München: „OPERcussion“, Moritz Eggert

„Von den hämmernden Ambossen in Richard Wagners ‚Ring des Nibelungen‘ führt ein logischer Weg zum massiven Schlagzeugeinsatz in Igor Strawinskys ‚Sacre du Printemps‘, dann zum tanzenden Xylophon in George Gershwins ‚Amerikaner in Paris‘ oder zur Schreibmaschine in Erik Saties ‚Parade‘“.

Es stimmt schon, was der Komponist Moritz Eggert in seinem Einführungstext zu seinem neuesten Werk mit dem dissertationsnahen Titel „OPERcussion. Die Geschichte des Schlagwerks in der Oper: 1700-2023“ und dann in seiner launigen Einführungsrede vor der Uraufführung eben dieses Werks gesagt hat: Ohne die Schlagzeuger wären die Oper, das Ballett und die Konzertmusik zumal des 20. Jahrhunderts arm dran und um wesentliche Nuancen ärmer. Nein, man hört in dem, was dann folgt, nicht die Ambosse aus dem „Rheingold“ heraus – und selbst bei den möglichen Strawinsky-Anklängen kann man sich nicht sicher sein, ob das alles, wie Eggert ankündigt, chronologisch hörbar ist. Darum aber ging es wohl nicht. Direkte Zitate, in denen Rhythmus und Melodie fast eins sind, sind eh selten: Wer den Reitermarsch aus der Tell-Ouvertüre nicht heraushört, kennt entweder dieses Werk nicht oder mag musikalisch farbenblind sein. Der Rest an klingender Schlagwerksmusikgeschichte entäußert sich nicht in notorisch plumpen Zitaten, gar einer Collage, sondern in feinsten Tönungen. Es fängt ja schon witzig an: Da betritt Pieter Roijen die Bühne, er setzt sich, leicht zaghaft, an die Pauke und produziert erst einmal einen leisen trockenen Ton, bevor er sich den zweiten erobert. So begann es, vor Erfindung der Glissandi ermöglichenden Schraubenpauke, und so geht es weiter: peu á peu tritt ein Schlaginstrument hinzu, plötzlich stehen fünf Pauker im Kreis an fünf Pauken, nach Mozarts Zeit erweitert sich das Spektrum ins Unendliche. Triangeln und Becken begleiten Märsche, verschieden gestimmte Glocken ermöglichen den Klangraum der Kremlszene des „Boris Godunow“, Ratschen akzentuieren die Strauss’schen Opern, alle möglichen (und das sind viele) Geräte, die ein Komponist noch des 20. Jahrhunderts niemals ins Opernorchester hineingenommen hätte, schaffen die wildesten Klangräume. Nein, „OPERcussion. Die Geschichte des Schlagwerks in der Oper: 1700-2023“ erzählt die Historie nicht mit dem Hang zur Vollständigkeit, auch wenn Wendegattungen (die Grand Opéra, Strawinskys und Straussens expressionistische Exzess-Werke, Gershwins Volksoper und die Gegenwartswelt) klangräumlich hörbar werden.

