Dessau: „Der Troubadour“

Premiere am 22.01.2016

Grosse Gefühle

Geht es darum, Verdis "Trovatore" auf die Bühne zu bringen, wird oft das Enrico Caruso zugeschriebene Bonmot bemüht, man brauche einfach nur die vier besten Sänger der Welt. Sind die aber gerade nicht greifbar, kann man seit gestern auch ins anhaltische Dessau fahren, um dort einen veritablen Verdi auf der Bühne zu sehen. Vor bedauerlicherweise bei weitem nicht ausverkauftem Haus hatte eine von Verdis erfolgreichsten Opern, vielleicht sogar die mit der inspiriertesten Partitur, am Anhaltischen Theater Premiere, wo das Werk unbegreifliche 35 Jahre lang nicht mehr auf dem Spielplan stand.

Die Vorlage von Antonio García Gutiérrez inspirierte Verdi stark, der in dem Drama eine Essenz der großen Gefühle wie Liebe, Hass und Rache sah – und genau das erzählt Rebekka Stanzel: Eine Frau, nennen wir sie eine Zigeunerin, sieht ihre Mutter auf dem Scheiterhaufen verbrennen, wirft im Wahn ihr eigenes Kind ins Feuer. Jahre später verlieben sich der Grafensohn, den sie statt ihres eigenen Sohnes groß gezogen hatte, und dessen Bruder in die gleiche Frau, sind darüber hinaus noch poitische Rivalen, ohne von der Identität des anderen zu wissen. Die Umworbene vergiftet sich, der Graf tötet den Nebenbuhler und die alte Zigeunerin sieht den Tod der eigenen Mutter gerächt.

Markus Pysall s Kostüme weisen zwar in Ansätzen auf das Mittelalter, in dem die Vorlage spielt, auch wenn die Uniformen der Soldaten ein wenig an "Raumpatroullie Orion" erinnern – die Handlung wird aber in eine unbestimmte Zeit verortet. Sein Einheitsbühnenraum ist dunkel und wandelbar. Die Wände bewegen sich aufeinander zu, verkleinern den Raum, symbolisieren die gefühlsmäßige Enge, in der die Handelnden leben, und die Beschränkung, die sie dadurch erfahren, dass sie in ihren eigenen Gefühlen verhaftet sind. Unterstützt wird das Ganze äußerst stimmig von einer ausgefeilten Lichtregie, hier und da sorgen Videoeinspielungen von

Barbara Janotte für zusätzliche Stimmungen. Einzige Requisiten sind Autoreifen, die überzeugend als Spiel- oder Kampfgerät, als Scheiterhaufen und Sitzgelegenheit dienen. So simpel, so gelungen! Zwar schwankt die Qualität der Personenregie von durchaus spannenden, vor allem in den Chorszenen überzeugenden Passagen bis zu uninspirierter Rampensteherei, wenn es um Zweisamkeit geht – und doch ist es eine alles in allem spannende Inszenierung, auch weil die Sängerschar durch intensive Darstellung dieses kleine Manko ausbügelt.

Ensemblemitglied Ulf Paulsen ist ein ausgezeichneter Sänger, verfügt über einen ausdrucksstarken und extrem kraftvollen Bariton, scheint mir aber grundsätzlich eher für das deutsche Fach geeignet. Zwar mischt er seinem Grafen Luna in den entscheidenden Momenten gerade genügend italienische Farbe bei, um die von Verdi gewollten Gefühle glaubhaft darzustellen, doch fehlt es ihm an erforderlichem Schmelz.

Den bringt der Italiener Leonardo Gramegna – übrigens einziger Gastsänger in dieser Produktion – zur Genüge mit, gibt den Minnesänger Manrico extrem gefühlvoll mit sicherer Höhe, doch mit zu wenig Glanz im Timbre und mitunter fast unbeholfen wirkendem Spiel. Letzterer Eindruck kann aber auch daran liegen, dass den beiden Herren zwei so außergewöhnliche Sängerdarstellerinnen gegenüber stehen. Jordanka Derilovas Sopran ist voller Kraft und sicher nicht ohne Härte. Doch spielt die Kammersängerin dermassen intensiv, bemüht Bruststimme, Portamento und Declamatio dermaßen gekonnt, ohne auf Schönklang zu achten, dass am Ende eine so beeindruckende wie bewegende Interpretation steht. Diese Art der Darstellung erinnert mich an Magda Olivero, deren Zauber man auf den Audioaufnahmen kaum nachvollziehen kann, weil das visuelle Live-Erlebnis fehlt, die aber von ihren Bewunderern wegen der intensiven Verkörperung ihrer Figuren fast wie eine Göttin verehrt wurde. Rita Kapfhammers farbenreicher Mezzo ist wie gemacht für die Zigeunerin Azucena. Er verfügt über eine bedrohliche Tiefe und an Wahn erinnernde Höhe, ihr gelingen bezaubernde, zu Tränen rührende Pianissimi und dank ihres intensiven Spiels auch das intensivste und überzeugendste Rollenportrait des Abends. Da versteht man, warum Verdi die Oper eigentlich „Azucena“ nennen wollte.

André Eckert gibt einen zupackenden Ferrando mit profundem Bass, der Ruíz von David Ameln ist präsent und überzeugend, ebenso Cornelia Marschalls Inez. Als Chorsolist ist Cezary Rotkiewicz zu erleben.

Der von Sebastian Kennerknecht einstudierte Chor singt kraftvoll und meistert die anspruchsvolle Partie dieser ausgesprochenen Choroper, wird dabei unterstützt vom neu zusammen gestellten und gestern debütierenden Extrachor. Kleine Unstimmigkeiten mit dem Graben seien da dann noch der doppelten Premierenaufregung zugeschrieben.

Die Anhaltische Philharmonie Dessau spielt ohne Tadel, Wolfang Kluges Dirigat ist sehr sängerfreundlich, mir aber bisweilen zu undifferenziert und leicht breiig. Da werden nicht alle Feinheiten der Partitur herausgestellt. Doch unterm Strich bin ich auch da überzeugt.

Das Publikum applaudiert mit schier endlos erscheinenden Standing Ovations allen Beteiligten. Ob’s so gut war, weiß ich nicht. Eine Besuchsempfehlung gibt’s von mir aber allemal – und man darf sich ja auch zu Recht darüber freuen, was das eigene Haus da fast ausnahmslos mit eigenen Kräften zu leisten im Stande ist.

Ihr

Jochen Rüth aus Köln

23.01.2016

Die Fotos stammen von Claudia Heysel