Frankfurt, Konzert: „John Eliot Gardiner“ mit Bachs h-Moll-Messe

Zwei Tage vor seinem achtzigsten Geburtstag beschenkte sich Sir John Eliot Gardiner und die begeisterten Zuhörer der Alten Oper Frankfurt mit einer denkwürdigen Aufführung der h-moll Messe von Johann Sebastian Bach. Gardiner hat einen Großteil seines Wirkens dem Meister Bach gewidmet und seine mitunter radikal anmutenden Interpretationen stetig weiterentwickelt. Im Mai 2010 war dieses Werk zuletzt mit Gardiner in der Alten Oper Frankfurt zu erleben. Nun also ein neuer Blick auf diese so besondere Komposition. Gardiner, der große Vorreiter für barocke-musikalische Klangforschung und Verfechter der historischen Spielweise, bot mit seinem Gastspiel einmal mehr eine faszinierende Hörerfahrung, die kaum mehr übertroffen werden kann. So modern und betont im Rhythmus ist Bach selten zu erleben. Keinerlei Routine, sondern unstillbare Faszination am Werk selbst, prägten dieses einzigartige Musikerlebnis. Tatsächlich erlebte das völlig hingerissene Publikum eine Sternstunde!

Bach unterteilte seine Hohe Messe in fünf Hauptteile, die er bis auf die letzte Abteilung zu Kantaten ausbaute. Umfangreiche Chöre, Sologesänge als manifestierter Glaubensausdruck und bestärkende Fugen wurden von Gardiner in deutlicher Dramaturgie vorgetragen. Sir John stand völlig souverän und auswendig dirigierend über den Dingen. Unermüdlich in seiner Energie und besonders wachsam führte er Chor und Orchester an diesem Abend zu einer begeisternden Gesamtleistung. Immer wieder mitsingend durchmaß er dieses Meisterwerk mit der ganzen Reife und Souveränität seines langen Musikerlebens.

Bereits das einleitende „Kyrie Eleison“ war pure Magie. Wie aus dem Nichts erklang der superbe Chor mit perfekter Intonation und vorbildlicher Textverständlichkeit. Sehr zurückgenommen und außergewöhnlich war der Chor im „Et incarnatus est“ und im „Crucifixus“ zu hören. Musikalische Hochspannung und tief berührend zugleich. Davon profitierten immens die Abschnitte „Cum sanctu spiritu“ und „Et resurrexit“, welche mit höchster Intensität vorgetragen wurden. Hellstes Licht in ungetrübter Lebensfreude prägte das „Laudamus te“. Und doch, diese Kontraste wurden meisterlich abgestimmt vorgetragen, sodass schlussendlich das finale „Dona nobis pacem“ der musikalische Gipfel war. Welche Steigerung, welche Feierlichkeit, welcher Glanz, eine ungemein bewegende Hörerfahrung! Eine musikalische Kontrastreise voller spiritueller Kraft und tiefer Kontemplation. Obwohl Sir John noch beschwörend die beiden Hände in der Luft hielt, konnte eine Gruppe im Publikum nicht mit dem Applaus warten. Dann noch einmal Ruhe. Und dann gab es einen Jubelsturm, wie ihn die Alte Oper lange nicht mehr erlebt hat!

(c) Alte Oper Frankfurt / Chris Christodoulou

Sir John war natürlich mit seinem langjährigen Elite-Ensemble „English Baroque Soloists“ zu Gast. Die wunderbaren Musiker spielten auf Nachbauten historischer Instrumente und begeisterten mit bester Ausgewogenheit und herrlichen Solobeiträgen. Die Holzbläser klangen sehr charakteristisch, ebenso die sensationellen Naturtrompeten-Bläser, die souveräne Naturhorn-Spielerin und die prachtvolle Pauke. Äußerst homogen sangen auch die Solistinnen und Solisten, kultiviert und dynamisch klug schattierend. Das Ensemble der Gesangssolisten war sehr individuell und einfach perfekt abgestimmt. Von unterschiedlichen Positionen aus erklangen ausgezeichnete Einzelleistungen. Gleichzeitig waren sie allesamt auch Mitsänger im Monteverdi Choir.

Da war die enorm wandlungsfähige Sopranistin Hilary Cronin, die in Arien und Duetten hervorragende Beiträge lieferte. Hier gefielen auch ihre Kolleginnen Sopran Bethany Horak-Hallett und Altistin Sarah Denbee. Mit leichter feiner Tenorstimme war Jonathan Hanley zu hören. Raumgreifend und sehr sensibel in der Tongebung war Altus Reginald Mobles zu erleben, der vor allem mit einem empfindungsvollen „Agnus Dei“ begeisterte. Tenor Nick Pritchard verwöhnte mit feinem tenoralen Schmelz und tiefer Hingabe in seinem „Benedictus“. Ausgezeichnet auch die beiden Bässe, der sonore Dingle Yandell und der kernige Alex Ashworth.

Überragend der Monteverdi Choir in seiner klanglichen Homogenität und superben Intonationssicherheit. Die Klarheit in der polyphonen Stimmgebung war faszinierend. Zudem begeisterte dieser Chor der Extraklasse mit einem Obertonreichtum im Klangbild, der verblüffte. Mit größter Beteiligung und deutlicher Führung durch Sir John gelang dem Chor die vokale Außergewöhnlichkeit. Der gesamte Abend war von einem derart lustvollen und demütigen Musizieren geprägt, dass es die helle Freude war. Ein echtes Plädoyer der Gemeinsamkeit. Jeder Mitwirkende begriff sich als Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft, die die gebündelten Energien in den Himmel sendeten. Johann Sebastian Bach dürfte an diesem Abend in Frankfurt überaus glücklich gewesen sein.

Das Publikum war absolut hingerissen und feierte diesen besonderen Konzertmoment mit endlosem Jubel.

Dirk Schauß, 20. April 2023


Alte Oper Frankfurt

18. April 2023

Johann Sebastian Bach

Hohe Messe h-Moll BWV 232

Hilary Cronin  Sopran
Bethany Horak-Hallett  Sopran
Reginald Mobley  Altus
Sarah Denbee  Alt
Nick Pritchard  Tenor
Jonathan Hanley  Tenor
Dingle Yandell  Bass
Alex Ashworth  Bass

English Baroque Soloists

Monteverdi Choir

Sir John Eliot Gardiner, Leitung