Düsseldorf: „Schade, dass sie eine Hure war“

Premiere: 16.2.2019

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Uraufführung, musikalisch süffig

Man reibt sich schon ein wenig die Ohren. Bei der Uraufführung der neuesten Oper von Anno Schreier gibt es ausgedehnte Melodiebögen, das Orchester schwelgt vielfach in süffigem Dreiklangs-Dur, der Klangkosmos des Werkes erblüht romantisch. Es gibt zwar auch bizarre Akkorde und dissonante Tonschärfungen, aber das ist mehr musikalisches Würzsalz als Essenz. Der Versuch, sich mit dem Stil Anno Schreiers im Vorfeld der Düsseldorfer UA-Premiere von „Schade, daß sie eine Hure war“ ein wenig vertraut zu machen, führte bereits zu dem Fazit, daß bei dem vierzigjährigen Aachener Komponisten eine aggressive, dissonantenknallige Musiksprache generell nicht zu erwarten steht. Aber derart wohlgefällig, so klangretrospektiv macht die Partitur dann doch erstaunen.

Somit steht eine heterogene Beurteilung des Werkes zu erwarten. In Pausengesprächen wurden Zustimmung und Ablehnung gleichermaßen deutlich. Auch die „comic relief characters“ innerhalb der Handlung sorgten für Diskussion. Ein Vertreter des Shakespeare-Festivals im nahen Neuss berichtete von Begegnungen mit dem originalen John-Ford-Drama, welches nach 260 Jahren gänzlichen Verschwindens von der Bühne mittlerweile wieder häufiger gespielt wird. Die erlebten Inszenierungen hätten vorrangig auf die ernsten Elemente des Schauerstücks gesetzt. Anno Schreier und seine Librettistin Kerstin Maria Pöhler (auch als Regisseurin sehr aktiv) folgen stärker der Erkenntnis, daß es „die Spannung erhöht, wenn die dramatische Handlung durch komische Szenen gebrochen wird“ (Schreier).

Trotzdem bleibt „Schade, daß sie eine Hure war“ ein rabiater Tragödienstoff mit einem Finale, welches an Wagners „Tristan“ erinnert: „Tot denn alles, alles tot.“ Assoziationen auch wegen der Musik, welche das sich inzestuös liebende Geschwisterpaar Annabella/Giovanni (in der Oper sind sie gar Zwillinge) eine Art gemeinsamen Liebestod sterben läßt. Giovanni vermag sich trotz selbst zugefügter Wunden freilich noch einmal aufzurappeln. Er schneidet seiner (definitiv toten) Schwester das Herz aus der Brust und präsentiert das blutige Stück Fleisch einer Feiergesellschaft, welche sich nicht genug tun konnte mit Beleidigungen gegenüber den füreinander entflammten Geschwistern. „Schade, daß sie eine Hure war“ – dieses Urteil dürfte bleiben.

Schon einmal hat Anno Schreier bei einer Oper (dieses Genre inspiriert ihn gemäß eigener Auskunft besonders) auf das elisabethanische Zeitalter zurückgegriffen, nämlich mit dem vor zwei Jahren im Theater an der Wien uraufgeführten „Hamlet“, welchen eine Fachzeitschrift „banaler und zynischer als jeder Tatort“ empfand. Libretto und Musik wurden als „diffus und banal“ bezeichnet. Nun denn, auf in die Diskussionsschlacht …

In dem brutalen Historiendrama John Fords, dessen Vita nur fragmentarisch bekannt ist, tummeln sich neben dem zentralen Liebespaar und dessen ehrpusseligen Vater Florio der geile Edelmann Soranzo, der kampfeslodernde Soldat Grimaldi, der überkandidelte Bergetto, der rachsüchtige Richardetto sowie ein religionsfinsterer Mönch. Noch düsterer der Diener Vasquez, ein fataler Drahtzieher, welchem die Oper einen triumphierenden Abgang gönnt. Die erotisch umtriebige Hippolita ist die Eifersucht in Person und wird von der erwähnten Feiergesellschaft in den Feuertod gehetzt. Für humoristische Auflockerung sorgen Annabellas Amme Putana (aber auch sie wird später hinter der Szene hörbar abgemurkst) und Richardettos Nichte Philotis. Ein breites personales Kaleidoskop, welches einem Regisseur reizvolle, aber auch schwierige Aufgaben stellt.

David Hermann geht so locker als möglich an seine Aufgabe heran. Daß Bühnenarbeiter vor Aufführungsbeginn noch an Jo Schramms ziemlich realistischem Bühnenbild herumwerkeln, gehört bereits zu seinem Konzept. Die optische Gefälligkeit der Szene spiegelt sich auch in den Kostümen von Michaela Barth, welche kokett zwischen historisch und modern changieren. Hermann arbeitet virtuos mit seinen Sängerdarstellern und gibt den heterogenen Konstellationen der Oper gebührenden Raum. Die Begegnungen von Annabella und Giovanni wirken gleichermaßen heißblütig und lyrisch dezent, die anderen Figuren erhalten je nach Bedarf dramatisches oder skurriles Profil. Das Zuschauerauge bekommt in jedem Falle viel zu sehen und zu beobachten.

Es gibt auch viel (Gutes) zu hören. Am Pult der Düsseldorfer Symphoniker entfacht Lukas Beikircher ein reiches orchestrales Farbenspiel, hier süffig, dort drastisch. Der Chor (Francis Chestnut) macht sich bestens. Lavinia Dames und Jussi Myllys schmelzen als liebendes Geschwisterpaar nur so dahin. Baßgewaltig Bogdan Talos (Mönch) und Sami Luttinen (Vasquez), Richard Sveda (Soranzo) besticht mit seinem raumfüllenden Bariton. Susan Maclean ist eine Putana von mitunter grotesker Komik, buffonesk geben sich auch Sergej Khomov als Grimaldi und vor allem Florian Simson als Bergetto. Sängerisch fällt die erst 25jährige Rumänin Paula Iancic (Philotis) besonders auf, derzeit noch im Münchner Opernstudio engagiert. Auch die restlichen Mitwirkenden überzeugen: Sarah Ferede (Hippolita), Günes Gürle (Florio), und David Jerusalem (Richardetto).

Das Publikum war mit dem Gebotenen erkennbar einverstanden.

Christoph Zimmermann 17.2.2019

Die Fotos stammen von Hans Jörg Michel