NI – 20. August 2021
Regietheater in der Arena
Nach einem entsagungsreichen Sommer 2020 wartete die Fondazione Arena di Verona in diesem Sommer wieder mit einem reichhaltigen Opern- und Gala-Programm auf. Sie präsentierte unter anderen eine Neuinszenierung von Giuseppe Verdis „Nabucco“. Um das Covid-Ansteckungsrisiko in Verbindung mit von außen akquirierten Inszenierungen zu verringern und die szenischen Umbauten von einem kleinen eigenen Team von Bühnenarbeitern in den Pausen zu erledigen, entschloss man sich, die diesjährigen Inszenierungen selbst durchzuführen. „One size fits all“-Bühnenbild ist eine im Halbrund und damit sängerakustisch ideal um die Hinterbühne aufgebaute hoch abgestufte LED-Wand, die von der Firma D-WOK zu diesem „Nabucco“ bebildert wird. Recht ungewöhnlich für den traditionellen Inszenierungsstil der Fondazione Arena di Verona griff man in einen nicht mehr ganz neuen Teil der Regietheater-Kiste der letzten 30 Jahre, die Verlegung der biblischen Handlung der Oper in die Nazizeit mit ihren Konzentrationslagern und faschistischen Aperçus jener unseligen Periode deutscher Geschichte von Ausgrenzung, Judenverfolgung und Unmenschlichkeit.
Nun mag eine Assoziation der Gefangenschaft und Befreiung der Hebräer von den Babyloniern in jener fernen Zeit um etwa 600 v. Chr., also das Thema Gefangenschaft und Unterdrückung sowie Mord, durchaus Anreize mit der deutschen Nazizeit geben. Wenn das aber in Bühnenbildern und Kostümen im Rahmen der szenischen Gestaltung von Michele Olcese wie and diesem Abend umgesetzt wird, dann wirkt doch allzu vieles unverständlich, befremdend und nicht mehr nachvollziehbar. Dazu kommen viele nationalsozialistische Stereotype wie die Pumphosen, die Koffer der Juden, das ewige Herumfuchteln stahlhelmbewehrter Soldaten mit ihren Gewehren, deren dauernde Auf- und Abgänge etc.
Es ist nun einmal im Libretto von Temistocle Solera ein biblisches Stück mit durchaus auch mystischen Elementen, was die göttliche Bestrafung Nabuccos angeht, wenn er sich selbst zum Gott ausruft. Wenn das ein faschistischer Diktator im obligaten schwarzen Ledermantel mit Pistolengürtel wie in dieser Inszenierung macht, und zu seiner „göttlichen“ Bestrafung eine Knall mit Feuerstoß und Qualm hinter seinem Rücken genügt, dann erscheint das genauso unglaubwürdig, wie seine Läuterung durch den Glauben an den Gott der Hebräer, die ihn wiederum als voll bewaffneten Diktator (also ohne jegliche Kostümänderung) auferstehen und seine Dienstmütze gerade ziehen lässt. Der ist derselbe wie zuvor! Und das passt genauso wenig zusammen, wie der Ausruf Zaccarias zu Nabucco „Halt Rasender! was wagest Du! Du eilst dem Tempel Gottes zu“, wenn er das in einem Konzentrationslager singt… Es gab im Laufe dieser Produktion einfach zu viele Ungereimtheiten, natürlich auch mit dem Text, als dass die Geschichte glaubwürdig über die Rampe gekommen wäre.
Dafür konnte man sich über eine guten musikalischen Abend freuen. Amartuvshin Enkhbat gab einen Nabucco mit edler Belcanto-Stimme und einem üppigen Timbre, mit dem er auch in den Höhen glänzt. Darstellerisch war er eingezwängt in die Nazi-Uniform und die damit verbundenen rituellen Bewegungsabläufe mit seinem Hofstaat. Anna Pirozzi sang eine kraftvolle Abigaille mit einem breiten Spektrum an vokalen Ausdrucksmöglichkeiten im Rahmen der verschiedenen Facetten dieser zentralen Rolle, die sie auch mit starker Persönlichkeit und einem dramatischen Ende zu spielen verstand. Bei guter Höhe fand Pirozzi auch lyrische Töne im Monolog über ihre wahre Vergangenheit.
Rafal Siwek war ein klangvoller und souveräner Zaccaria mit guter Aktion unter den Hebräern. Riccardo Rados sang den Ismaele mit schlankem Tenor und spielte ihn eher unauffällig, naturgemäß von der Anlage der Rolle her mitbedingt. Géraldine Chauvet verkörperte eine überzeugende und charakterstarke Fenena mit weit mehr Persönlichkeit, auch stimmlich, als man es in dieser Rolle bei klassischen Inszenierungen erlebt. Ein Pluspunkt! Nicolò Ceriani als Hoher Priester des Baal gab die Rolle mit einem guten Bass. Carlo Bosi war Abdallo und Elena Borin Anna.
Natürlich kommt dem Chor in „Nabucco“ eine ganz große Rolle zu, singt er doch nicht zuletzt die heimliche italienische Nationalhymne „Flieg‘ Gedanke auf goldenen Schwingen…“. Der Chor der Arena di Verona war wieder auf der linken seitlichen gradinate platziert und Daniel Oren, ein wirklich alter Hase am Pult des Orchesters der Arena di Verona, wusste ihn in perfekter Abstimmung mit dem Orchester und den Sängern auf der Bühne zu dirigieren. Das zeigte sich gerade beim Gefangenenchor, der selbstredend wiederholt werden musste – und nach Oren auch sollte. Denn er machte eine Kopfbewegung, um den Applaus noch zu erhöhen… Es war einer der großen Momente des Abends, als er das lange Piano am Schluss dieses Chores mit klarer Gestik er- und ausklingen ließ. Die Arena schien den Atem anzuhalten. Riesenapplaus! Auch ansonsten war die Aufführung musikalisch bei Oren in bester erfahrener Hand. Er hat offenbar ein sehr gutes Gespür für die Klangverhältnisse in der Arena, gibt der orchestralen Entfaltung mehr Raum als andere, wenn es möglich ist. So war gerade auch für ihn und das Orchester die Begeisterung beim Schlussapplaus sehr groß. Das machte dann die Entbehrungen und Befremdlichkeiten auf der Bühne wieder etwas wett.
Fotos: ENNEVI foto
Klaus Billand/6.9.2021