Graz: „Margarita“

15. Juli 2017, vor dem Schloss Schielleiten

Ergötzliches Barockopern-Pasticcio mit Pferdeballett

Gleich vorweg: Das Konzept ist aufgegangen – Styriarte-Intendant Mathis Huber kündigte für die zentrale Produktion dieses Jahres an: keine „Rekonstruktion“ eines ganz spezifischen Festes, sondern eine – durchaus augenzwinkernde – Vergegenwärtigung einer vergessenen Kunstform zwischen Fest, Oper und Reitkunst

Und so war es – es war wahrhaft ein opulentes Fest, das durch fünf Stunden die Besucher mit den unterschiedlichsten Vergnügungen erfreute – ein barockes Gesamtkunstwerk unserer heutigen Zeit! Das Fest ist inspiriert von einer Kaiserhochzeit vor 350 Jahren. Im Jahre 1667 heiratete der Habsburger und deutscher Kaiser Leopold I die spanische Infantin Margarita. Aus diesem Anlass kam es im Rahmen der ausgedehnten Feierlichkeiten zur Aufführung der Festa a Cavallo „La Contesa dell’aria e dell’acqua“, also des Freudenfestes zu Pferde „Der Wettstreit von Luft und Wasser“ im großen Wiener Burghof. Das war eine mit Kulissenwagen, aufwendigsten Theatermaschinen und Musik vom Hofkapellmeister Antonio Bertali erzählte Geschichte, in deren Verlauf auch tanzende Pferde zur Musik von Johann Heinrich Schmelzer auftraten, darunter Speranza, das Lieblingspferd des Kaisers, geritten von Leopold selbst.

Soweit also der historische Anlass, der vom Styriarte-Dramaturgen Thomas Höft geschickt in ein Libretto für ein köstliches Opern-Pasticcio verarbeitet wurde.

Das Schloss Schielleiten liegt etwa eine Autostunde von Graz und eineinhalb Stunden von Wien entfernt. Die Parkplätze sind weit weg, aber durch einen Shuttle-Dienst ist der Veranstaltungsort mit seinem über 40 Hektar großen Park gut erreichbar. Schon wenn man ankommt – diesmal bei strahlender Sonne, klarer Fernsicht, aber kühlem Wind – ist man in einer anderen, in einer friedlich-ländlichen Welt.

Die freundlichen Mitarbeiterinnen der Styriarte reichen dem schon drei Stunden vor Beginn der Opernaufführung ankommenden Gast Apfelschaumwein aus der Region als Aperitif und das informative Programmheft – beides kostenlos(!). Gott sei Dank findet man im Programmheft einen Lageplan, um sich im weitläufigen Gelände zurechtzufinden.

Denn man will möglichst viele der angebotenen Reize genießen: das dreigängige Festmenü, eine Weinverkostung am Schlossweiher, ein spanisch-maritimes Tapas-Buffet, edle Champagner Auswahl in der Champagner-Lounge….. – und natürlich gibt es begleitende Barockmusik von Schmelzer, Biber sowie Tanzmusik des 17. und 18.Jahrhunderts, dargeboten von den Mitgliedern der Neuen Hofkapelle Graz, die in die reizvollen Kostümen der Generalausstatterin des Festes Lilli Hartmann gekleidet sind und wie aus der Natur herausgewachsen wirken.

Nachdem man durch den Schlosspark gewandert ist und sich mit Musik, Speis und Trank gelabt hat, nähert man sich dem eigentlichen Veranstaltungsort für die barocke Opernaufführung mit dem Pferdeballett.

Vor der spätbarocken Schlossfassade ist ein Podium aufgebaut mit einem floral-bunten Bühnenportal nach der Art eines Papierausschneidebogens – und davor liegt ein Reitplatz zwischen den beiden großen Zuschauertribünen, die insgesamt 1200 Gäste aufnehmen können. Viele des Publikums sitzen schon lange vor Vorstellungsbeginn auf ihren Plätzen, um die ungarische Reitertruppe Epona beim Training mit ihren feurigen Andalusierhengsten zu beobachten. Sobald sich diese zurückgezogen haben, ist es fast ein wenig wie in Bayreuth: der Trompeten Consort Innsbruck lädt mit markigen Signalen das Publikum ein, endgültig die Plätze einzunehmen.

Und dann betritt der Tausendsassa Thomas Höft die Bühne – ganz im Sinne des Zettel im Sommernachtstraum: Lasst mich den Löwen auch spielen ist er Autor der Dialoge, ist Regisseur, ist mitverantwortlich für die musikalische Konzeption und tritt auch selbst als Schauspieler auf – als Obersthofmeister Eusebius Lobkowics. Wenn man Name und Titel liest, denkt man, das sei eine Erfindung im Geiste von Herzmanosky-Orlando – aber nein: diesen Vertrauten des Kaisers Leopold I gab es wirklich, wie man bei Wikipedia nachlesen kann.