Moritz Eggert / © Mercan Fröhlich

„OPERcussion“, so heißt auch das Ensemble, das am Abend im Rokoko-Theater auf der Bühne steht, um mit ausschließlich für es komponierten Werken denkbar kontrastive Töne in den alten Raum zu schicken. Die Schlagzeuger des Bayerischen Staatsorchesters, das sind exzellente Solisten, Teamplayer und gelegentlich auch Komponisten. Mit Claudio Estays „Logos“ wird das Konzert eröffnet; was sich im Programmheft als abstrakte Übung ausnimmt, sind, im Gewand von „5 Miniaturen für Schlagzeugquintett“, fünf hinreißend eruptive Sätze, die uns zwischen radikaler Polyrhythmik und einhämmernden Unisoni, einen ersten Einblick in die wunderbar weite Welt des Schlagwerks geben. Es knallt, knarzt, schnarrt und rasselt, es explodiert, säuselt, klingelt und hämmert. Ist „Logos“ ein eher hartes Werk, wird mit Konstantia Gourzis „Carousel 23“ (die Dirigentin am Pult) eine zauberisch-lyrische, ja: melodiöse Welt eröffnet, denn auch Metallo-, Marimba- und Xylophone gehören zur Familie des Schlagwerks. Man haucht und pfeift (zusätzlich), man atmet, man schickt die weiche Musik als Erinnerung an Kindheitsträume in den Raum. Das Schlagwerk wird symphonisch. Dritter Kontrast: Eggerts Opernstück, keine Collage, aber auch ein saftig-munteres Stück mit Spaß an der Freude, über so viel klang Möglichkeiten zu verfügen. Der erste Pauker, der in München eine Festanstellung erhielt, wurde übrigens schon 1600 in das, was heute „Bayerisches Staatsorchester“ heißt, hineinengagiert, doch erst 1925, hört man, kam der erste Schlagzeuger im Dauerengagement ins Orchester. Es wurde auch Zeit: nach den Premieren von „Elektra“ und „Wozzeck“, wenn auch noch lange vor den Schlagzeugorgien, die Bernd Alois Zimmermann für „Die Soldaten“ (Eisenschienen, Peitschen, Tempelblöcke, Tischgeschirr, Tische, Stühle…) und Aribert Reimann für den 1978 in München uraufgeführten „Lear“ (Bronzeplatten, Metallfolie, Metallblock, Holzfass…) komponiert haben.

Ganz anders beginnt der zweite Teil: mit einem Stück, das bereits ein halbes Jahrhundert alt, in die Historie der Nachkriegsmoderne zurückweist. Die sieben Spieler haben mit dem vor einem Monat verstorbenen Walter Haupt, einst u. a. Schlagzeuger im Bayerischen Staatsorchester, dessen „Reziprok II“ erarbeitet. Haupt hat dem alten Werk einen neuen Mittelteil hinzugefügt und das Alte revidiert. Man hört „Reziprok II“ die Verbundenheit mit der Moderne von 1975 deutlich an. Die Sequenzen, nach 5 und dann wieder 3 Sekunden das Vorgespielte wiederholend, kommen zunächst mit unerbittlicher Logik, die separaten Klangereignisse – mit singender Säge, geknautschten Flaschen und was sonst noch 1975 en vogue war – bündeln sich zusehends, bevor „Reziprok II“ in einem sensitiven Klangteppich in mehrfachem Piano mündet. Der Beifall des enthusiasmierten Publikums war denn auch, was auch der Gedenksituation für den bekannten Münchner Musiker geschuldet sein mag, nicht enden wollend – bevor mit Oriol Cruixents drittem Satz („Èxtasi Hèmiolic“) aus der „Suite Iniciàtica“ Folkloristisches in den Raum klang – bei aller Anbindung an die strenge Form einer „hemiolischen Fuge“. Schließlich wurde mit Nicolas Martynciows „Après la Dèluge“, frei nach Rimbauds Gedicht, purer Jazz realisiert: mit der Harfenistin Gael Gandino, die die Tauglichkeit ihres Instruments für den Jazz und die Percussionformation zupfend bewies.

Und wie endete nun Eggerts Opernstück? Fast mit dem Höhepunkt von „Nessun dorma“ – bevor der Hammer den finalen Hochton durch Niederfallen auf eine Holzkiste und die Zerreißung einer Zeitung dem Puccini-Spaß ein abruptes Ende bereitete. Man kann übrigens, neben den bekannten Pauken, Trommeln, Glockenspielen, Kastagnetten, Becken und sonstigen „traditionellen“ Instrumenten auch Knallerbsen, Luftpumpen und Wasserschüttungen als Klangproduzenten einsetzen – von Tröten, Sirenen und Windmaschinen ganz abgesehen. Ein Schlagzeuger muss heute schon sehr viel können – das brillante wie kurzweilige Konzert, das mit dem Inventar der Schlagzeugabteilung lustvoll umging, hat es quasi schlagend bewiesen.

Frank Piontek, 29. Juni 2023


1. Festspiel-Kammerkonzert, Opernfestspiele München

München, Cuvilliéstheater, 28. Juni 2023

Moritz Eggert: OPERcussion

Die Schlagzeuger des Bayerischen Staatsorchesters

Dirigenten: Konstantia Gourzi, Moritz Eggert