München: „Salome“

Besuchte Aufführung: 2.7.2019 (Premiere: 27.6.2019)

Jüdisches Theater auf dem Theater

Die diesjährige Neuproduktion der Münchner Opernfestspiele galt Richard Strauss` im Jahre 1905 im Dresdener Königlichen Opernhaus aus der Taufe gehobener Oper Salome. Mit dieser Produktion kann man leben. Die Inszenierung von Krysztof Warlikowski in dem Bühnenbild und den Kostümen von Malgorzata Szczesniak ist gelungen und auch die musikalischen und gesanglichen Leistungen vermochten fast durchweg zu überzeugen.

Marlis Petersen (Salome), Peter Jolesch (Tänzer)

Eine musikalische Besonderheit der Aufführung ist besonderes erwähnenswert. Richard Strauss hatte einmal für eine Dresdener Aufführung der eher lyrischen als hochdramatischen Sängerin der Titelrolle zuliebe an seiner Salome einige Erleichterungen vorgenommen. Teilweise reduzierte er den gewaltigen Orchesterapparat und schraubte zudem die Dynamik etwas hinunter. So machte er oft aus einem Mezzoforte ein Piano. Auf diese Art und Weise wollte er es der Sängerin der Salome leichter machen. Diese sog. Dresdener Retuschen waren lange Zeit in der Versenkung verschwunden, sind jetzt an der Bayerischen Staatsoper aber wieder aufgetaucht. GMD Kirill Petrenko griff an diesem Abend auf sie zurück – nicht auf alle, aber die meisten berücksichtige er. Daraus entstand ein manchmal recht kammermusikalisch anmutender, luftiger und dynamisch vielfältiger Klangteppich. Zu laut wurde es an diesem Abend nie, obwohl die Bläser immer noch viel zu tun hatten. Insgesamt war sein Dirigat ausgesprochen moderat und sängerfreundlich.

Marlis Petersen (Salome)

Von Petrenkos feinfühliger Herangehensweise an die komplexe Partitur profitierte insbesondere Marlis Petersen als Salome. Darstellerisch gab es an ihr nicht das Geringste auszusetzen. Ihr Spiel war durchweg sehr intensiv. Gesanglich blieben indes Wünsche offen. Strenggenommen ist sie keine Salome. Dafür fehlt ihrem etwas unterkühlt anmutenden Sopran einiges an sinnlicher Rundung, vokaler Expansionsfähigkeit und Körperstütze der Stimme. Die dramatischen Stellen der Partie bewältigte sie nur deshalb, weil Petrenko hier stark auf die Dresdener Retuschen setzte und das Orchester erheblich zurücknahm. In erster Linie dem Schlussgesang mangelte es etwas an Dramatik. Hier klang Frau Petersen etwas schwach. Mit der Originalbesetzung und einem weniger umsichtigen Dirigenten hätte sie diese extrem schwierige Rolle wohl nicht gemeistert. Da war ihr der charismatische, mit bestens fokussiertem und kraftvoll klingendem Bariton die Partie des Jochanaan voll ausfüllende Wolfgang Koch überlegen. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke war ein schauspielerisch sehr dekadenter Herodes, dem er mit gut sitzendem, ausdrucksstarkem Tenor auch gesanglich ein überzeugendes Profil gab. Neben ihm bewährte sich die tadellos singende Michaela Schuster in der Partie der Herodias. Mit lyrischem Wohllaut und einfühlsamer Linienführung stattete Pavol Breslik die Partie des Narraboth aus. Die voll und rund singende Rachael Wilson war in jeder Beziehung ein hervorragender Page der Herodias, der von der Regie als Frau dargestellt wurde. Freude bereitete das aus gut fokussierten Stimmen bestehende Judenquintett: Scott MacAllister, Roman Payer, Kristofer Lundin, Kevin Conners und Peter Lobert sangen allesamt auf hohem Niveau. Solide gab Kristof Klorek den ersten Soldaten. Übertroffen wurde er von dem warm und sonor intonierenden zweiten Soldaten von Alexander Milev. Mit warmem, profundem und mühelos bis zum hohen fis hinaufreichendem Bass kündigte Callum Thorpe s erster Nazarener von den Wundertaten Christi. Ulrich Reß nannte als zweiter Nazarener nur dünnes Tenormaterial sein Eigen. Ordentlich gab Milan Siljanov den Cappadocier. Von Mirjam Mesak s volltönendem Sklaven hätte man gerne mehr gehört.

