DVDs: Fünfmal „Idomeneo“, Wolfgang Amadeus Mozart

Idomeneo wird oft als lahm verkannt, aber wenn’s gekonnt gemacht : spannender wie ein Krimi.

44 Jahre alt und kein bisschen leise

Diese Aufnahme dominiert vor allem Josephine Barstow als leidenschaftliche Da aber wurde ich stutzig und bemerkte, wie alt diese furiose Aufnahme doch schon sein muss: tatsächlich schon 1973 entstanden, und immer noch sehr wirkungsvoll. Fast modern auch das halbtechnische Bühnenbild (Roger Butlin) mit dem Trick, alles wie durch einen fernrohrähnlichen Tunnel zu sehen. Dahinter dann romantische Bildvisionen. Welch ein Eindruck! Die recht statische Personenführung (John Cox) zeigt dann allerdings auch deutlich: so würde und könnte man das heute nicht mehr machen. Und das fürchterliche Ungeheuer im 2. Akt dürfte inzwischen von vielen, die ihre naive Freude an der Oper verloren haben, leider doch nur belacht werden, obwohl es, immerhin doch schon als Video, eigentlich recht eindrucksvoll den armen Idomeneo bedroht (mit schöner schlank-lyrischen Stimme Richard Lewis).Den geradezu idealen Mozarttenor Leo Goeke kennt man heute auch nicht mehr. Er gibt einen sehr männlichen Idamantes und erspart mir Gottseidank die heute so modernen Pseudo-Eunuchen. John Pritchard setzt auf einen vollen romantischen Sound, der ist zwar nicht ganz stilrein, aber ungemein wohlklingend im Vergleich zu den kratzenden Geigen des sogenannten historischen Originalklangunfugs. Dass er aber den halben 1. Akt einfach weg ließ, wird ihm Mozart nie verzeihen. Und auch nicht, dass bei den alten Griechen plötzlich Originalpopen(!) auftauchen. Ansonsten: reine Freude und eine Lektion für hochmütige Regietheateranhänger: auch vor über 40 Jahren verstand man schon das Regie Handwerk.

Ein Schlafmittel ohne Nebenwirkungen

 7 Jahre später wird am selben Ort von der Regie pure Langeweile produziert: lahmes Herumstehen, steife Gesten, plumper Pappfelsenrealismus und viele Umhänge-Bärte. Auf die Idee, Mozart mit dem alt- japanischen No-Theater zu kombinieren, und so die Herumsteherei zu verdoppeln,muss man ja erst mal kommen. Trevor Nunn kam drauf und sein Assistent war, man staune, Robert Carson. Da retten auch die teilweise ganz guten Sänger und Bernhard Haitinkam Pult nichts mehr. Hätten sie lieber eine CD gemacht! So ist’s halt Valium brutal geworden. Gute Nacht!

Barockes Styling in Perfektion

Das herrliche alte Opernhaus mit der alten Bühnentechnik und den rollenden Bühnenwalzen für schäumende Meereswellen verführte Michael Hampeverständlicher Weise dazu, mal ganz im Barockstil zu inszenieren. Und das tat er dann auch fast ohne Kompromisse, wenn man von dem unpassenden Bart Stuart Kales als sehr empfindsamen Idomeneo mal absieht. Arnold Östman entfachte richtiges Barockfeuer im Orchester, natürlich mit Originalinstrumenten, aber hier musste das wohl so sein. Barockfans werden von der rezeptionsgeschichtlich hochinteressanten Inszenierung begeistert sein. Zumal auch die Sänger fast alle recht überzeugen, es geht also auch ohne das Altus-Gesäusele. Sehr dramatisch David Kuebler als Idamante, Anita Soldh, als rabenschwarze Rachefurie über die Bühne tobend, bleibt der superaufregenden zweiten Elektra Arie nichts schuldig,. Überhaupt diese Arie! Aufregend und packend wie Ebolis „O Don fatale“, beweist sie das dramatische Potential des jungen Mozart doch sehr deutlich.

