Im Jahr 1774 erreichte das sinfonische Schaffen von Wolfgang Amadeus Mozart einen Höhepunkt. Seine Sinfonie Nr. 29 galt als formvollendetes Beispiel der Sonatenhauptsatzform mit klar ausformulierter Coda und feiner Kontrapunktik.
Spielerische Eleganz und Rokoko Anklänge im Menuett des dritten Satzes verleihen dieser Sinfonie einen besonderen Charme. Mit ausgewogener Klangschönheit und viel Esprit zeigte die Neue Philharmonie Frankfurt unter der Leitung ihres Chefdirigenten Jens Troester eine spielfreudige Leistung. Troester modellierte die einzelnen Sätze sehr klar in ihrer Struktur heraus und sorgte auf dieser Basis für eine lichte Transparenz. Sein Orchester agierte hellwach und engagiert. Spritzig erklangen die Streicher und die Holzbläser sorgten für schöne Farbschattierungen. Fein abgestuft in der Dynamik, kantabel und rhythmisch pointiert, war diese Mozart Sinfonie ein gelungener Start für einen besonderen Konzertabend.
Es war ein deutliches Zeichen von Wagnis und selbstbewusster Planung, sich im zweiten Teil des Konzerts mit Gustav Mahlers erster Sinfonie zu befassen! Dieses Werk fordert von einem Orchester ein Höchstmaß an spieltechnischer Kompetenz und war sicherlich für die Neue Philharmonie Frankfurt eine gewaltige Herausforderung, da die Werke von Gustav Mahler bis dato eher selten von ihr gespielt wurden. Zudem gab es nur eine kurze Probenzeit. Von daher war es nicht verwunderlich, dass das so engagierte Orchester mitunter an deutliche Leistungsgrenzen stieß. Dies wurde jedoch
ausgeglichen durch das spürbare Engagement aller Beteiligten. Es war wichtig, was hier passierte. Das war kein „normales“ Konzert. Das Orchester strahlte es aus und vor allem sein ambitionierter Chefdirigent.
In dieser Sinfonie verarbeitete Mahler eine Reihe seiner Wunderhorn Lieder. Seine Vorliebe für Naturstimmungen findet sich in dem hinreißenden ersten Satz wieder, faszinierender wurde das Erwachen der Natur nie in Töne gesetzt. Ein „a“ in sechs Oktaven in den Streichern erzeugen ein mystisches Flimmern. Dann ertönt das zentrale Intervall der Sinfonie: die absteigende Quarte. Vogelstimmen, ferne Fanfaren, volkstümliche Weisen, ironische Brechungen, Trauermarsch und
Apotheose sind typische Stilelemente der Sinfonien Gustav Mahlers, so auch hier. Und wie überwältigend ist der Sonnenaufgang im strahlenden D-Dur am Ende des ersten Satzes! Die Musik stürmt wild nach vorne und endet mit deutlichen Paukenschlägen.
Welch ein Kontrast im folgenden bäuerlichen Ländler, bis ein Trio mit Streicher Glissandi eine Oase für den Zuhörer errichtet, in der Zeit und Raum sich aufzuheben scheinen. Unheimlich dunkel dann der Moll-Kanon des „Bruder Jacobs“ im dritten Satz mit jüdisch folkloristischen Elementen in den Bläsern. Eine vorbeiziehende böhmische Blaskapelle sorgt für weitere expressive Kontraste.
Mit einem gewaltigen Aufschrei im Orchester beginnt das Finale. Wild aufbäumend wird gegen das Schicksal aufbegehrt! Starke Ausbrüche, die zu Fall gebracht werden. Aus einer anderen Welt kehren die Streicher dann überaus tröstend zurück. Dann wieder unbarmherzige Grausamkeit des Lebenskampfes und doch plötzlich Hoffnung in der Musik. Aus der Dunkelheit ins Licht, Freudentaumel!
Dirigent Jens Troester wählte eine behutsam reduzierte Fassung des Schönberg Schülers Erwin Stein, die kaum etwas von Mahlers ursprünglicher Orchesterfülle einbüßte. 1899 erhielt die 1. Sinfonie Gustav Mahlers ihre finale Gestalt.
