Berlin: „Die Fledermaus“

Zweiter Premierenbericht vom 28.04.2018

Das vermeintlich Einfache erweist sich auf der Opernbühne oft als das Schwierige. Eine einfach gestrickte bürgerliche Posse, wie sie Johann Strauß’ FLEDERMAUS darstellt, auf die Bühne eines großen Hauses zu hieven, erfordert Mut und zündende Ideen – und natürlich ein darstellerisch und sängerisch exzellentes Ensemble. Diese Vorgaben konnten Regisseur Rolando Villazón und das Team der Deutschen Oper Berlin nur teilweise einlösen. Villazón brach in seiner Inszenierung im Bühnenbild von Johannes Leiacker und mit den Kostümen von Thibault Vancraenenbroeck die im Stück angelegten aristotelischen Drameneinheiten von Zeit (innerhalb eines Sonnenlaufs), Ort (wurde in der französischen Renaissance als Drameneinheit hinzugefügt) und Handlung (Fokussierung auf Hauptpersonen, keine Nebenhandlungen) auf, vor allem was die Zeit und den Ort anbelangt. Villazón beabsichtigte, das Zeitlose der Handlung zu betonen (in seinen Worten „Fledermaus forever“, ein verformte Uhr über dem Souffleurkasten, Uhren an der Wand und als digitale Projektionen).

Die sozialkritischen Ingredienzien der FLEDERMAUS sind ja ein Paar, die aus der Routine der Ehe ausbrechen möchte, am Geruch des Verruchten schnuppern will und Underdogs, die sich zu Höherem berufen fühlen. Um dies zu zeigen, wählte das Inszenierungsteam für jeden Akt eine andere Epoche: Man begann ganz konventionell in Wien um 1870, verlegte den zweiten Akt in einen heruntergekommenen Bunker-Nachtclub im kommunistischen Ostberlin der 1950er Jahre und ließ den Schlussakt in einem RAUMSCHIFF-ORION-Setting spielen. Johannes Leiacker hatte diese drei zeitlich versetzten Spielorte in einem stimmigen, fantasievollen Bühnenbild auf eine Drehbühne bauen lassen, welche dann zum Schlussapplaus durch unaufhörliches Drehen nochmals die Epochen durcheinanderwirbeln ließ. Auch vorher schon wurde die zeitliche Fixierung der Akte immer wieder aufgebrochen.

So war z.B. das Kaminfeuer im ersten Akt ein TV-Bildschirm, der vom diabolischen Dr. Falke mittels Tablet-Fernbedienung eingeschaltet worden war. Der tollpatschige Gefängnisdirektor Frank schaffte es dann, zum Gaudi des Publikums, das Kaminfeuer durch den ARD-Wetterbericht zu ersetzen. Auch ein obdachloser Alki am Bühnenrand sorgte für sarkastische Einlagen, aber irgendwie wurde die Figur dann nicht näher beleuchtet oder in die Inszenierung eingebaut (mir jedenfalls nicht aufgefallen), und so schien diese Idee etwas unausgegoren. Die Personenführung und die Choreographie (Philippe Giraudeau) im zweiten Akt war originell und stimmig, die Verwechslungs-/Verkleidungskomödie gelungen. Erstaunlich, dass der dritte Akt in der Kommandozentrale des Raumschiffs fast am besten funktionierte, da gab es echt komische Momente, so wurde etwa der Frosch als philosophierender Android, dem keine Gefühle einprogrammiert worden waren, kaltgestellt und kehrte darauf als Version 2.0 wieder, mit einer Blume für seinen Chef, den Gefängnisdirektor Frank.

