München: „Tannhäuser“

Besuchte Aufführung: 9.5.2019 (Premiere: 21.5.2017)

Wahlverwandtschaft zwischen Harfe und Bogen

Gemischte Gefühle hinterließ die Wiederaufnahme von Wagners Tannhäuser an der Bayerischen Staatsoper. Zur Aufführung gelangte die Wiener Fassung von 1875. Wie immer, wenn der Regisseur Romeo Castellucci am Werk ist, der hier auch das Bühnenbild und die Kostüme kreierte, war das Ergebnis sehr außergewöhnlicher Natur. Ästhetisch anmutende Bilder waren durchaus vorhanden. Indes gab es auch Impressionen, die nicht sonderlich zu gefallen vermochten. Zudem wartete der Regisseur mit einem gehörigen Schuss Symbolik auf, die nicht immer einfach zu durchschauen war. Das Hauptgewicht lag auf dem assoziativen Faktor. Es dominierten surreale, abstrakte Gedankenräume ohne eine konkrete zeitliche und räumliche Verortung.

Opernballett der Bayerischen Staatsoper

Etwas seltsam ging es bereits im ersten Aufzug zu. Wesensmerkmal dieses Aktes ist hier ein Kreis, in dem man zu Beginn ein Auge erblickt. Man kann durchaus auf den Gedanken kommen, dass es das allsehende göttliche Auge ist. Dies dürfte indes nicht zutreffen. Hier handelt es sich eher um das Weltenauge, auf das eine Schar barbusiger weiblicher Bogenschützen eine Vielzahl von Pfeilen abschießt. Die Bedeutung dieses Bildes ergibt sich in Zusammenschau mit einer späteren Idee Castelluccis. Er lässt die Minnesänger mit Pfeil und Bogen auftreten. Es besteht eine Wesensverwandtschaft zwischen der Harfe, dem Instrument der Sänger, und dem Bogen. Im Programmbuch ist zu lesen, dass der Jagdbogen aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit ein Prototyp der Harfe war. Diesen Zusammenhag beleuchtet der Regisseur eindringlich. Daraus leitet sich auch sein Einfall her, die Minnesänger im ersten Aufzug als Jagdgesellschaft auftreten zu lassen. Sie tragen rote Mäntel und schwarze Gesichtsmasken und wirken recht anonym. Nur Wolfram tritt ohne Maske auf und ist konsequenterweise der Anonymität enthoben. Im Tal vor der Wartburg schwebt ein goldener Schild vom Schnürboden herab, den man als Sonne interpretieren kann. Was der goldene Stein, den die Pilger mit sich führen, bedeuten soll, bleibt dagegen unklar.

Ludovic Tézier (Wolfram von Eschenbach), Klaus Florian Vogt (Tannhäuser)

Nicht zu gefallen vermochte Castelluccis Deutung des Venusberges, dem jede Erotik abging. Er besteht aus einem Haufen Fleisch und nackter unförmiger Haut, auf dem eine grauenerregende Venus thront. Dass es Tannhäuser unter diesen Umständen zuviel wird, ist verständlich. Auch wenn der Regisseur sich sicher dabei etwas gedacht hat: Dieses Bild ist einfach nur hässlich und abscheulich. Im von einer Reihe beweglicher Vorhänge geprägten zweiten Aufzug, in dem der Raum gleichsam zum Mitspieler wird, kommt dem erotischen Faktor dagegen große Bedeutung zu. Hier ist es Elisabeth, die recht sexy wirkt. Über ihrem eleganten weißen Kleid trägt sie ein anscheinend transparentes Gewand, durch das ihr nackter Körper durchzuschimmern scheint. Dieser ist aber nur auf dieses zusätzliche Kleid aufgemalt. Das wird spätestens dann deutlich, wenn Elisabeth kurz vor dem Ende des Sängerwettstreits dieses nur scheinbar transparente Obergewand ablegt, das Tannhäuser zu seinem Lobgesang auf Venus dann an sich reißt. Das war ein gelungener Regieeinfall. Nicht nachzuvollziehen war dagegen, dass Elisabeth dem größten Teil des Sängerwettstreits nicht beiwohnt und einfach von der Bühne geht. Die mit Nacktkostümen ausgestatteten Bewegungsstatisten, die sich unter die ein Kollektiv bildenden Gäste mischen, machen deutlich, dass die Wartburggesellschaft bereits vom Venusberg infiltriert ist. So weit so gut. Das kann man so machen. Fraglich war andererseits, warum sich zu Beginn des Sängerkrieges alle Zuhörer auf den Boden legen und nur der singende Wolfram stehen bleibt.

