Karlsruhe: „Tristan und Isolde“

Besuchte Aufführung: 26.6.2016 , Premiere: 27.3.2016

Tristans Fieber-Vision von Isolde

Im April 1859 schrieb Richard Wagner an Mathilde Wesendonk über seinen „Tristan“: „Ich fürchte, die Oper wird verboten – falls durch schlechte Aufführungen nicht das Ganze parodiert wird -: nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen“. Nun: verrückt wurde man bei der Karlsruher Aufführung von „Tristan und Isolde“ ganz und gar nicht, obwohl es sich dabei um eine ganz vorzügliche Aufführung handelt. Das Badische Staatstheater ist an diesem voll gelungenen Abend seinem Ruf als erstklassiges Wagner-Haus wieder einmal voll und ganz gerecht geworden. Noch viel zu wenig bekannt ist die Tatsache, dass das Werk einst fast in Karlsruhe aus der Taufe gehoben worden wäre. Und das Ehepaar Schnorr von Carolsfeld, das bei der Münchner Uraufführung 1864 die Titelpartien sang, war zuvor einige Jahre in Karlsruhe engagiert.

Isolde, Erin Caves (Tristan), Katharine Tier (Brangäne), Seung-Gi Jung (Kurwenal), Herren des Badischen Staatsopernchores

Alles wirkte wie aus einem Guss. Regie und musikalische und gesangliche Leistungen fügten sich zu einer ansprechenden Symbiose zusammen, die das Publikum stark in ihren Bann zog. Gelungen war schon die Inszenierung von Christopher Alden, für die Paul Steinberg das Bühnenbild und Sue Willmington die Kostüme beisteuerten. Um sich nicht allzu weit von den Problemen und Konflikten der Entstehungszeit des Werkes zu entfernen, andererseits aber auch zur Pflege eines modernes Ambientes, hat Alden die Oper in den 1930/40er Jahren angesiedelt. Das Ganze spielt sich in einem Einheitsraum ab, der die Lounge eines Ozeansdampfers der Zeit um 1940 darstellt. Die runden Fassaden des hell gehaltenen, viele Assoziationen eröffnenden Bühnenbildes, wie beispielsweise die Bullaugen, sind ganz dem Schiffsbau dieser Ära nachempfunden. Im zweiten Aufzug stellt dieser reich mit Sofas, Sesseln und einem Konzertflügel ausgestatte Raum die Machtzentrale König Markes und im dritten Aufzug, in dem die Sitzmöbel im Hintergrund aufgestapelt sind, Tristans Burg Kareol dar. In diesem Ambiente setzt der Regisseur ganz auf eine psychologische Ausleuchtung des Innenlebens der beteiligten Personen. Der Ort des Geschehens wird so zur Nebensache, der Fokus liegt auf der Psyche der Handlungsträger. Ihr Seelenleben und die zwischenmenschlichen Beziehungen werden von Alden spannend und mit großer Akribie herausgearbeitet.

Isolde kommt gleichsam aus einer anderen Welt. Gefühlsbetont bricht sie in die rationale, politische Tageswelt ein, die von ihr im Folgenden ganz schön durcheinander gebracht wird. Es gelingt ihr, Tristan auf ihre Seite zu ziehen, der bereits zu Beginn an seiner Wunde dahinsiechend im Bett liegt. Diese sieht man auch am Ende des zweiten Aufzuges noch an seiner Brust. Einer Verletzung durch Melot bedarf es da gar nicht mehr. Hier haben wir es gleichsam mit einer symbolischen Blessur zu tun. Sie ist sinnbildlich als Ausdruck der Tageswelt zu deuten, der sich Tristan nicht entziehen kann. So gerne er mit Isolde in der Nacht verschwinden will, er kann dem Tageskosmos nicht entrinnen. Dieses Unvermögen, sich der Welt Markes zu entziehen, macht seine seelische Verletzung aus, die im Fieberdelirium des dritten Aufzuges ihren Höhepunkt erreicht. Der König selbst erscheint in Aldens Deutung als kühler Machtpolitiker, der sich bei seiner Klage erst einmal eine Zigarette anzünden und dabei überlegen muss, was er von Tristans Verrat halten soll. Schließlich schüttelt er Isolde ein Glas Hochprozentigen auf ihr Kleid und zertritt obendrein eine Schellackplatte, die Tristan zu Beginn des Liebesduetts auf ein altes Grammophon gelegt hat. Auch die Weise des im dritten Aufzug auf einem Stuhl ruhig Zeitung lesenden Hirten ertönt von einer Platte.

