Kontrapunkt: „Verbieten verboten“ – weitere Wortmeldung zum Thema Gendern

Liebe Opernfreundinnen und Opernfreunde (ich habe Freundinnen, die mich gerne in Aufführungen begleiten, und ebensolche Freunde),

zwei Ideologien heizen derzeit die öffentlichen Debatten ein: Die „Klimaideologie“ und die „Genderideologie“. Bei der erstgenannten verhält es sich ganz einfach. Sie entstammt dem Lager, das wider allen wissenschaftliche Erkenntnisse die menschliche Mitschuld an in dieser Geschwindigkeit nie zuvor stattfindenden Erderwärmung, ja, diese selbst, leugnet. Stattdessen wird die Angst vor einer bestimmten Partei und ihrem gesellschaftlichen Umfeld, das sich primär der drohenden ökologischen Katastrophe annimmt, geschürt und damit eigenes Unvermögen auf andere projiziert.

Im Gegensatz hierzu bestehen berechtigte wissenschaftliche Einwände gegenüber dem Gendern, einer vorrangig von der gleichen bestimmten Partei und ihrem gesellschaftlichen Umfeld praktiziertem Ändern der deutschen Sprache. Der Begriff „Genderideologie“ wird jedoch von dem gleichen entgegengesetztem angriffsfreudigem, aber intellektuell minderbemitteltem rechten Lager benutzt, um Feindbilder zu pflegen und das eigene Unvermögen zum Nachdenken zu bestätigen. Deswegen wäre ich sehr vorsichtig mit der Anwendung dieses Begriffes „Genderideologie“, wenn es um das Thema „Gendern“ geht. Gendern wird zur so Glaubensfrage hochgeschraubt, und daraus entsteht Ideologie, welche immer menschenfeindlich ist. Es folgen Verbote, und Verbote führen zu geistigem Stillstand, den wir als in Kultur involvierte Menschen nun gar nicht gutheißen können.  Vielmehr sollten wir den honorigen Personen und Institutionen Beachtung schenken, die in aufklärerischer Tradition die Thesen einordnen, um auf die Glaubensfrage eine vernünftige Antwort zu erarbeiten.

Die Linguistik vertritt hierbei einen konservativen Standpunkt und kann dies gut begründen, übersichtlich zusammengefasst von unserem Kollegen Klaus Billand: https://www.klaus-billand.com/deutsch/betrachtungen/zu-politischen-themen/zu-vermeintlichen-gendergerechtigkeit-der-deutschen-sprache-maerz-2021.html. Nun besteht Sprache nicht nur aus sich selbst, sondern ist ohne ihre Anwendung im Schreib- und Sprechakt durch Personen undenkbar. Damit bewegen wir uns in das weite Feld der Soziologie, die sich mit dem Zusammenleben von Menschen beschäftigt. Zum Zusammenleben gehört Kommunikation, also Sprache, durch Personen, die mehr oder weniger von ihrem sozialen Umfeld, aber auch ihrem Geschlecht bestimmt werden. Dabei tritt zur scheinbaren Statik der Sprache die Dynamik der gesellschaftlichen Prozesse und die damit verbundenen Spannungen, die in unserer Debatte sichtbar werden. Und wir sind gefordert anzuerkennen, dass diese Spannungen bestehen, und Lösungsmöglichkeiten vorurteilsfrei zu akzeptieren. Die Gesellschaft für deutsche Sprache e. V.  ist die maßgebliche Institution, die diese Debatte sachlich verfolgt, einordnet und Empfehlungen ausgibt: https://gfds.de/schwerpunkt-gendering/

Fachlich kann ich hierzu nichts beitragen, aber doch zwei Beobachtungen hinzufügen: Erstens ändert sich das Vokabular zu mehr Geschlechterneutralität. Zurzeit wird aus den grammatikalisch falschen, weil im Partizip Präsens sich befindenden Studierenden der oder die Studi, und aus den SuS (abgekürzt Schülerinnen und Schüler) entstehen bestimmt bald der oder die Susi. Im Umfeld der Klimabewegung spricht man von Aktivis oder Aktivistis. Ich gebe zu, dass diese Diminutive der Sache, besser: den Menschen nicht gerecht werden und viele zum Haare sträuben finden mögen.

© Peter Klier

Und das Englische, das gerne zum Vergleich herangezogen wird, ist gar nicht so stabil, ist es doch eine weltweit praktizierte Sprache und damit auch Veränderungen unterzogen. Am anderen Ende der Welt, nämlich in Australien, ist das Neutrum im Alltag ausgestorben. Alles, was nicht eindeutig männlich ist (Junge, Mann, Zuchthengst), ist feminin. Auf die Frage: „Where is our dog“ lautet die Antwort: „She is in the backyard“, oder „I’ve got a new car, she is electric.” Dabei sind die Australier nun wirklich nicht effeminiert oder “woke”, wie ihr weit überdurchschnittliches Abschneiden bei Olympischen Spielen beweist.

Bis es in unserer deutschen Sprache zu einer einheitlichen Regel kommt, die die verschiedenen Interessen berücksichtig, sollten wir ebenso aufmerksam wie tolerant in unserer Kommunikation sein. Verbote helfen ebenso wenig wie das Beharren auf Gendersternchen oder dem Binnen-I. Menschen, die nicht eindeutig männlichen Geschlechts sind, dürfen sich ruhig als inkludiert betrachten, wenn nur die männliche Form benutzt wird (z.B. „Lieber Opernfreund“), und zumeist ältere, männliche Autoren (zu denen ich mich zähle) dürfen gerne mal versuchen, „Sängerinnen und Sänger“ zu schreiben. Nur eines soll verboten sein: Das Verbieten!

Bernhard Stoelzel 4. Juli 2025


Nachtrag vom Herausgeber

Interessant in dieser Diskussion: eine Befürworterin des Genderns und deren gesetzlichen Verankerung, wenn man der aktuellen Presse glauben darf ;-), ist Frauke Brosius-Gersdorf – SPD Kandidatin der neuen Regierung für ein Amt beim Verfassungsgericht.

Egal was, wer, wie und wo sagt und was man in Deutschland ändert, ich verspreche unserer Leserschaft und gebe Ihnen mein Ehrenwort: Unser OPERNFREUND bleibt genderfrei! „Was immer es kostet“ ;-))) … vor allem an Nerven, Nachbearbeitung und Korrekturen. Sie werden es kaum glauben wieviel kostbare Lebenszeit ich verschwende, um z.B. die Hundertschaften von Mails der vielen Pressestellen immer wieder darauf hinzuweisen, daß man uns bitte in „korrektem Deutsch“ anschreibt, da wir sie sonst umgehend auf „Spam“ setzen.

Aber bleibt bitte friedlich in dieser Debatte! Ich habe angesichts unseres obigen Aprilscherzes festgestellt, daß nicht wenige, fast schon militärische agierende und denkende Genderfreaks*innen, über keinerlei Humor verfügen. Aktuell beobachtet man in der Szene, wie wahr doch Wagner sein kann. „Ihrem Ende eilen sie zu, die so stark im Bestehen sich wähnten“. Auch die große Blase schützt nicht mehr, unter der viele Opernhäuser und deren Intendant*/:innen noch glaubten zu leben. Es geht den Bach runter. 90 Prozent der steuerzahlenden, also sie unterhaltenden Bürger, wollen sich nicht mehr ver……. lassen. Aber das ist nicht nur aufs Gendern zurück zu führen…

Bleiben Sie uns weiter treu und fröhlich 🙂
herzlichst Ihr Peter Bilsing*

*am Amerikanischen Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli