DVD: „Arabella“, Richard Strauss

Bei der vorliegenden DVD von Richard Strauss‘ Oper Arabella handelt es sich um einen Live-Mitschnitt von der Deutschen Oper Berlin. Gefilmt wurden Aufführungen vom 18. und 23. Mai 2023. Es ist dem Label Naxos hoch anzurechnen, dass es diese hochkarätige Aufführung nun auf DVD herausgebracht hat. Das Niveau ist in jeder Beziehung hoch.

Das beginnt schon bei Regisseur Tobias Kratzer, der zusammen mit Bühnen- und Kostümbildner Rainer Sellmaier und der neben Letzterem ebenfalls für die Kostüme zuständigen Clara Hertel ausgezeichnete Arbeit geleistet hat. Diese gelungene Inszenierung hält für jeden Geschmack etwas bereit und enthält sowohl moderne als auch traditionelle Elemente. Geschickt vollführt das Regieteam eine Zeitreise. Der erste Akt spielt im Wien der 1860er Jahre. Der Raum ist zweigeteilt. In einem Teil sieht man Salon und Schlafzimmer der Familie Waldner, im anderen die Rezeption des Hotels. Zwei Frauen filmen mit Live-Kameras, was in dem jeweilig anderen Raum vor sich geht. Das Ergebnis wird in Schwarz-Weiß-Filmen auf eine riesige Leinwand projiziert. Mit diesen Videos erschließt sich dem Zuschauer eine interessante zweite Ebene, die den Blick auf einige kurzweilige Nebenhandlungen lenkt, aber nie vom eigentlichen Geschehen ablenkt, sondern dieses sogar noch unterstützt. Die Videos spielen auch in den anderen Akten eine gewichtige Rolle. Den zweiten Akt nehmen drei Türen ein, hinter denen sich der Ballsaal verbirgt. Die hier dargestellte Zeit sind die 1920er Jahre. Die Handlungsträger samt Chor und Statisten sind immer moderner gekleidet. Immer wieder verschwindet Arabella von der Bühne, um dann ein wenig später in zunehmend modernerer Kleidung wieder zurückzukehren. Am Ende des zweiten Aktes, in dem die SA dem Ball ein Ende bereitet, ist Kratzer bei der NS-Zeit angelangt. Der Bezug zum Nationalsozialismus ist durchaus logisch, da die Arabella 1933, im Jahr von Hitlers Machtergreifung, uraufgeführt wurde. Der dritte Akt schließlich ist ganz in der Gegenwart, im Jahre 2023,  verortet. Arabella trägt jetzt Jeans, einen Pullover und eine Windjacke. Auch Mandryka und das Grafenpaar sind nun zeitgemäßer gewandet. Am Ende gibt es einen komödiantischen Knalleffekt, wenn Arabella und Mandryka sich mit aus Flaschen kommendem Mineralwasser bespritzen. Ihr Verhältnis muss nach allem, was geschehen ist, noch einmal neu verhandelt werden. Dieser Ansatzpunkt der Regie ist sehr gelungen.