Das war echt komisch, statt politischer Satire (wie sie oft in der Frosch-Szene praktiziert wird) nun also zukunfts- und technologieskeptische Persiflage, von Florian Teichtmeister umwerfend gut gespielt. Auch technisch war dieser dritte Akte einwandfrei gemacht, wie da die Protagonisten aparieren, sich im grünen Nebel in die Raumstation beamen lassen – herrlich. Auch an der Personenführung und der Charakterisierung der Handlungsträger gibt es nichts auszusetzen: Rosalinde (Annette Dasch) als leicht cholerische, ihr Gefühlsleben nicht unter Kontrolle kriegende Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, ihr Gatte Gabriel von Eisenstein (Thomas Blondelle) als infantiler, überkandidelter Mann, Adele (Meechot Marrero) als klassenkämpferisches Dienstmädchen, das dann mit ihrer gereckten Faust wunderbar zu den in den kubanischen Nationalfarbenauftretenden Tänzern passte, Prinz Orlofsky (Angela Brower) als androgyner russischer Offizier mit einem Hauch von Rocky Horror Picture Show, Dr. Falke (Thomas Lehmann), der sich vom smarten, geschmeidigen Notar immer mehr zu Nosferatu wandelte, der die Frauenherzen mit blendendem Aussehen und schmachtender Stimme bezirzende Tenor Alfred (Enea Scala) und natürlich der herrlich komische Gefängnisdirektor Frank, dem Markus Brück slapstickartiges Profil verlieh.

Auf der musikalischen Seite vermochten leider nicht all diese Künstler ihre exzellenten darstellerischen Qualitäten zu egalisieren. Etwas enttäuscht war man von Annette Dasch, welche eine wirklich grandios-resolute und im ersten Akt herrlich hysterische Rosalinde spielte, gesanglich jedoch nicht ganz überzeugte. Insbesondere das Bravourstück dieser Operette, der Csárdás im zweiten Akt, gelang ihr überhaupt nicht. Lag es am zügigen Dirigat von Donald Runnicles, dass die Gesangslinie überhastet, flüchtig, verwischt wirkte, die Spitzentöne kaum angetippt wurden? Der Applaus für Frau Dasch hielt sich deshalb auch am Ende in Grenzen.

Meechot Marrero als Kammerzofe Adele besitzt eine hübsche Stimme, in ihren beiden großen Arien fehlte es ihr noch etwas an perlender, effektsicherer Koloraturgeläufigkeit. Angela Brower sang einen korrekten Orlofsky, bei ihr hätte es durchaus noch etwas mehr an erotisch gurrender Lassitüde und vokaler Durchschlagskraft vertragen. Thomas Blondelles Eisenstein war sehr gut gesungen, trotz der beinahe akrobatischen, infantilen Einlagen, saß sein Tenor goldrichtig und blieb ungefährdet auf Linie.

Das war bei Enea Scala als Alfred nicht immer der Fall, einige der Opernzitate von Puccini bis Ponchielli, die er zum besten geben durfte, klangen manchmal etwas gaumig, verquollen. Thomas Lehmann überzeugte als „Fledermaus“ – Dr. Falke mit sauber geführtem Bariton, Jörg Schörner war auch stimmlich ein exzellent intonierender und virtuos stotternder Dr. Blind.

Zu Recht am meisten Applaus erhielt jedoch Markus Brück als Gefängnisdirektor Frank: Seine Darstellung und seine gesangliche Leistung verschmolzen zu einem umwerfend komischen Rollenporträt, er offenbarte auch keinerlei Probleme mit den teils (allzu?) rasanten Tempi (z.B. beim „Vogelhaus“), welche von Donald Runnicles vorgegeben wurden.

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin spielte Strauß’ walzerselige Partitur mit Verve, fantastischer Präzision, vielleicht mit einem Hauch allzu teutonischer Gründlich- und Ernsthaftigkeit. Grandios natürlich auch der Beginn von Richard Strauss’ ALSO SPRACH ZARATHUSTRA (war auch die Filmmusik von Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY), welche zum Rebooting von Frosch als Version 2.0 gespielt wurde. Solide sang der Chor der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung: Jeremy Bines), besonders wirkungsvoll im Surround Sound im dritten Akt von den beiden Seiten des Parketts.

Ja, es gab viel zu schmunzeln, einige wirklich lustige Gags (die Dosenpyramide von Frosch im dritten Akt, die drei Entwicklungsstadien zum homo erectus, welche ab und an über die Bühne schlichen und dann am Ende die Weltraumstation demolierten, die Zimmerpalme und der aus dem Ruder laufende digitale Kaminbildschirm im ersten Akt) – und doch mussten Villazón und sein Team am Ende einige lautstarke Missfallenskundgebungen des Premierenpublikumsüber sich ergehen lassen.

Kaspar Sannemann 30.4.2018

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