Elisabeth

Zufrieden sein konnte man mit dem dritten Aufzug, in dem die Ewigkeit thematisiert wird. In diesem Akt sind die Vorhänge aus dem zweiten Aufzug hochgezogen. Der untere Teil der Bühne ist in Dunkel getaucht, in der Luft steht ein Pfeil still. Durch Projektionen wird der rasend schnelle Verlauf der Zeit von einer Sekunde bis hin zu Milliarden von Jahren versinnbildlicht. Das Bühnenbild prägen hier zwei Grabmäler, auf die die Vornamen Klaus und Emma der Sänger von Tannhäuser und Elisabeth eingraviert sind. Im Folgenden werden Tannhäuser und Elisabeth Zeugen ihres eigenen Ablebens. Castellucci zeigt nun sieben Verwesungsphasen ihrer leblosen Körper auf. Statisten tauschen immer wieder Skulpturen der toten Leiber aus. Zu guter Letzt sind die Körper Skelette. Nur der Staub der Liebenden vereinigt sich am Ende des Aktes. Hier haben wir es mit einer guten Symbolik zu tun. Elisabeth hat währenddessen stets am rechten Rand der Bühne gesessen. Am Ende erhebt sie sich und kniet gleichzeitig mit dem sterbenden Tannhäuser nieder. Jetzt können die beiden in den seligen Frieden eingehen, von dem der Pilgerchor kündet.

Elena Pankratova (Venus), Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Opernballett der Bayerischen Staatsoper

Einmal mehr nicht zu gefallen vermochte Klaus Florian Vogt in der Titelrolle. Für den Tannhäuser, dem er mit seinem keinerlei baritonales Fundament aufweisenden, überaus hellen, dünn und kopfig geführten Tenor in keiner Weise gerecht wurde, fehlt im total das Stanima. Er ist absolut kein Heldentenor, wie man ihn für diese Partie benötigt. Da war ihm die mit einem satten, dunklen Timbre ausgestattete, einen soliden Stimmsitz aufweisende und schön auf Linie singende Elisabeth von Emma Bell um Längen überlegen. Einen trefflich gestützten, sinnlich anmutenden und profunden dramatischen Sopran brachte Elena Pankratova für die Venus mit. Ludovic Tézier s Wolfram von Eschenbach zeichnete sich durch markantes Baritonmaterial und eine wunderbare italienische Technik aus. Einen durchschlagskräftigen Bass nannte Stephen Milling als Landgraf Hermann sein eigen. Solide sang Dean Power den Walther von der Vogelweide. Ein kraftvoller Biterolf war Peter Lobert. Stimmlich nicht sonderlich auffällig waren Ulrich Reß (Heinrich der Schreiber) und Lukasz Konieczny (Reinmar von Zweter). Hervorragend im Körper intonierte Anna El-Kashem den jungen Hirten. Auf hohem Niveau bewegte sich der von Sören Eckhoff einstudierte Chor der Bayerischen Staatsoper.

Ludovic Tézier (Wolfram von Eschenbach)

Gut gefiel Simone Young am Pult. Zusammen mit dem Bayerischen Staatsorchester formte sie einen einerseits weichen und getragenen, andererseits aber auch fulminanten und glutvollen Klangteppich. Famos modulierte sie die einzelnen Leitmotive und hatte stets eine vorbildliche Transparenz im Auge. Dazu gesellte sich ein großer Farbenreichtum – alles Voraussetzungen, das Dirigat differenziert und abwechslungsreich erscheinen zu lassen.

Fazit: Ein nicht in jeder Beziehung gelungener Abend, der gemischte Gefühle hinterließ.

Ludwig Steinbach, 11.5.2019

Die Bilder stammen von Wilfried Hösl