Wie ich weiß, scheiden sich bei Thomas Höft die Geister im Publikum – da gibt es leidenschaftliche Verehrer(innen!), aber auch ebenso enragierte ablehnende Stimmen. Ich finde, diesmal war Thomas Höft als moderierender Haushofmeister und Verfasser eines klugen Librettos ganz recht am Platz. Wie auch immer die Meinungen sind, man merkt, er genießt die Bühne und das von ihm konzipierte Spektakel, das geschickt Mythologisches mit der Kaiserhochzeit verbindet. Musikalisch erleben wir ein reichhaltiges Pasticcio mit Arien von Cavalieri, Cavalli, Cesti, Stradella und vom Kaiser Leopold I selbst. Dazwischen gibt es fünf Pferdeballette nach der Musik von Johann Heinrich Schmelzer – ganz so wie beim historischen Hochzeitsfest.

Die Reiterinnen und Reiter der ungarischen Gruppe Epona leisteten mit ihren recht selbstbewussten andalusischen Hengsten Außergewöhnliches und erhielten wiederholt verdienten Szenenapplaus. Auch als Nichtfachmann konnte man sehr schön das nachvollziehen, was die Pferde-Choreographin Dorottya Borsó schreibt: Pferde sind sehr fleißig und klug….. Und sie wollen etwas tun. Also spielen. Und zum Beispiel ist eine Traverse, die wir im heuti­gen Programm häufig sehen werden, eine schwierige und keine natürliche Figur. Aber sie sind doch aus natürlichen Bewegungen abgeleitet… Man kann gar nichts erzwingen. Pferde sind individuell. Und nach ein paar Jahren zeigt sich, für was sie geeignet sind. Springer zum Beispiel sind sehr nervöse Tiere. Die wollen springen. Die Schwierigkeit ist nur, sie zur rechten Zeit springen zu lassen. Sie wollen nämlich nicht warten, sondern gleich loslegen.

Ebenso hervorragend sind alle Instrumentalisten – der Trompeten-Consort Innsbruck (Leitung: Andreas Lackner) und die Neue Hofkapelle Graz (NHG ) unter der Leitung ihrer Konzertmeisterin Lucia Froihofer und des Cembalisten und Flötisten Michael Hell, der auch für die musikalische Gesamtleitung und die musikalische Konzeption verantwortlich ist. Besonders beschwingt und animierend werden die geradezu jazzig daherkommenden heiteren Intermezzi musiziert. Auch das Sängerteam ist wirklich gut und ausgewogen: die klare Sopranistin Julla von Landsberg als La Musica im Prolog und dann als strahlende Margarita, um die sich alles dreht. Flavio Ferri-Benedetti ist ein Koloraturen-gewandter und spielfreudiger Altus, der vielleicht noch etwas prägnanter artikulieren könnte. Daniel Johannsen als Tenor ist ein würdevoller Kaiser, der seinen Part sehr farbenreich und differenziert vorträgt. Jochen Kupfer spielt souverän seine internationale bassbaritonale Erfahrung an großen Häusern aus und beeindruckt mit großen Tönen, aber auch Stimmbeweglichkeit in den Verzierungen. À propos Töne: eine angeblich erstmals eingesetzte Mikrophon- und Lautsprechertechnik bewährte sich sehr – man hörte alle feinen Nuancen und hatte nie den Eindruck von steriler Künstlichkeit.

Es war ein lebendiges zweistündiges Spektakel, zu dem auch die beiden Buffo-Figuren (Hofzwerg Thomas Gartner und Hof-Riese Martin Schober) ihren Teil beitrugen.

Die Styriarte hat mit dieser Aufführung – nach dem Tode von Nikolaus Harnoncourt, der bisher das zentrale Element des Festivals war – wohl eine neue Perspektive für die nächsten Jahre eröffnet. Nach einem aktuellen Radio-Interview mit dem Intendanten Mathis Huber, dürfen wir uns „in den nächsten sechs bis sieben Jahren“ auf ähnliche Projekte freuen – mit einem Schwerpunkt auf den steirischen Barockkomponisten Johann Joseph Fux – da gibt es insgesamt 18 kaum bekannte und gespielte Opern zu entdecken…..

Es ist schon, wie eingangs gesagt wurde: heute geht es nicht um eine sterile Kopie alter Aufführungspraktiken – es sind neue und zeitgemäße Aufführungsformen zu finden, die Vergangenheit und Gegenwart verbinden – das ist diesmal sehr erfolgreich gelungen.

16. 7. 2017, Hermann Becke

Fotos: Styriarte, © Werner Kmetitsch (soweit nicht anders angegeben)

Hinweis:

Noch 6 Tage ist die Liveaufnahme der besprochenen Aufführung verfügbar- sie ist allen Freunden barocker Lebensfreude unbedingt zu empfehlen!