München: „Mirandolina“, Bohuslav Martinů

Premiere: 30. 4. 2014 im Cuvilliés-Theater

Ein Rasseweib in exotischen Gefilden: Ziemlich belanglos, aber heiter

Es ist gerade mal zwölf Jahre her, seit im irländischen Wexford ein durchaus bemerkenswertes Werk reaktiviert wurde: „Mirandolina“ aus der Feder von Bohuslav Martinu. Der Komponist hatte seine Oper in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts geschrieben und auch das italienische Libretto selbst verfasst. Letzteres stellt indes nicht gerade einen Geniestreich dar. Bereits emigriert, konnte Martinu die Uraufführung des Werkes 1959 in Prag nicht miterleben, da es ihm zu dieser Zeit verboten war, seine Heimat zu besuchen. Jetzt hat sich das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper der „Mirandolina“ angenommen und sie im Cuvilliés-Theater in einer Neuproduktion herausgebracht.

Andrea Borghini (Cavaliere), Leonard Bernad (Marchese), Mária Celeng (Mirandolina)

Der Oper zugrunde liegt Carlo Goldonis im Jahre 1753 aus der Taufe gehobene Komödie „La locandiera“, zu Deutsch „Die Wirtin“. Schon früh haben Tonsetzer die hohe Eignung des Stoffes für eine Vertonung erkannt. Im Laufe der Zeit sind insgesamt sechs Opern entstanden, die auf Goldonis Stück beruhten. Die jüngste und vom rein Musikalischen her wohl bedeutendste ist die von Martinu. Wenn man die Musik der „Mirandolina“ hört, kommt man eigentlich gar nicht auf den Gedanken, dass es sich hier um ein relativ modernes Erzeugnis des Musiktheaters handelt. Das vom Komponisten geschaffene Gemisch verschiedener Stile reicht weit in die Vergangenheit zurück. Hier haben wir es ursprünglich mit einer echten italienischen Oper zu tun, bei der der Einfluss so mancher anderer Komponisten unüberhörbar ist. So schimmert beispielsweise Mozart durch, die groß angelegten Ensembles gemahnen an Rossini und sogar Smetana wird bemüht. Eine rudimentär vorhandene Leitmotivtechnik weist schließlich auf Wagner hin. Neben solchen klassischen Klängen wartet Martinu aber auch mit Jazz-Tönen auf, die der Entstehungszeit des Werkes verpflichtet sind. Diese verschiedenen musikalischen Elemente werden größtenteils ohne große Übergänge und ziemlich abrupt aneinandergereiht.

Mária Celeng (Mirandolina), Leonard Bernad (Marchese), Yulla Sokolik (Ortensia), Rachael Wilson (Deianira)

Gespielt wurde in München eine von Anthony Fiumara und Bart Visman erstellte Fassung für Kammerorchester, die den beiden Bearbeitern gut gelungen ist. Bei dem erst 21-jährigen Alexander Prior war die Partitur in guten Händen. Dieser noch sehr junge Dirigent, der bereits mit 11 Jahren das erste Mal am Pult stand und schon im jugendlichen Alter große Klangkörper dirigierte, präsentierte Martinus Musik mit delikatem kammermusikalischem Feinschliff und mit einer großen Farbpalette. Ein starkes Augenmerk legte er dabei auf das Herausstellen der bereits erwähnten Vorbilder. Das Bayerische Staatsorchester setzte seine Intentionen konzentriert und klangschön um.

Matthew Grills (Fabrizio), Mária Celeng (Mirandolina)

