Bregenz: 59 Minuten „Madame Butterfly“

Bregenzer Festspiele 2022

Wegen Regenguss auf der Seebühne abgebrochen!

Opernfreund-Kritiker nicht würdig für das edle Festspielhaus?


20.Juli 2022, Eröffnungspremiere

Heuer war es bisher wahrlich ein besonders strahlender und heisser Juli – an sich ideal für Freilichtaufführungen. Dennoch musste man in Bregenz bis zum Schluss bangen, ob nicht gerade die – mit rund 7000 Plätzen natürlich ausverkaufte – Eröffnungspremiere durch Regenschauer und Gewitter beeinträchtigt werden wird. Und tatsächlich – nach knapp einer Stunde musste wegen Unwettergefahr die Aufführung im Freien abgebrochen und im Festspielhaus fortgesetzt werden. Dort haben allerdings nur rund ein Viertel der Seebühnen-Gäste Platz und der OF-Berichterstatter gehörte leider nicht zu den glücklichen Auserwählten, die ins Festspielhaus wechseln durften.

Auf der riesigen Seebühne steht das optische Spektakel unzweifelhaft für Publikum, Medien, aber auch für die Festspielleitung im Vordergrund. Das ist duchaus ein legitimer Bestandteil musikdramatischer Bühnenkunst. Zur Bühnentechnik liest man: ‚Aus Stahl, Styropor, Holz und Fassadenputz entsteht seit Herbst die 300 Tonnen schwere Kulisse für das erstmals auf der Seebühne gezeigte Werk von Giacomo Puccini. Festspiel-Technikerinnen und -Techniker arbeiten gemeinsam mit den Mitarbeitenden von 33 Firmen an der Herstellung. „Die besondere Herausforderung ist, das Blatt Papier leicht, nahezu schwerelos wirken und scheinbar auf dem Wasser schwimmen zu lassen, obwohl es tatsächlich rund 300 Tonnen wiegt“, sagt Technikdirektor Wolfgang Urstadt.‘ Es lohnt sich unbedingt, das wenige Tage vor der Premiere veröffentlichte und rund 4 Minuten lange Video über das Seebühnen-Richtfest anzusschauen, um zu ermessen welch enorme bühnentechnische Leistung es bedeutet, auf rund 1300 Quadratmetern Bühnenfläche mit rund 25 Metern Höhe und einer Breite von 32 Metern wirkungsvoll und spektakulär Oper zu realisieren. Und Spektakuläres ist wahrhaft gelungen! Regisseur Andreas Homoki, Intendant des Opernhauses Zürich, bringt ein international erfolgreiches Team mit, das im magischen Bühnenbild von Michael Levine mit feinen Landschaftsmalereien japanisches Flair an den Bodensee zaubert – nicht zuletzt in den farbenfrohen Kostümen Antony McDonalds, der auf der Seebühne bereits Ein Maskenball und La Bohème mit verantwortete.

Mein Bericht bezieht sich also nur auf jene rund 59 Minuten, die ich sehen und hören konnte, bevor die Festspiele mittteilten: „Aufgrund schlechten Wetters wurde das Spiel auf dem See Madame Butterfly heute, Mittwoch (20.7.22), rund 59 Minuten nach Start wegen schlechten Wetters ins Festspielhaus verlegt. Im Großen Saal zeigen die Bregenzer Festspiele eine halbszenische Version der Oper von Giacomo Puccini.“

Die szenische Umsetzung durch Andreas Homoki und sein Team fand ich auf der Riesen Freilichtbühne großartig. Es war gelungen, durch kluge Personenführung und markante Kostümierung die handelnden Figuren auf dem eindrucksvollen Blatt Papier der Riesenbühne stets in den Vordergrund zu stellen und geradezu ein Kammerspiel der Einsamkeit in aller Klarheit und Prägnanz zu inszenieren. Dieses optische Erleben allein hat den Besuch gelohnt!