Das Hauptinteresse des Regisseurs gilt allerdings Arabellas Schwester Zdenka, die unter seiner szenischen Anleitung zur heimlichen Hauptperson des Ganzen mutiert. Gegenüber ihrer als Mann Zdenko mit aufgeklebtem Schnurrbart verkleideten Schwester gerät Arabella fast ein wenig ins Hintertreffen. Kein Wunder, denn was Kratzer mit Zdenka/Zdenko vollführt, ist einfach genial. Zdenka leidet sehr unter ihrer großen Zuneigung zu Matteo, der in eine obsessive Liebe zu Arabella verfallen ist. Verzweifelt versucht sie, die gewaltigen schicksalhaften Wogen zu glätten, was so weit geht, dass sie zu Beginn des dritten Aktes mit ihm schläft. Diese Szene wird wieder als Schwarz-Weiß-Film vorgeführt. Dabei ist Zdenka nackt. Im dritten Akt zeigt Kratzer gekonnt auf, was hier wohl geschehen wäre, wenn das Ganze gleich dem ersten Akt noch im Jahre 1865 angesiedelt wäre.Da hätte alles anders und weniger gut als heute ausgehen können. Dafür gibt es in dieser Produktion gleich mehrere Beispiele. Einmal bemerkt Matteo in der Beischlafszene anhand von Zdenkas/Zdenkos Schnurrbart die Täuschung. Zum anderen hätte das per Video eingeblendete Duell zwischen Mandryka und Matteo im Jahre 1865 sicher stattgefunden. Hier findet der Zweikampf auf dem Schwarz-Weiß-Video statt. Dabei gerät Zdenka/Zdenko versehentlich in die Schusslinie von Mandrykas Kugel und sinkt tödlich getroffen danieder. In der Echtzeit, dem Jahr 2023, schneidet sie sich indes nur die Pulsadern auf, wird allerdings gerettet und bekommt ihren Matteo. Das Ende gehört nicht Arabella und Mandryka, sondern Zdenka und Matteo. Beide sitzen in großer Eintracht zusammen und freuen sich ihres Glücks. Das ist alles sehr überzeugend und mit Hilfe einer stringenten Personenregie auch spannend umgesetzt.

Am Pult erzeugt Sir Donald Runnicles zusammen mit dem bestens disponierten Orchester der Deutschen Oper Berlin einen differenzierten Klangteppich, der zudem einen schönen poetischen Gehalt aufweist. Das Schwelgerische der Musik kommt unter Runnicles versierter Stabführung in gleicher Weise zum Ausdruck wie das Rigide, was eine recht vielseitige Auslotung von Strauss‘ Partitur seitens Dirigent und Orchester ergibt.

Die gesanglichen Leistungen bewegen sich ebenfalls auf hohem Niveau. An erster Stelle ist hier Elena Tsallagova zu nennen, die eine Zdenka allererster Güte ist. Mit großer Emphase und ausgeprägtem Elan stürzt sie sich in ihre dankbare Rolle, die sie schon rein darstellerisch hervorragend auslotet. Ihr intensives Spiel und ihre famose Ausdeutung der Charakterzüge von Arabellas Schwester sprechen Bände. Insbesondere scheut sie im Film des dritten Aktes keine Nacktheit. Auch gesanglich vermag sie mit einem herrlich italienisch fokussierten, variablen und gefühlvollen Sopran zu fesseln. Mit gefälliger, sauber fundierter Sopranstimme, guter Höhe und einfühlsamer Linienführung singt Sara Jakubiak die Arabella, der sie auch schauspielerisch ein überzeugendes Profil gibt. Ein äußerlich sehr robuster Mandryka ist Russell Braun. Vokal vermag er mit seinem vorbildlich gestützten, hellen und über ein treffliches Legato verfügenden Bariton ebenfalls voll zu überzeugen. Robert Watsons Matteo verfügt über einen sehr intensiven, trefflich im Körper verankerten und baritonal gefärbten Tenor, den er ausdrucksstark einzusetzen weiß. Fulminantes Bass-Material bringt Albert Pesendorfer für den Grafen Waldner mit. Immer noch über beträchtliche Mezzo-Reserven verfügt die Adelaide von Doris Soffel. Ein wahres Koloraturfeuerwerk bei gleichzeitig sicheren Spitzentönen feuert Hye-Young Moon in der Partie der Fiaker-Milli ab. Kraftvoll singt Thomas Blondelle den Grafen Elemer. In den Rollen der Grafen Dominik und Lamoral gefallen die beiden jungen Sänger Kyle Miller und Tyler Zimmerman. Alexandra Hutton gibt solide die Kartenauflegerin. Der von Jeremy Bines einstudierte Chor der Deutschen Oper Berlin macht seine Sache tadellos.

Ludwig Steinbach, 7. Februar 2025


DVD: Arabella
Richard Strauss
Deutsche Oper Berlin

Inszenierung: Tobias Kratzer
Musikalische Leitung: Sir Donald Runnicles
Orchester der Deutschen Oper Berlin

Naxos
Best.Nr.: 2.110774