Marlis Petersen (Salome), Wolfgang Ablinger- Sperrhacke (Herodes)

Krysztof Warlikowski und Malgorzata Szczesniak haben das Stück in die Zeit des Zweiten Weltkrieges verlegt. Sie siedeln die Handlung in einer etwas heruntergekommenen Bibliothek an. Ähnlichkeiten an das im Programmbuch abgedruckte Photo des Bibliothekslesesaales der Jeschiwa Chachmei von Lublin drängen sich auf. Das Umfeld, in dem sich das Geschehen abspielt, ist durchweg jüdischer Natur. In diesem Ambiente hat sich eine Anzahl Juden zusammengefunden, die hier vor den Schrecknissen des Naziterrors, auf engstem Raum zusammengepfercht, Zuflucht suchen. Das Regieteam hat dem eigentlichen Werk einen szenischen Prolog vorangestellt, in dem vom Band das erste von Mahlers Kindertotenliedern in einer Aufnahme mit Kathleen Ferrier unter der musikalischen Leitung von Bruno Walter erklingt. Die hier versammelten Juden lauschen andächtig, bis sie durch laute Schläge an der Eingangstür aufgeschreckt werden und sich rasch in einen sich im Hintergrund öffnenden Kachelraum zurückziehen. Durch dieses Bild stellen sich mannigfaltige Assoziationen an den Naziterror ein. Für dieses Mal wird die Gefahr jedoch abgewendet.

Marlis Petersen (Salome), Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Herodes), Ensemble der Bayerischen Staatsoper)

Nun beginnt die eigentliche Handlung um die judäische Prinzessin Salome, die als Lohn für ihren Tanz von Herodes den Kopf des Jochanaan fordert. Die Versteckten erwarten das Unheil, dem sie nicht mehr entfliehen können, und führen zum Zeitvertreib das Stück Salome auf. Hier haben wir es mit Theater auf dem Theater zu tun. Bertolt Brecht lässt grüßen. Das ist ein akzeptabler Regieeinfall, der sich schon oft bewährt hat. Auch dieses Mal verfehlte er seine Wirkung nicht. Immer tiefer tauchen die versteckten Juden in das Werk ein. Sie versuchen, dem auf ihnen lastenden äußeren Druck zu entgehen, und suchen derart Ablenkung. Mit dieser Vorgehensweise versuchen sie ihr gewohntes kulturelles und gesellschaftliches Leben aufrechtzuerhalten (vgl. Warlikowski im Programmbuch). Deutlich wird, dass sie sich in einer Zwangssituation befinden, in der die Frage nach dem Jüdischsein nachhaltig thematisiert wird. Es ist das Problem einer jüdischen Generation, die sich von religiösen Wurzeln lösen und sich assimilieren wollte durch Konversion und Anpassung (vgl. Warlikowski im Programmbuch). Der Tod ist schon ganz nahe. Demgemäß wird Salomes Tanz hier auch als Tanz mit dem Tod, prächtig verkörpert durch Peter Jolesch, gedeutet. Salome trägt dabei größtenteils nichts weiter als ein weißes Unterkleid, was den Sexus, den sie ausstrahlt, ausdrücken soll. Wenn am Ende Jochanaan und Narraboth wieder lebend erscheinen, ist das nicht misszuverstehen. Es sind nicht die Figuren der Opernhandlung, die hier erneut auftreten, obwohl sie schon tot sind, sondern die jüdischen Darsteller, die sich wieder unter die anderen mischen, um zu sehen, wie das Stück endet. Während des Tanzes sieht man im Hintergrund Projektionen von Fabelwesen und Tieren. Diese sind Deckenmalereien der Holzsynagoge von Chodorow nachempfunden, wie sich dem Programmbuch entnehmen lässt.

Ensemble der Bayerischen Staatsoper

Der Regisseur bricht mit Konventionen, hinterfragt Klischees und thematisiert zudem die Rezeption der Oper in den Jahrzehnten nach ihrer Entstehung. Auch Filme bezieht er in seine Konzeption ein. So stammt die Kiste, in der Salome der Kopf des Jochanaan übergeben wird, aus dem Film Der Nachtportier. Auch dem Film Die 120 Tage von Sodom, in dem eine Reihe von italienischen Faschisten kurz vor der Ankunft der Alliierten ihre perversen Neigungen auslebt, kommt bei Warlikowski Bedeutung zu. Hier haben wir es mit einer existentiellen Situation zu tun, innerhalb derer die Menschen, insbesondere Salome, auf einmal eine destruktive Seite in sich entdecken. Ob diese echt oder gleich dem hier vorliegenden Spiel im Spiel nur nachgespielt ist, bleibt offen. Das ist ein geschickter Schachzug seitens des Regisseurs. Er überlässt es dem Publikum, sich seine eigene Meinung zu bilden. Am Ende werden an sämtliche Juden Giftpillen verteilt. Angesichts der heranrückenden Nazis bleibt ihnen nichts als der kollektive Selbstmord. Die große Destruktivität überspielt die kleine – ein trefflicher Einfall.

Fazit: Eine interessante Aufführung, die den Besuch durchaus gelohnt hat.

Ludwig Steinbach, 4.7.2019

Die Bilder stammen von Wilfried Hösl