Das musikalische Erlebnis war für mich recht zwiespältig. Ich persönlich fand das Ergebnis einer höchst ausgeklügelten Tontechnik – siehe dazu den sehr informativen aktuellen Fachartikel – letztlich unbefriedigend. Zwar hörte man die Stimmen tatsächlich von jener Position aus, wo sie auf de Bühne stehen und auch die Tonverzögerung ist erfolgreich vermieden (nochmals empfehle ich die Lektüre des eben erwähnten Akustikartikels). Letztlich war aber der Stimmklang für mich recht verändert, ja manipuliert. Ich maße mir nicht an, die individuellen Stimmleistungen zu beurteilen und war letztlich befriedigt, dass zumindest zwei Zeitungskritiken dieses Thema aufgreifen und hervorheben, dass die Verlegung ins Festspielhaus akustisch vorteilhaft war. Die Presse titelte „Wie ein Unwetter ein Opernerlebnis verfeinern kann“ und die Kleine Zeitung schrieb über den Pinkerton „wobei sich Montvidas ohne die auf dem See nötige elektronische Verstärkung dann deutlich besser schlägt.“

Für mich bot die usbekische Sopranistin Barno Ismatullaeva in der Titelrolle stimmlich den überzeugendsten Eindruck. Der litauische Pinkerton Edgaras Montvidas

war durch die Tontechnik wohl am meisten beeinträchtigt. Die gesamte Solistenbestzung, die in den weiteren 25 Aufführungen wechselt, findet sich hier

Für den italienischen Dirigenten – seit diesem Sommer Conductor in residence in Bregenz – Enrique Mazzola und die Wiener Symphoniker sowie für den Chor gilt für mich das über die Sänger Gesagte. Eine Einschätzung der musikalischen Leistung – abgesehen von der selbstverständlichen Präzision – ist mir durch die elektronische Verfremdung nicht möglich – künstlerische Individualität konnte nicht vermittelt werden!

Kurz zusammengefasst: das szenische Erleben auf der Seebühne war großartig – musikalisch reichte mir der einstündige Eindruck…. Nichts für ungut!

22.7.2022 Hermann Becke

Szenenfotos: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Als persönliche Anmerkung außerhalb der Aufführungsbesprechung – und doch untrennbar dazugehörend hier noch ein Post scriptum:

Sehr dankbar hatte ich die Anregung des Bregenz-erfahrenen OF-Herausgebers Peter Bilsing aufgegriffen, nicht im wirbeligen Festspiel-Bregenz zu wohnen und den Seebühnenbesuch mit einem Urlaub im Bregenzerwald zu verbinden.

Über eine Woche lang waren wir bei durchgehend strahlendem Wetter (Regen und Gewitter gab es ausgerechnet nur am Premierentag!) im Mittelgebirge des Bregenzerwaldes unterwegs und haben im Umfeld von Bezau, Mellau und Bizau (mit exzellentem und sehr empfehlenswertem Biohotel!) Wanderungen gemacht – dank der Gäste-Card alles kostenlos mit lokalem Bus und mit Bergbahn. Wir haben die Zeit sehr genossen. Vielleicht hat dieser Genuss dazu beigetragen, dass ich – aus der wunderschönen und überhaupt nicht überlaufenen Natur kommend – den Konsum-und Kulinarikwirbel in der Festspielzone allzu groß empfunden habe. Fast hatte ich den Eindruck, dass Essen, Trinken und die spektakulären Bühnenlösungen das Interesse eines großen Teil des Publikums allzu sehr bestimmen und das aufgeführte Werk überlagern. Aber wie auch immer: beides war wunderbar – Naturerleben und großformatige Bühnenkunst! Zur Nachahmung durchaus zu empfehlen!!

POST SCRIPTUM der Redaktion

Unser Freund und Mitarbeiter Klaus Billand, der nicht nach Hause geschickt wurde, sondern für würdig genug empfunden wurde die Oper komplett auch nach der Regenpause zuende sehen zu dürfen berichtet hier seinen Gesamteindruck. P.B.