerze in der Hand – wohl ihrem Lebenslicht – unter einer Projektion des Hinrichtungsdatums „Paris 17. Juli 1794“ – ihr „Salve Regina“. Bei jedem Tod durch das Fallbeil blies die entsprechende Schwester ihre Kerze aus und ging langsam nach hinten, sodaß zum Schluß Constance und die hinzugekommen Blanche als letzte so ihren Märtyrertod darstellten. Dann wurde die Bühne völlig dunkel – eben dank der sparsamen Mittel ein besonders zu Herzen gehender Schluß.
Das empfand offenbar trotz besonders vor der Pause häufigem und lautem Husten das Publikum ebenso, denn nach einer Besinnungspause applaudierte es herzlich und lange mit Bravos für die Sängerinnen der Hauptpartien Blanche, Constance und der alten Priorin und zu Recht besonders stark für den Dirigenten und das Orchester.
Sigi Brockmann 5. März 2017
Fotos Karl und Monika Forster