DVD: „Boris Godunow“, Modest Mussorgski

Bei dem Label OPUS ARTE ist ein Live-Mitschnitt aus dem Royal Opera House Covent Garden von Mussorgskis Oper Boris Godunow auf DVD erschienen. Gespielt wird die Originalfassung unter Aussparung des Polen-Aktes. Die Inszenierung stammt von Richard Jones, für das Bühnenbild und die Kostüme zeichnen Miriam Buether und Nicky Gillibrand verantwortlich.

Nicht sonderlich überzeugend ist die Regiearbeit von Richard Jones. Hier bleibt er enorm hinter seinen sonstigen Leistungen zurück. Sein Name steht im deutschsprachigen Raum für hoch moderne, enorm interessante, ungewöhnliche, radikale und teilweise recht provokante Regieansätze. Von alledem ist hier absolut nichts zu spüren. Jones kleidet die Handlung vielmehr in einen eher konventionellen Rahmen und erzählt die ganze Geschichte doch recht harmlos ohne irgendwie geartete Provokationen. Munter werden hier russische Klischees bedient und obendrein mit überflüssiger Folklore aufgewartet. Nein, sonderlich spannend ist es wirklich nicht, was er da auf die Bühne stellt. Und das ist bei diesem Regisseur doch sehr ungewöhnlich und ausgesprochen irritierend. Einige gute Ideen sind zwar schon dabei, insgesamt ist seine Herangehensweise an die Oper aber eher enttäuschend. Von Jones hat man wahrlich schon bessere Arbeiten gesehen. Aber in London liebt man ja derartige traditionelle Inszenierungen und hat für das moderne Musiktheater, wie es in Deutschland Gott sei Dank gepflegt wird, nichts übrig. Es kann durchaus sein, dass sich Jones dem in Großbritannien herrschenden Geschmack unterordnen musste. Mir sagt die Produktion bis auf einige wenige Einzelheiten jedenfalls nicht zu. So etwas ist man von dem sonst so tollen Richard Jones wirklich nicht gewohnt. Modern eingestellten Gemütern, zu denen ich mich zähle, ist diese Produktion jedenfalls nicht zu empfehlen. Liebhabern konventioneller Sichtweisen dürfte sie besser gefallen.

Das Bühnenbild ist zweigeteilt in einen oberen und einen unteren Bereich. Der obere Raum ist golden gehalten und den Mächtigen aus Adel und Kirche vorbehalten. Hier sind auch einmal die Kirchenglocken aufgehängt. Der untere Raum ist in Dunkel gehüllt und wirkt etwas düster. Hier sammelt sich zu Beginn das in Grau- und Schwarztönen gekleidete Volk. Später ergießt sich in diesem Bereich Boris in seinen starken Gewissensqualen. Im zweiten Bild ist es die Klosterzelle von Pimen, der hier an seiner Chronik arbeitet. Diese wird durch riesige Bilder von Zaren aus vergangenen Zeiten mit untergelegten russischen Texten dargestellt. In dem Maße wie diese Schrift noch nicht beendet ist, harrt auch das letzte Portrait noch seiner Vollendung. Von oben blickt Grigory herab. Im vierten Bild wird für Fyodor unten eine Landkarte hereingefahren, anhand derer der Zarensohn seine ausgeprägten geographischen Kenntnisse unter Beweis stellt. Das sind alles Aspekte, die man so lassen kann, sonderlich aufregend sind sie indes nicht. Am besten ist noch Jones‘ Regieeinfall, Boris unter einer ausgemachten Psychose leiden zu lassen, die ihm immer wieder die im oberen Bereich der Bühne stattfindende Ermordung des mit einem Kreisel spielenden Kindes Dmitry vor Augen führt, was ihn total aus der Bahn wirft. Hier geht es in hohem Maße psychologisch zu. Gefällig ist auch die Pantomime am Ende, bei der sich der falsche Dmitry mit einem langen Dolch in der Hand Fyodor nähert, bereit, diesen zu töten. Auch diese Idee macht Eindruck. Insgesamt atmet diese Regiearbeit indes den Eindruck der Mittelmäßigkeit.

Auch bei den gesanglichen Leistungen bleiben viele Wünsche offen. Das beginnt schon bei Sir Bryn Terfel, dem als Boris Godunow die Vorzüge einer guten italienischen Technik fremd zu sein scheinen. Schade. Da schneidet der voll und rund singende Ain Anger in der Partie des Pimen schon besser ab. Hervorragend ist David Butt Philip, der einen bestens italienisch fokussierten, sonoren und ausdrucksstarken Tenor für Grigory, den falschen Dmitry, mitbringt. Ihm gegenüber fällt sein den Shuisky flach und stark maskig singender Stimmfachkollege John Graham-Hall erheblich ab. Aus demselben Grund vermögen auch Andrew Tortise (Gottesnarr) und Harry Nicoll (Missail) nicht zu gefallen. Über immer noch beachtliche Bass-Reserven verfügt in der Rolle des Varlaam John Tomlinson. Einen beachtlichen, gut gestützten hellen Bariton nennt Kostas Smoriginas‘ Schelkalov sein Eigen. Den Fyodor singt mit feinem Knabensopran Ben Knight. Jeweils über eine tadellose Gesangstechnik  und einen profunden Stimmklang verfügen Vlada Borovko (Xenia), Sarah Pring (Xenias Amme), Rebecca de Pont Davies (Schenkwirtin) und Jeremy White (Niktich). Eine ansprechende Leistung erbringt der von Renato Balsadonna einstudierte Royal Opera Chorus.

Am Pult erzeugt Antonio Pappano zusammen mit dem trefflich disponierten Orchestra of the Royal Opera House einen imposanten, differenzierten Orchesterklang, der bei aller Brisanz auch genügend Rücksicht auf die Sänger nimmt.

Ludwig Steinbach, 11. August 2023


DVD: „Boris Godunow“
Modest Mussorgski

Royal Opera House Covent Garden

Inszenierung: Richard Jones
Orchestra of the Royal Opera House
Musikalische Leitung: Antonio Pappano

OPUS ARTE
Best.Nr.: OA1376D
1 DVD