Dessau: „Tristan und Isolde“, Richard Wagner

Authentischer und dennoch phantasievoller Wagner

Das Anhaltische Theater Dessau, wo schon vor einigen Jahren ein sehr guter Ring des Nibelungen lief und wo man Wagner weiterhin pflegt, kam in dieser Saison eine Neuinszenierung von Tristan und Isolde heraus. Es war an diesem Abend die Dernière einer Produktion von Michael Schachermaier und dramaturgischer Unterstützung von Yuri Colossale und dem Bühnenbild von Paul Lerchbaumer sowie den Kostümen von Alexander Djurkov Hotter.

Es war eine wunderbare Produktion, ganz schnörkellos, einfach aus Wagners Werk heraus inszeniert und ohne jegliches überflüssige Regietheater-Geplänkel. Mit ein paar surrealistischen Elementen, aber sie haben gepasst zu den Gedanken Tristans in seinen Fieberphantasien im 3. Aufzug. Da sieht man einmal vier Isolden erscheinen, was ähnlich auch schon 2022 in Leipzig in der Inszenierung von Enrico Lübbe zu sehen war. Man sieht, wenn Tristan davon sinniert, dass der Vater bei der Zeugung starb und die Mutter bei der Geburt, wie Vater und Mutter sich als Statisten auf dem zweiten Stock der Bühne annähern, die zwei Ebenen bzw. Decks auf einem Schiff umfasst. Das sind also Assoziationen, die man auch aus der Nationaloper Sofia kennt, wo im Ring des Nibelungen Szenen aus der Vorgeschichte pantomimisch gezeigt werden. Das war recht gut und überzeugend, auch um die im Tristan ja sehr begrenzte Handlung etwas zu beleben – obwohl Wager gerade dieses Werk als „Handlung in drei Aufzügen“ bezeichnete.

© Claudia Heysel

Aber das absolute Non-Plus-Ultra war KS Iordanka Derilova, die Bulgarin, als hochdramatische Isolde, die auch alle anderen großen Wagner-Rollen ihres Fachs hier gesungen hat und noch singt und übrigens auch hochemotional spielt. Ihre Isolde war wieder eine Offenbarung, schon wie vor 17 Jahren an derselben Stelle. Was diese Dame auf der Bühne darstellt und in allen Lagen singt, ist einfach phantastisch! Neben Camilla Nylund und – wie schon lange – Catherine Foster ist sie wohl die dritte große Isolde dieser Tage und schon seit Jahren. Eigentlich muss man sich fragen, warum sie nicht längst einmal an einem der ganz großen Häuser gesungen hat oder auch nur eingesprungen ist. Derilova ist zudem das, was man gemeinhin als ein Bühnenvieh bezeichnet. Sie agiert in der Musik und überzeugt mit ihrer Emotion in der Aussage auch bei entsprechender Mimik. Nur ein Beispiel von vielen: „Er sah mir in die Augen.“…

Sehr gut war aber auch der Tristan von Tilmann Unger. Mit nicht allzu großer Stimme, aber einem stabilen und höhensicheren Tenor passte er auch optisch bestens zu Derilova. Ein überzeugendes Paar, was man – gerade auch an ganz großen Häusern – nicht immer sagen kann… Den Liebestrank brauchte es zwischen den beiden gar nicht, symbolisiert durch ein unscheinbar kleines Gefäß. Mit schönen und teilweise auch lyrisch tenoralen Klängen ließ Unger viel Musikalität erkennen. Anne Schuldt sang die Brangäne mit einem wunderschönen vollen Mezzo, klangvoll, differenziert, mit einer guten Höhe und tragfähigen Tiefe. In ihrer etwas matronenhaften Aufmachung stand sie in adäquatem Gegensatz zu Isolde, ihrer „Herrin“. Nicht nur bei den beiden „Habet Acht“-Rufen im 2. Aufzug, sondern auch im Finale blieb Brangäne auf der Bühne und lebte dieses Finale in großer Hinwendung zu Isolde mit. Bis schließlich Tristan wieder aufsteht und Isolde sich mit ihm an einem Tisch zusammensetzt und sie sich verliebt die Augen schauen – ein zu dieser überzeugenden Inszenierung passender Schluss!

© Claudia Heysel

Michael Tews sang einen respektvollen und angesichts Tristans vermeintlichen Verrats tief betroffenen König Marke mit kraftvollem Bass, aber nicht allzu viel Klangentwicklung und Resonanz. Kay Stiefermann war als Kurwenal darstellerisch sehr überzeugend, sein Bariton klingt allerdings etwas hart – es fehlt ihm an Wärme und Wohlklang. Baris Yavuz war ein Melot mit gutem Bariton. Martin Anderson studierte die Kampfchoreographie ein, die in der Tat sehr authentisch und damit dramaturgisch überzeugend wirkte. Sehr gut sang und agierte David Ameln als Hirte und Stimme eines jungen Seemanns aus dem Off. Pawel Tomczak sang den undankbaren Steuermann gut.

Großes kam auch aus dem Graben unter Markus Frank, dem GMD von Dessau, der die Anhaltische Philharmonie Dessau in Bestform mit großer Qualität und Einfühlsamkeit von Beginn an dirigierte. Schon das Vorspiel, Gott sei Dank einmal vor geschlossenem Vorhang musiziert und erst im passenden Moment gehoben, gelang sehr rund und warm – mit gefühlvoll gesteigerter Dynamik. Dann gelangen immer wieder gut aufgebaute Crescendi, die im Laufe des Abends ja gefragt sind. Frank kann ganz offenbar auf Wagner-erfahrene Musiker im Orchester zurückgreifen, die mit ihrer musikalischen Interpretation große Harmonie zwischen Gesang und Musik im Sinne des Wagnerschen Gesamtkunstwerks bewirkten. Der Opernchor des Anhaltischen Theaters Dessau, von Sebastian Kennerknecht bestens und klar fokussiert einstudiert, agierte auch choreographisch interessant als aktiver dramaturgischer Part der Inszenierung.

© Claudia Heysel

Ein sehr erfreulicher Wagner-Abend in Dessau, endlich einmal ohne regietheatralische Verzerrungen! Es gibt noch gutes Wagner-Theater – immer mehr in der sogenannten und seit langem schon zu Unrecht so bezeichneten Provinz…                             

Klaus Billand, 28. Mai 2024


Tristan und Isolde
Richard Wagner

Anhaltisches Theater Dessau

Premiere: 27. Januar 2024
Besuchte Vorstellung: 19. Mai 2024

Inszenierung: Michael Schachermaier
Musikalische Leitung: Markus Frank
Anhaltische Philharmonie Dessau