CD: „Nadine Sierra & Pretty Yende“ in concert

Primadonnen?

Einem kühnen Unterfangen widmet sich die neueste CD der Deutschen Grammophon mit dem eher bescheidenen Titel Nadine Sierra & Pretty Yende in Concert, will sie doch damit nichts weniger als den Mythos der Primadonna wieder beleben, ja sogar den der Primadonna 2.0, dem gemeinsamen Auftritt zweier Sängerstars, die eigentlich Konkurrentinnen, wenn nicht gar erklärte Feindinnen sein müssten oder es sogar waren. Als Beispiel werden Joan Sutherland und Marilyn Horne genannt oder letztere mit Montserrat Caballé, aber auch Mirella Freni und Renata Scotto oder Grace Bumbry und Shirley Verrett. Nun aber gehörten Caballé und Sutherland auf der einen und Horne auf der anderen Seite nicht dem gleichen Stimmfach an, sondern hatten oft gleichwertige Partien in ein und demselben Werk, und die Zusammenarbeit von Freni und Scotto beschränkte sich auf eine Platte mit einigen Duetten wie aus Figaro und mehreren Arien, während die Zusammenwirken der beiden amerikanischen Diven (und Primadonnen waren die tatsächlich) sich wohl auf ein Konzert in London beschränkte, das möglich war, weil sie zwischen den Stimmfächern Sopran und Mezzo wechseln konnten, also ein Duett aus Gioconda mühelos bewältigten. Wenn nun großmundig von einer „Renaissance der Primadonnen“ im Booklet geschrieben wird, muss man sich fragen, was eine Primadonna ausmacht und ob die beiden auf der CD vertretenen Sängerinnen den Typus tatsächlich vertreten. Prügeln sich die Besucher an den Opernkassen um Karten zu ihren Vorstellungen? Werden ganze Busladungen von Fans von weither angekarrt, um ihrem Idol zu huldigen? Sind die Blumenläden im Umkreis des Opernhauses ausverkauft am Tag ihres Auftritts? Streiten sich die jeweiligen Anhänger der Diven darum, welche von beiden die schönere, eigenwilligere, höhensicherere oder in der jeweiligen Sterbeszene berührendere ist? Werden Anekdoten von kleinen Bühnenunfällen, von liebenswerten Eigenheiten, von Boshaftigkeiten der Rivalinnen mit verschwörerischer Miene weitererzählt? Nichts von alledem! Die heutigen Sängerinnen mögen schöne Stimmen haben und aller Publikumsehren wert sein, viel eher dem Modelideal entsprechen als ihre Vorgängerinnen, aber nicht deren Unverwechselbarkeit und auch nicht deren tatsächliche oder nur gespielte Entrücktheit in ihren Partien für sich in Anspruch nehmen können.

Bleiben wir also besser beim Titel Nadine Sierra & Pretty Yende und vergessen wir besser den Booklett-Titel Die Renaissance der Primadonnen!

Es beginnt mit der Arie der Norina aus Donizettis Don Pasquale, die die Amerikanerin Nadine Sierra mit fein ziseliertem Vibrato, frischem Timbre und zierlichen Tongirlanden, die das Kokette der Figur betonen, kristallklar und mit vielfachen Zwischentönen vorträgt. In Rossinis Oper Elisabetta, regina d’Inghilterra ist sie die melancholische Matilda, die Rivalin der Königin, denn sie ist des vielgeliebten Leicester Gattin und Tochter von Mary Stuart. Beides sind Sopranpartien und unterscheiden sich auch auf der CD vor allem durch die herrische Haltung der einen von der tragikumflorten der anderen. Sierra ist auch die Traviata des ersten Akts, die der leichten, höhensicheren Sopranstimme natürlich am besten liegt, in der insbesondere die am Schluss nach oben gesungene Cabaletta ihre Domäne ist, während sie die Arie mit schönen Verzierungen, aber etwas wenig corpo singt. Der aus dem Hintergrund seine Liebe beteuernde Alfredo wird von der Kollegin gesungen. Das berühmte Duett aus Lakmé klingt auf dieser CD natürlich nicht so, als wäre Christa Ludwig die Partnerin, aber schön hört es sich trotzdem an. Norma hat ursprünglich zwei Sopranpartien, aber die zweifache Mutter und enttäuschte Geliebte bedarf eines soprano sfogato, damit es einen Kontrast zur Sopran-Adalgisa gibt. Auf dieser CD gibt es zwischen den beiden Frauen kaum einen akustischen Unterschied zwischen der wünschenswerten zarten Adalgisa Pretty Yende und der gestandenen, lebenserfahrenen Norma Nadine Sierra. Ganz in ihrem vokalen Element ist Sierra als lebensverliebte und liebesbereite Juliette, der Sopran leuchtet, die Koloraturen strahlen Lebensfreude aus. Die Stimme hat auch die Substanz für Bernsteins A Julia de Burgos, und mit ihr hätte, „I feel pretty“ liefert den Beweis, Bernstein nicht die Probleme gehabt, die der musicalunerfahrene Carreras ihm bereitete. La vie en rose gibt beiden Sängerinnen die Möglichkeit, Musik duften zu lassen.

Die Südafrikanerin Pretty Yende beginnt mit der Arie der Marie aus Donizettis Regimentstochter, in der sie mit Geläufigkeit und Beschwingtheit punkten, der Figur auch einen sentimentalen Touch verleihen kann. Als Bellinis Amina klingt sie mädchen-, ja stellenweise sogar kleinmädchenhaft, weiß die unendliche Melodie fein zu spinnen, ein Hauch von Poesie liegt über dem Track. Sensationell ist der Sopran als Offenbachs Olympia mit raffinierten Variationen und scherzend mit dem Publikum, wenn der Mechanismus der Puppe versagt. „I want to be a Prima Donna“ von Victor Herbert findet in ihr die lachende Stimme, die auf viel Resonanz im Publikum stößt, das sich aber genau wie beim Auftritt der Puppe Olympia zurückhalten muss.

Begleitet werden die beiden Sängerinnen geschmeidig von Les Frivolités Parisiennes unter Giacomo Sagripanti. Eine sehr schöne CD zweier sehr tüchtiger Sängerinnen, die vielleicht gar keine Primadonnen sein möchten.

Ingrid Wanja, 23. Juni 2024


Nadine Sierra & Pretty Yende in concert

Les Frivolités Parisiennes unter Giacomo Sagripanti

DG 486 6183