München: „Tannhäuser“, Richard Wagner

An der Bayerischen Staatsoper München ist vor kurzem Wagners Tannhäuser wiederaufgenommen worden. Gespielt wurde die Wiener Fassung von 1875. Wie stets wenn der Regisseur Romeo Castellucci, von dem auch das Bühnenbild und die Kostüme stammen, für die Inszenierung verantwortlich zeichnet, ist das Ergebnis recht außergewöhnlicher Natur. Gekonnt wartet der Regisseur mit einer ausgemachten Symbolik auf, die indes nicht immer einfach zu deuten ist. Essentielles Gewicht misst Castellucci dem assoziativen Faktor zu. Die Produktion wird von surrealen, abstrakten Gedankenräumen geprägt, die weder eine konkrete zeitliche noch räumliche Verortung erkennen lassen.

© Wilfried Hösel

Im Vergleich mit früheren Aufführungen der Produktion waren jetzt zahlreiche Änderungen zu bemerken. Das Wesensmerkmal des ersten Aufzuges ist ein Kreis, in dem man zu Beginn ein Auge wahrnimmt. Dass es sich hier um das allsehende göttliche Auge handelt, war zumindest nicht ausgeschlossen. Eine andere Interpretation dürfte indes zutreffender sein: Hier haben wir es eher mit dem Weltenauge zu tun, auf das eine Anzahl weiblicher, barbusiger Bogenschützen eine Unmenge von Pfeilen abschießt. Der tiefere Sinn dieses Bildes offenbart sich im Zusammenhang mit einem späteren Einfall des Regisseurs: Bei ihm treten die Minnesänger mit Pfeil und Bogen auf. Zwischen der Harfe als dem Instrument der Sänger und dem Bogen ist eine Wesensverwandtschaft erkennbar. Dem Programmbuch ist zu entnehmen, dass der Jagdbogen aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit ein Prototyp der Harfe war. Dieser Zusammenhang wird von Castellucci eindringlich beleuchtet. Daraus entspringt auch seine Idee, die Minnesänger im ersten Aufzug als Jagdgesellschaft darzustellen. Sie sind mit roten Mänteln, indes nicht mehr mit schwarzen Gesichtsmasken versehen. Im dritten Aufzug schwebt ein goldener Schild von der Decke herab. Dieser lässt sich als Sonne deuten. Die Bedeutung des von den Pilgern mit sich geführten goldenen Steines erschließt sich dagegen nicht.

© Wilfried Hösel

Früher ging dem Venusberg bei Castellucci jegliche Erotik ab. Er setzte sich damals aus einem Haufen Fleisch und nackter, unförmiger Haut zusammen. Darauf thronte eine grauenerregende Venus. Es ist nur zu verständlich, dass es Tannhäuser unter diesen Umständen zu viel wurde. Hässlichkeit war hier als bewusstes Mittel zum Zweck eingesetzt. Jetzt geht es dagegen sehr viel ästhetischer zu. Eine Menge von zahlreichen in ansprechende Nacktkostüme gekleidete Gestalten wälzen sich übereinander. Venus ist eine attraktive Frau, die zuerst ihre beiden hellen Oberkleider ablegt, bis sie schließlich nur noch ein rotes Kleid anhat. Im Hintergrund befindet sich ein Loch in Form einer weiblichen Silhouette, durch das Tannhäuser die Bühne betritt. In diesem Loch sieht man auch immer wieder einige nackte weibliche Körper sich in lasziven Bewegungen ergehen. Dem erotischen Faktor wird auf diese Weise besser gehuldigt als in früheren Aufführungen dieser Inszenierung. Der Erotik kommt ebenfalls im von einer Reihe beweglicher Vorhänge geprägten zweiten Aufzug zentrale Relevanz zu. Hier wird der Raum gleichsam zum Mitspieler. Nun ist es Elisabeth, die ausgesprochen sexy anmutet. Über ihrem prächtigen weißen Kleid trägt sie ein anscheinend transparentes Gewand, durch das man ihren nackten Körper durchschimmern zu sehen meint. Dieser ist aber nur auf dieses zusätzliche Kleid aufgemalt. Das merkt man spätestens dann, wenn Elisabeth, kurz bevor der Sängerwettstreit endet, dieses nur scheinbar durchsichtige Obergewand ablegt. Diese Idee seitens der Regie war durchaus ansprechend. Während Elisabeth früher dem größten Teil des Sängerkrieges nicht beiwohnte und die Bühne einfach verließ, wandelte sie jetzt während der Darbietungen der Sänger im Hintergrund zwischen den Vorhängen hin und her. Die Nacktkostüme tragenden Bewegungsstatisten, die sich unter die ein Kollektiv darstellenden Gäste mischen, versinnbildlichen, dass der Venusberg die Wartburggesellschaft bereits infiltriert hat. Auch wenn dieser Einfall nicht mehr neu war, hinterließ er doch einen bleibenden Eindruck. Zu Beginn des Sängerwettstreits legen sich sämtliche Zuhörer auf den Boden und nur der singende Wolfram bleibt stehen. Wer singt, dem kommt eben die größte Anerkennung zu. Aus diesem Grunde darf Wolfram stehenbleiben.