Leider ging Christian Stückl bei seiner vom Premierenpublikum recht herzlich aufgenommen Inszenierung etwas zu sehr auf Nummer sicher. Ein Stück kritisch zu hinterfragen oder dessen Subtext herauszuarbeiten, scheint seine Sache nicht zu sein. Der Focus liegt bei ihm nicht auf einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Inhalt, sondern auf reiner Unterhaltung. Der dem Stoff immanente psychologische Gehalt wird gänzlich ausgeklammert. Der Regisseur hat die Handlung zwar behutsamen modernisiert, bewegt sich aber dennoch in reichlich traditionellen Pfaden. Einem Reiseführer für exotische Gefilde scheint seine Deutung, für die Stefan Hageneier die üppige Ausstattung beisteuerte, entsprungen zu sein. Eine Vielzahl von auf den Hintergrund projizierten Palmen lässt auf eine Südseeinsel als Ort des Geschehens schließen, auf der Mirandolina eine Hotelanlage mit Swimmingpool betreibt und zu keiner Zeit auch nur den geringsten Zweifel daran aufkommen lässt, dass sie es ist, die hier die Hosen anhat. Und das in jeder Beziehung. Hier haben wir es mit einem ausgemachten, stets in rote Kostüme gekleideten Rasseweib zu tun, das wahrlich nicht auf den Kopf gefallen ist und die anderen Beteiligten ganz schön am Gängelband zu führen versteht. Neben der Farbe Rot kommt auch der fast stets dominanten gelben Ausleuchtung des Bühnenraumes zentrale Relevanz zu. Dieser in verschiedenen Ausprägungen auftretende Farbton mag vielleicht die wechselnde Kraft der Sonneneinstrahlung auf der Insel symbolisieren. Das wäre aber zu einfach. Vielmehr wird es so sein, dass dadurch die in verschiedenen Intensitäten auftretenden Emotionen der Handlungsträger symbolisiert werden. Und die sind eigentlich zeitlos.

Ensemble

Die Zeit, in der das Regieteam das Geschehen ansiedelt, kann demgemäß sowohl die Mitte des letzten Jahrhunderts, als das Werk entstand, aber auch unsere Gegenwart sein. Der äußere Rahmen ist letztlich belanglos. Die durchaus hübsch anzusehende Ferienidylle dient nur als Staffage für die heiter-vergnügliche, ironische und augenzwinkernde, leider aber in keiner Weise geistig-innovative Umsetzung des Stoffes durch Stückl, der das junge Ensemble indes logisch und temporeich zu führen versteht. Da beherrscht er sein Handwerk. Die Art und Weise wie er das muntere Geschehen vor den Augen der Zuschauer ausbreitet und dabei den Snobismus einer Mirandolina verfallenen Adelsclique auf die Schippe nimmt, ist durchaus köstlich. Daraus hätte ein versierter Regisseur aber noch mehr machen können. Der Kontext birgt einiges an sozialem Zündstoff, dem seitens der Regie keine Beachtung geschenkt wurde. Wie gesagt, der Spaßfaktor stand im Vordergrund und keine Gesellschaftskritik. Wenigstens hat Stückl zum Schluss das nur äußerliche Happy End hinterfragt. Ob die Ehe zwischen Mirandolina und Fabrizio gut gehen wird, ist zumindest fraglich.

Ensemble

Die jungen Sänger des Opernstudios liefen unter Stückls technisch versierter Ägide rein darstellerisch allesamt zu großer Form auf. Gesanglich hinterließ die Aufführung einen gemischten Eindruck. Angeführt wurde das Ensemble von der jungen Mária Celeng, die für die Mirandolina einen tiefgründigen, perfekt sitzenden und großes Ausdruckspotential aufweisenden Sopran bester italienischer Schulung mitbrachte. Dies und ihr ausgelassenes, fetziges Spiel fügten sich zu einem glaubhaften Rollenportrait zusammen. Übertroffen wurde sie von Andrea Borghini, dem wohl die ganz große Karriere bevorsteht. Dieser famose junge Sänger, der über einen ganz phantastischen, ebenfalls hervorragend italienisch fundierten, frischen und sonoren Edelbariton verfügt, stellte eine Idealbesetzung für den Cavaliere dar, den er auch überzeugend spielte. Der Bass von Leonard Bernads Marchese klang in der Mittellage voll und rund. In der Höhe ging er aber oft vom Körper weg, woraus in diesem Bereich eine recht halsige Tongebung resultierte. Solide der Conte von Joshua Stewart, neben dem die beiden anderen Vertreter der Tenorliga abfielen. Matthew Grills war ein äußerlich sympathischer Fabrizio, der auch eindrucksvoll zu spielen verstand, mit seinem nur dünnen Tenormaterial aber vokal nicht im gleichen Maße überzeugend abschnitt. Nur einen Hauch von Stimme nannte der moderne Anzugträger Petr Nekoranee als Servitore (Diener) sein Eigen. Von den beiden falschen adeligen Damen hatte Rachael Wilson (Deianira) stimmlich etwas mehr zu bieten als Yulia Sokolik (Ortensia). Einen trefflichen Eindruck machten das Opernballett der Bayerischen Staatsoper und die thailändischen Tänzer Oliver Exner und Yasuko Kayamori.

Ludwig Steinbach, 1. 5. 2014
Die Bilder stammen von Wilfried Hösl.