Erin Caves (Tristan), Katharine Tier (Brangäne), Isolde

Insgesamt hinterließ die ungekürzt erklingende Liebesszene – auf den oft gepflegten, schmerzlichen Tag- und Nachtsprung hatte man in Karlsruhe dankenswerterweise verzichtet – einen starken Eindruck. Im Gegensatz zu anderen Regisseuren, die das Paar hier meistens auf Distanz zueinander halten, lässt Alden Tristan und Isolde wirklich zusammenkommen und sich oft berühren. Bilder von großer Poesie gelingen ihm, wenn das Liebespaar zu Brangänes Wachtgesang auf einmal langsam zu tanzen beginnt oder wenn beide am Boden liegen und Tristan Isolde dabei sanft über Arm und Wange streichelt. Die Liebe kommt hier endlich einmal wieder voll zur Geltung. Sie stellt einen explosiven Gegenpol zur kalten, von nüchterner Ratio geprägten Welt Markes dar, zu der das Paar nachhaltig auf Konfrontationskurs geht. In ihrer Phantasie setzen sie diese noch schnell in Brand, bevor sie schließlich entdeckt werden und Marke das Licht anknipst. Hier bekommt die Inszenierung ganz im Einklang mit Wagner etwas Revolutionäres. Hervorragend gelungen ist auch der dritte Aufzug, in der Alden Isolde in trefflicher Anwendung eines Tschechow’schen Elementes bereits während der Fieberanfälle Tristans auftreten lässt. Sie stellt gleichsam eine Vision des halluzinierenden Tristan dar. Dass er diese aber nicht greifen kann, verstärkt seinen Schmerz. Der Regisseur lässt ihn später sterben, als es in den meisten anderen Inszenierungen der Fall ist. Das Ende bleibt offen. Die Frage, ob sich Isolde mit der Pistole des überlebenden Melot, die ihr Brangäne reicht, erschießt, wird nicht beantwortet. Dadurch bekommt der Schluss eine immense Stärke. Insgesamt weist die gesamte Produktion große Spannkraft auf und zeichnet sich obendrein durch beeindruckende Lichteffekte – Beleuchtung: Stefan Woinke – aus.

Katharine Tier (Brangäne), Erin Caves (Tristan), Isolde

Zufrieden sein konnte man mit den gesanglichen Leistungen. Der Tristan war bei Erin Caves in guten Händen. Hier haben wir es mit einem beachtlichen Zwischenfach-Tenor zu tun, dessen Stärken sich insbesondere im zweiten Aufzug zeigten. Die lyrischen Stellen gelangen ihm hervorragend. Bezüglich Pianokultur, Legato und schöner Phrasierung blieben keine Wünsche offen. Aber auch die dramatischen Stellen meisterte er achtbar. Im ersten Aufzug ging er zwar bei den Spitzentönen auch mal vom Körper weg, im dritten Aufzug verfügte er aber noch über genügend Reserven, um die gewaltigen Fieberausbrüche elegant und schön auf Linie vorzutragen. Hier wurde nicht geschrieen oder gestemmt, sondern wirklich gesungen. Leider machte er bei der Stelle „Vergeh die Welt meiner jauchzenden Eil“ einen Bogen um das abschließende hohe ‚a’. Neben ihm bewährte sich als Isolde Rachel Nicholls. Diese Sängerin verfügt über enormes dramatisches und gut gestütztes Stimmpotential, was insbesondere die furiosen Racheausbrüche der irischen Königstochter im ersten Aufzug zum Ereignis werden lies. Darin erschöpften sich ihre Möglichkeiten indes nicht. Gleich Caves wartete auch sie beim Liebesduett mit schönen Lyrismen und einfühlsamer Linienführung auf. Insgesamt war ihre Leistung differenziert und nuancenreich. Bei der vom Regisseur als Gemisch von strenger Gouvernante und Mauerblümchen vorgeführten Brangäne von Katharine Tier klang ein hoher Ton auch mal etwas schrill. Insgesamt vermochte sie mit ihrem dunkel getönten, tiefgründigen Mezzosopran aber trefflich zu überzeugen. Ein stimmkräftiger, markanter Kurwenal mit vorbildlicher italienischer Technik und tadelloser Diktion war Seung-Gi Jung. Renatus Meszar hat sich Aldens Verständnis von König Marke gut zu eigen gemacht und spielte die Rolle nicht eben sehr sympathisch aus. Stimmlich gefiel er mit volltönendem, prägnantem und textverständlichem Bass. Kräftiges Tenor-Material brachte Ks. Klaus Schneider für den Melot mit. Mit bestens im Körper sitzendem, glanzvollem Tenor wertete Eleazar Rodriguez die kleinen Rollen des Hirten und des jungen Seemanns auf. Solide war Mehmet Altiparmak s Steuermann.

Erin Caves (Tristan) Seung-Gi Jung (Kurwenal), Isolde

Der eigentliche Star war an diesem Abend aber die Badische Staatskapelle unter der musikalischen Leitung von GMD Justin Brown. Was da aus dem Graben ertönte, bewegte sich auf ausgezeichnetem Niveau und vermochte sogar die Leistungen größerer Orchester nachhaltig in den Schatten zu stellen. Mit großer Verve führte Brown die perfekt und klangschön aufspielenden Musiker von einem Höhepunkt zum anderen. In nicht zu langsamen Tempi und mit spannungsgeladenem Impetus warteten Dirigent und Musiker mit einer selten gehörten dynamischen Vielseitigkeit und enormer Transparenz auf, wobei einzelnen Details dasselbe Gewicht zukam wie dem großen Gesamtzusammenhang. Der Nuancen- und Farbenreichtum von Browns herrlichem Dirigat war enorm. Präzision und Einfühlsamkeit des Klangs wurden hier ganz groß geschrieben. Bravo!

Ludwig Steinbach, 27.6.2016

Die Bilder stammen von Falk von Traubenberg