Extra was für Schöngeister

Aus der Flut der heute oft äußerlich so hässlichen Inszenierungen ragt diese Produktion von Ursel und Karlernst Herrmann geradezu als Insel der absoluten Schönheit äußerst wohltuend heraus. Auch wenn der dramatische Drive manchmal der artifiziellen Optik geopfert wird. Ein ästhetisches Erlebnis ersten Ranges ist es allemal. Und auch der Humor kommt nicht zu kurz, ist doch die Idee, den muschelbehängten Neptun dauernd über die Bühne geistern zu lassen, wirklich einfach herrlich auflockernd. Auch wenn dann im 3. Akt die supergewaltige VOCE des Gottes in der Luxusbesetzung Günther Groissbecks nicht so ganz dazu passt. Überhaupt ist die Sängerriege vom Feinsten und dem edlen Konzept adäquat: Ramon Vargas als schönstimmiger Idomeneo, singt als obs von Verdi wäre und Ekatarina Siurina verwöhnt optisch und akustisch gleichermaßen. Die Besetzung des Idamante mit einem Mezzo wäre für mich ärgerlich, wenn Magdalena Kozenanicht so überaus intensiv singen und spielen würde. Dass sie dabei den Eindruck eines höchstens 14 jährigen Knaben erweckt passt nicht so ganz zum heldenhaften Töter des Ungeheuers. Die Krone aber gebührt meines Erachtens der fulminanten Elektra Anja Harteros, die auch sehr zu bewundern ist, dass sie in dem superengen Kleid überhaupt singen kann. Jedes Mal wenn sie Atem holt meint man, dass oben alles rauspurzeln wird. So kann man auch Spannung erzeugen! Roger Norrington sorgt für schnelle Tempi, die historischen Instrumente stören mich aber dennoch. Ich finde diese modische Masche immer wieder verfehlt. Vor allem, wenn man bedenkt, wie Mozart und Beethoven einst über die damaligen „jämmerlichen“ Instrumente klagten. (Der schöne Witz, dass Harnoncourt bei einer einfachen Blinddarm OP gestorben ist, weil man ihn mit historischen Instrumenten operierte, der muss hier einfach mal wieder erzählt werden, vielleicht kennt ihn ja einer noch nicht.)

Fast so spannend wie ein TV-Thriller

Sogenannte moderne, und ja oft auch zu Recht verschrieene, Inszenierungen können manchmal wirklich kleine Wunder vollbringen: nämlich aus einer als etwas langatmig verkannten Oper, ein atemberaubend spannendes Erlebnis zu zaubern. So geschehen durch Dieter Dorn und seinem überwältigend einsatzfreudigen Ensemble. Da gelingt es zum Beispiel Annette Dasch, aus ihrer Schlussarie eine der aufregendsten und packendsten Szenen der ganzen Opernwelt zu machen, genau so würde ich mir Don Giovannis Höllenfahrt mal wünschen. Juliane Banseund Pavol Breslik bilden das sanfte und ebenso anrührend wie opferbereite Liebespaar und präsentieren so ganz nebenbei die schönsten Mozartstimmen. Die Stimmschönheit ist es bei John Mark Ainsleys Idomeneo nicht gerade, die uns fesselt, sondern seine hingebungsvolle Ausdrucksgewalt und unbedingte Einsatzbereitschaft. Und Rainer Trost ist als Arbace eine absolute Luxusbesetzung an Stimmschönheit und Stimmgewalt. Ist dann noch Kent Nagano am Pult, steht der totalen Begeisterung nichts mehr im Wege. Bei einem Musik-Vortrag habe ich mit dieser Einspielung gleich eine ganze Gruppe ausgesprochener Idomeneo – Ignoranten bekehren können.

Fazit: Zur Qual der Wahl

Die gibt es hier eigentlich gar nicht, denn Puristen werden die Barock Version aus Drottningholm bevorzugen, wer es modern und richtig spannend will, kommt an der Münchner Aufnahme nicht vorbei, Schöngeister bevorzugen sicher Salzburg, einen schönen Kompromiss bietet dann die erste Einspielung aus Glyndebourne, ja und wer sich unbedingt langweilen will, kann das bei der zweiten dann von Herzen tun. Wenn es nur immer so leicht wäre, sich zu entscheiden.

Peter Klier, 10. Mai 2023