DVD: „Káťa Kabanová“, Leoš Janáček

Bei dem Label Unitel ist ein bei den Salzburger Festspielen 2022 entstandener Live-Mitschnitt von Leoš Janáčeks auf Alexander Ostrowskis Stück Gewitter beruhende Oper Káťa Kabanová erschienen. Hierbei handelt es sich um eine ausgesprochen interessante Angelegenheit. Regisseur Barrie Kosky hat in Zusammenarbeit mit Bühnenbildner Rufus Didwiszus und der für die Kostüme verantwortlichen Victoria Behr wieder einmal ausgezeichnete Arbeit geleistet. Seine eindringliche, intensive und von einer stringenten Personenregie geprägte Inszenierung geht stark unter die Haut. Die Bühne ist fast gänzlich leer, was sich aber in keinster Weise nachteilig auswirkt, denn Kosky versteht es ganz ausgezeichnet, das Ganze mit Leben zu füllen. Leerläufe stellen sich an keiner Stelle ein. Langweilig wird es wirklich nie. Eine konkrete Verortung des Geschehens nimmt das Regieteam nicht vor. Die Kostüme verweisen indes in die Gegenwart. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden von Kosky einfühlsam herausgearbeitet. In der Tat fällt seine Zeichnung der verschiedenen Charaktere recht ambivalent aus. Psychologie wird dabei ganz groß geschrieben. Ohne die Lehren eines Sigmund Freud wäre diese hoch gelungene Regiearbeit Koskys nicht möglich gewesen. Der Regisseur fasst das Ganze nicht nur als Familiendrama auf, sondern darüber hinaus in erster Linie als Gesellschaftstragödie. Káťa leidet hier nicht nur unter der grausamen, rigorosen matriarchalischen Knute ihrer am Stock gehenden Schwiegermutter Kabanicha, sondern krankt ebenfalls an der gnadenlosen Ablehnung durch die sie umgebende Gesellschaft. Das wird bereits zu Beginn deutlich, wenn sich die Titelfigur aus der Menschenmasse herauslöst und verzweifelt über die Bühne rennt. Ihr Aufbegehren gegen die Gemeinschaft ist vergeblich und ein Entkommen in gleicher Weise ausgeschlossen. Die in sich erstarrte und deshalb von sehr realistisch anmutenden Puppen dargestellte Gesellschaft kehrt ihr weiterhin den Rücken zu. Ständig blickt diese Puppenansammlung auf die Rückwand der Salzburger Felsenreitschule. In dem Maße wie ein Bühnenvorhang immer wieder auf und zu geht und derart die verschiedenen Handlungsorte von einander abgrenzt, ändern auch diese Puppen immer wieder ihre Stellung. Dabei bleiben sie stets auf die Hinterwand fixiert. Von vorne sieht man die Puppen nie. Die Ablehnung und Zurückweisung Káťas bleibt vom ersten bis zum letzten Augenblick bestehen und drückt eine gnadenlose Härte und Gefühlskälte der Gemeinschaft aus, die sich bis in die von Kosky archaisch gezeichnete Familie Kabanov erstreckt. Trostlosigkeit pur ist in diesem Ambiente angesagt. Káťas Ehemann Tichon wird als gänzlich unter der Fuchtel seiner Mutter stehender Trunkenbold vorgeführt. Zwischen der Kabanicha und Dikój zeigt Kosky geschickt eine eindringliche sadomasochistische Beziehung auf, in der letzterer gleichsam das willfährige Hündchen der in dieser Szene als Domina gezeichneten Kabanicha wird. Liebe und Zuneigung erfährt Káťa nur von Boris und Varvara. Dennoch endet sie tragisch. Ihr Selbstmord am Ende ist lediglich symbolischer Natur. Sie verschwindet in einer Bodenluke, aus der Tichon wenig später ihr total durchnässtes Kleid herauszieht – ein ganz starkes Bild! Hier ist Kosky wieder einmal ein großer Wurf gelungen.

Am Pult glänzt Jakub Hrůša. Er hat die Janáčeks Oper prägende tschechische Sprachmelodie gut verinnerlicht und entlockt den bestens aufspielenden Wiener Philharmonikern ein abwechslungsreiches Gemisch von einerseits herrlich emotional angehauchten Kantilenen und andererseits teilweise recht schroffen Akzenten. Dadurch gelingt ihm eine sehr plastische, differenzierte Zeichnung der beteiligten Personen. Den Sängern ist er ein sehr einfühlsamer Partner.

Mit den gesanglichen Leistungen kann man größtenteils zufrieden sein. Corinne Winters in der Titelpartie hat man noch von ihrem Auftritt an der Staatsoper Stuttgart in bester Erinnerung. Sie erbringt einfach eine grandiose Leistung. Schon darstellerisch sehr emotional agierend, geht sie auch stimmlich voll in der Rolle der Káťa auf und beglückt mit einem wunderbar italienisch geschulten, in jeder Lage bestens sitzenden und in der Höhe schön aufblühenden Sopran. Schauspielerisch sehr beeindruckend gibt Evelyn Herlitzius die Kabanicha. Deren grausamer Charakter wird von ihr durch ein sehr intensives Spiel perfekt ausgelotet. Zu diesem fragwürdigen Charakter passt ihre insgesamt zwar ordentlich sitzende, manchmal aber etwas hart klingende Stimme nicht schlecht. Saft- und kraftvoll, mit glänzender Höhe und ebenfalls bester italienischer Schulung seines klangvollen Tenors singt David Butt Philip den Boris. Als Tichon gefällt sein tadellos singender Stimmfachkollege Jaroslav Brezina. Die Varvara von Jarmila Balazova besticht durch einen trefflich fokussierten, weichen, gefühlvollen Mezzosopran sowie eine ebenmäßige Linienführung. Nicht zu gefallen vermag Benjamin Hulett, der den Kudrjaš überhaupt nicht mit solider Körperstütze singt. Über nur wenige stimmliche Mittel verfügt Jens Larsens lediglich durchschnittlich anmutender Dikój. Schauspielerisch schneidet er besser ab. Michael Mofidian (Kuligin), Nicole Chirka (Gláša) und Ann-Kathrin Niemczyk (Fekluša) runden das Ensemble ordentlich ab. Nichts auszusetzen gibt es an der von Huw Rhys James einstudierten Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor.

Fazit: Eine DVD, deren Anschaffung durchaus zu empfehlen ist.

Ludwig Steinbach, 10. August 2023


Leoš Janáček: „Káťa Kabanová“

Salzburger Festspiele 2022
Inszenierung: Barrie Kosky
Musikalische Leitung: Jakub Hrůša
Wiener Philharmoniker

Unitel
1 DVD
Bestellnummer: 809108