© Wilfried Hösel

Im dritten Aufzug wird dann die Ewigkeit thematisiert. In diesem Akt sind die bereits aus dem zweiten Aufzug bekannten Vorhänge hochgezogen. Der untere Teil der Bühne ist in tiefes Dunkel gehüllt, in der Luft steht ein Pfeil still. Durch Projektionen wird der extrem rasche Verlauf der Zeit von einer Sekunde bis hin zu Milliarden von Jahren symbolisiert. Das Bühnenbild wird hier von zwei Grabmälern geprägt, auf welche die Vornamen Klaus und Vida der Sänger von Tannhäuser und Elisabeth eingraviert sind. Im Folgenden werden Tannhäuser und Elisabeth zu Zeugen ihres eigenen Ablebens. Sieben Verwesungsphasen ihrer leblosen Körper offenbaren sich dem Zuschauer. Skulpturen der toten Leiber werden immer wieder von Statisten ausgetauscht. Zuletzt sind die beiden Körper Skelette. Hier handelt es sich um eine gute Symbolik. Während des Ganzen hat Elisabeth still am rechten vorderen Rand der Bühne gesessen. Zum Schluss erhebt sie sich und kniet gleichzeitig mit Tannhäuser nieder. Am Ende tragen die in dieser Wiederaufnahmeserie überlebenden Liebenden ihren eigenen Stab zusammen und gehen anschließend auf Abstand zueinander. Das war heuer alles recht überzeugend. Wie gesagt, die aktuellen Änderungen haben der Inszenierung Einiges gebracht.

Eine ansprechende Leistung erbrachte Sebastian Weigle am Pult. Bereits in der einleitenden Venusbergmusik entlockte er dem prächtig aufspielenden Bayerischen Staatsorchester fulminante und glutvolle Klangeruptionen voller Sinnlichkeit. Diese Szene wurde von ihm musikalisch hervorragend ausgelotet. Im Folgenden wartete er mit intensiven und emotionalen Klängen in gemäßigten Tempi auf und erzeugte zudem eine ansprechende Farbpallette. Daraus resultierte ein differenzierter und nuancenreicher Klangteppich.

Nun zu den Sängern: Die beste Leistung des Abends erbrachte Vida Mikneviciute als Elisabeth, die sich mit großer Eleganz, einem sonoren, höhensicheren und wunderbar italienisch fokussierten jugendlich-dramatischen Sopran in die Herzen des begeisterten Publikums sang, das ihr ihre grandiose Leistung zum Schluss auch mit fulminantem Applaus lohnte. Gut gefiel auch Okka von der Damerau, die mit apartem, gut sitzendem und erotisch eingefärbtem Mezzosopran eine ausgezeichnete Venus sang. Nicht zu überzeugen wusste einmal mehr dagegen Klaus Florian Vogt. Er konnte dem Tannhäuser mit seinem keinerlei baritonales Fundament aufweisenden, sehr dünn und kopfig geführten Tenor rein vokal kein sonderliches Profil verleihen. Eine nötige Körperstütze seines Baritons ging auch dem Wolfram von Eschenbach von Christian Gerhaher gänzlich ab. Ein solider Landgraf war Ain Anger. Eine wunderbare und trefflich tiefgründig fokussierte lyrische Tenor-Substanz brachte Evan LeRoy Johnson in die Partie des Walther von der Vogelweide ein. Der Biterolf von Martin Snell zeichnete sich durch robustes Bass-Material aus. Stimmlich unauffällig blieben Andrés Agudelo (Heinrich der Schreiber) und Alexander Köpeczi (Reinmar von Zweter). Jessica Niles sang den jungen Hirten voll und rund. Mächtig legte sich der von Christoph Heil einstudierte Bayerische Staatsopernchor ins Zeug.

Ludwig Steinbach, 15. Mai 2024


Tannhäuser
Richard Wagner

Bayerische Staatsoper München

Premiere: 21. Mai 2017
Besuchte Aufführung: 12. Mai 2024

Inszenierung: Romeo Castellucci
Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Bayerisches Staatsorchester