Mahler kämpfte lange mit dieser Komposition. Zunächst war sie als symphonische Dichtung vorgesehen. Ein Programm wurde formuliert und wieder verworfen, ebenso die ursprüngliche Form in fünf Sätzen mit dem sog. „Blumine“-Satz.
Jens Troester wartete vor jedem Satz vergleichsweise lange, ehe die Musik begann. Eine kluge Entscheidung. Aufmerksamkeit und Konzentration konnten sich bündeln. Es ist nicht oft zu erleben, dass ein Dirigent derart souverän mit jedem Einsatz seine orchestrale Mannschaft durch das Dickicht einer komplexen Sinfonie führt. Jens Troester ist ein
solcher Könner!
Es war eine besondere Hörerfahrung für die vielen Zuhörer im sehr gut besuchten Auditorium. Die Neue Philharmonie Frankfurt wirkte im ersten Satz noch etwas zögerlich und zurückhaltend. Hie und da gab es in den Sätzen kleinere orchestrale Unfälle, was sicherlich der kargen Probenzeit und der mangelnden Routine im Umgang mit Mahlers
Musik geschuldet sein mag. Dennoch fühlte der Zuhörer intensiv mit, wie sich das Orchester und sein überaus selbstsicherer Dirigent diese symphonische Welt eroberten. Troester wählte für den ersten Satz ein ruhig fließendes Tempo. Schönheit vor Expressivität. Die Naturlaute in den Holzbläsern wirkten noch sehr zurückhaltend, eher suchend und allzu vorsichtig. Und doch, in diesem ersten Satz gelangen Orchester und Dirigent überraschende Momente. Das Flirren der Streicher am Beginn gelang zauberhaft und mit viel Atmosphäre. Wenn dann zum ersten Mal die Trompeten ertönen, so sollen diese aus weiter Ferne erklingen, was selten überzeugend realisiert wird. In Hanau war jedoch genau das der Fall! Im weiten Raum der Hinterbühne ertönten die Trompeten in perfekter Synchronisation zum begleitenden Orchester. Wunderbar. Die Trompeten, Posaunen und Tuba spielten mit großer Sicherheit und Ausdauer. Die Gruppe der Hörner hingegen konnte an diese Qualität nicht ganz anknüpfen. Der Weg zum Sonnenaufgang am Ende des ersten Satzes indes wirkte somit ein wenig mühsam und in der Kulmination allzu kraftlos, aber der Anfang war gemacht.
Und nun begann eine staunenswerte Entwicklung, wie sie eben nur in einem Live Konzert zu erleben ist! Im zweiten Satz wirkte das Orchester dann wesentlich selbstsicherer und gefiel mit feinen Akzenten in den Ländlerweisen. Ein feiner Ruhepunkt wurde mit dem innigen Trio gesetzt. Die Musik atmete und artikulierte sich in vielen Schattierungen.
Der dritte Satz bot reichlich Gelegenheit für Kontraste. Und tatsächlich, Klezmerweisen und Einsprengsel einer vorbei marschierenden Kapelle wurden wohltuend klar formuliert. Viel Zeit nahm sich Troester für die Zitate der Wunderhorn Lieder, die in ihrer Kantabilität berührend wirkten. Die emotionale Intensität wuchs.
Der vierte Satz geriet zum Höhepunkt des Konzertabends. Hier mobilisierte die Neue Philharmonie Frankfurt nun alle verfügbaren Kräfte, sie wirkte komplett frei gespielt und konnte somit außerordentliche klangliche Höhepunkte ermöglichen. Jens Troester zeigte ein kluges Kalkül für die vielen Steigerungen der Mahlerschen Musik und öffnete erst in den letzten Minuten alle Schleusen für das Orchester. Eine endlos wachsende Steigerung, die vom Orchester mit einem perfekt gesetztem Abschluss gespielt wurde, inklusive beeindruckendem Luftsprung des Dirigenten!
Das Publikum reagierte mit einem spontanen Aufschrei der Begeisterung und langem Jubel!
Dirk Schauß, 23.10.2022
Congress Park Hanau, 22. Oktober 2022
Wolfgang Amadeus Mozart: „Sinfonie Nr. 29“ A-Dur KV 201
Gustav Mahler: „Sinfonie Nr.1“ D-Dur
Musikalische Leitung: Jens Troester
Neue Philharmonie Frankfurt