Premiere: 7.4.2019
Diese Inszenierung bitte in den Müll!
Das Theater Hagen, ein Haus von mittlerer Größe, beweist immer wieder außerordentliche Fantasie hinsichtlich seiner Repertoiregestaltung. Uraufführungen, Ausgrabungen, unorthodoxe Werkzusammenstellungen werden in schöner Regelmäßigkeit geboten. Manchmal gibt es auch den mutigen Griff über hauseigene Kapazitäten hinaus. In den vergangenen Jahrzehnten wurde beispielweise zweimal „Elektra“ auf die Bühne gebracht (natürlich in der reduzierten Orchesterfassung), nun zum wiederholten Male Wagners „Tristan“. Die letzte Produktion fand im März 1991 statt: Dirigent war Michael Halász, Regie führte Peter Rasky, die Ausstattung besorgte Reinhard Heinrich. Sänger waren Thomas Harper/Robert Bruins, Danuta Bernolak, Faith Puleston, Andreas Haller und Horst Fiehl. Die Namensaufzählung sei als Kompliment verstanden.
Die jetzige Aufführung imponiert mit ihren musikalischen Leistungen. Wie Joseph Trafton das Philharmonische Orchester Hagen zu einem ungemein disziplinierten Spiel animiert und den rauschhaften Wagner-Klang mit all seinen dunklen Vibrationen und glühendem Schimmern aufblühen läßt, ist fast schon als sensationell zu bezeichnen. Der herrliche Schlußakkord klingt noch nach, wenn man das Theater längst verlassen hat.
Das Sängerensemble von „Tristan“ besteht im Wesentlichen aus Gästen, insofern ist von einer hauseigenen Produktion nur bedingt zu sprechen. Aber das besondere Werk erfordert nun einmal besondere Maßnahmen. Um bei den Darstellern die Namensabfolge im Titel des Musikdramas zu wahren… Zoltán Nyári (derzeit fest in Oldenburg engagiert) begann seine Karriere als Schauspieler, was man seiner Bühnenpräsenz anmerkt. Der Wechsel zum Sänger geschah über Operette/Musical, bei der Oper ist der ungarische Tenor inzwischen längst im Heldenfach angelangt. Wie er zuletzt noch den strapaziösen dritten Aufzug mit nie nachlassenden Kraftreserven meistert, ist wirklich einzigartig. Doch kommen bei dem Sänger lyrische Feinheiten nicht zu kurz. Auch die international gefragte Magdalena Anna Hofmann hat sich hochdramatisch entwickelt. Nach der Hagener Isolde wird Beethovens Leonore in Bologna ihr nächstes Rollendebüt sein. Ohne jeden Spitzenton auf die Goldwaage legen zu wollen: die Tessitura der Wagner-Partie beherrscht die Sopranist mit großer Verve. Besonderer Vorteil ihrer Rollengestaltung ist das jugendlich wirkende Timbre, die weich gerundete Tongebung, was die Isolde vom Typus einer schwergewichtigen Heroine fernhält. Der Liebestod tönt lyrisch bis hin zum unangestrengten Schluß-Fis im Pianissimo.
In Hannover ist Khatuna Mikaberidze engagiert. Die Brangäne der georgischen Mezzosopranistin gefällt mit blühender, breit strömender Üppigkeit. Wieland Satter, vor kurzem eindrucksvoll in der Aachener Produktion von Bernsteins „Trouble in Tahiti“/„A quiet Place“ zu erleben, gibt einen markanten, rustikalen Kurwenal, der hauseigene Dong-Won Seo einen tragisch umflorten, dabei baßmächtigen Marke. In Hagen bereits als Steuermann zu erleben war Daniel Jenz (fest engagiert in Kassel), jetzt überzeugt er als junger Seemann und Hirt. Richard van Gemert und Egidijus Urbonas ergänzen als Melot und Steuermann das Ensemble angemessen.
Nunmehr ist auf die Inszenierung zu sprechen zu kommen. „Sind die Leute wahnsinnig? Ich muß unbedingt sofort den Intendanten sprechen.“ So könnte man einen Satz der Primadonna in der Strauss-„Ariadne“ variieren. Freilich: der Intendant des Theaters Hagen Francis Hüsers ist gleichzeitig „Tristan“-Dramaturg und versucht natürlich im Programmheft verständlich zu machen, was das Produktions-Team Jochen Biganzoli (Regie), Wolf Gutjahr (Bühne), KATHARINA WEISSENBORN (Kostüme) und Hans-Joachim Köster (Licht) auf die Bretter „gezaubert“ hat. Insgesamt sind Hüsers‘ Erläuterungen durchaus hilfreich.
Seinen Worten zufolge sind Tristan und Isolde nicht mehr von dieser Welt, gänzlich in privaten Gefühlsregionen eingeschweißt, für Belange des Gesellschaftlichen nicht ansprechbar, Diese „Symbole einer Lebensverweigerung“ sind einzig im Bereich der Kunst realisierbar. Eine simple Nacherzählung der Bühnenvorgänge schließt sich somit aus.
Biganzoli kerkert die Protagonisten also in Privaträume ein, von Gutjahr individuell gestaltet: zwischen schwarzen Wänden haust Isolde, Tristan wird von gleißendem Metall umgeben, welches zunächst von einem großen Tuch mit Selbstporträt verdeckt ist. Brangäne befindet sich in einem neutralen Raum (mit Badewanne, in welche sie sich zuletzt hineinlegt), Marke in einem leicht spießigen Schlafzimmer; Kurwenal kraxelt auf einem mit Fotos geschmückten Baugerüst herum. Sie alle haben keinen wirklichen Kontakt zueinander, bleiben in sich abgeschottet. Als erstes nimmt man übrigens einen mittigen Raum wahr, in welchem der befrackte Seemann seine Partie publikumsfrontal aus einem Klavierauszug abliest und wo später Melot einen stocksteifen Auftritt mit Schwert hat.
Es sei um Nachsicht gebeten, daß nicht noch weitere verquere Regieideen wie etwa die sich in Wandtexten austobende Isolde, die im Mittelakt angesäuselte Brangäne, der sich beim Liebesduett der Selbstbefriedigung hingebende Seemann oder der sich ständig umkleidende oder ins Bett legende Marke ausgebreitet werden. Über das szenisch Leidvolle läßt sich nicht einfach „mild und leise lächelnd“ referieren, der Frust über Gesehenes ist einfach zu groß. Regelrecht erschreckend der widerspruchslose Jubel des Premierenpublikums.
Christoph Zimmermann 8.4.2019
Bilder Theater Hagen