Premiere: 18. bis 20. Juni 2021
Besuchte Aufführung: 2. bis 4. Juni 2021
Ein Regisseur, der an der Deutschen Oper am Rhein „Tristan und Isolde“ inszeniert, tritt in große Fußstapfen. Jean-Pierre Ponnelle gab hier mit diesem Stück 1963 sein Debüt als Opernregisseur. 1975 folgte eine Produktion von Oberspielleiter Georg Reinhardt in den Bühnenbildern von Heinrich Wendel. Als Linda Watson 1998 ihre erste Isolde sang, versetzte Filmregisseur Werner Schroeter die Liebesgeschichte auf den Panzerkreuzer Potemkin. 2010 wurde für wenige Vorstellungen Claus Guths Züricher Produktion, die in der Villa Wesendonck verortet ist, in Düsseldorf gezeigt. Nun inszeniert Dorian Dreher, der am Haus eigentlich als Regieassistent arbeitet und dafür zuständig ist, die Produktionen von anderen Regisseuren im Repertoire frisch zu halten.
Als diese Inszenierung im Frühjahr 2020 geplant wurde, ging die Intendanz der Rheinoper davon aus, dass nur Stücke ohne Pause mit einer maximalen Spieldauer von 90 Minuten gezeigt werden können. Deshalb wird dieser „Tristan“, der schon im Dezember 2020 fertig geprobt wurde, auf drei Abende verteilt. Bei der Premiere sind diese Regeln aber schon veraltet. Düsseldorf spielt zurzeit auch einen dreistündigen „Barbier von Seviglia“ mit einer Pause, in München kommt der neue „Tristan“ mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann am einem Abend heraus. Der stärkste Impuls dieser Produktion geht von der Musik aus. Der ehemalige Bochumer und Nürnberger GMD Eberhard Kloke hat nämlich eine spezielle Corona-Version erstellt, die auch von vielen kleinen Häusern gespielt werden könnte: Im Orchestergraben sitzen nur ungefähr 30 Musiker und stehen für Tristans Außenwelt. Ein Streichquartett, zu dem sich ein Englischhorn gesellt, ist auf der Bühne positioniert und repräsentiert Tristans Inneres. Wenn Markes Königshof in Form der Blechbläser erklingt, positionieren sich die Hörner, Trompeten und Posaunen auf der der Hinterbühne.
Trotz dieser kleinen Besetzung entsteht unter dem Dirigat von Rheinopern-GMD Axel Kober ein großartiger Klang. Das Kammerensemble auf der Bühne spielt meistens die Passagen, die sowieso im Piano stehen, was diese noch intimer und zarter werden lässt. Das Orchester im Graben klingt sehr durchsichtig, kann aber in den großen dramatischen leidenschaftlichen Momenten trotzdem groß aufspielen, so dass manchmal sogar die Gesangstimmen überdeckt werden. In solchen Momenten müsste Kober noch etwas feiner justieren. Das Gewebe der Motive wird hier sehr transparent aufgedeckt. Bläser und Streicher sind gut ausbalanciert und es gibt, abgesehen vom Cello-Solo zu Brangänes Reisebeschreibung, nur wenige Momente, in denen sich einzelne Stimmen übertrieben in den Vordergrund drängen.
Im „Making of“-Video kündigt GMD Axel Kober an, dass ein ungekürzter „Tristan“ gespielt wird. Tatsächlich folgt die Rheinoper aber der Unsitte, die sonst an mittleren und kleinen Häusern praktiziert wird, dass im Liebesduett im 2. Akt das „Tag-Nacht-Gespräch“ gestrichen wird. Bei erfahrenen Interpreten wie Linda Watson und Michael Weinius in den Titelrollen überrascht diese Methode. Linda Watson singt hier, darf man dem „Making of“ glauben, ihre letzte Isolde. Auch nach 23 Jahren in dieser Rolle verfügt sie über eine große und energiegeladene Stimme. Lediglich in den Spitzentönen schleichen sich manchmal Schärfen ein. Watson gestaltet den Text sehr sorgfältig und zeigt in den leiseren Abschnitten auch viele Nuancen und Zwischentöne. Das gilt auch für Michael Weinius, dessen Stimme in den großen Ausbrüchen jedoch ausbleicht. Mit vollem und farbenreichem Mezzo singt Sarah Ferede die Brangäne. Ihre Nachtgesänge im 2. Akt sind von vollendeter Schönheit. Wenn Ferede, die sich auch schon erfolgreich als Sieglinde präsentiert hat, so weitermacht, könnte sie die nächste Isolde der Rheinoper werden. Einen kultivierten und kräftigen Kurwenal singt Richard Sveda. Trotz der Größe der Stimme hat er im 3. Akt mit dem Orchester zu kämpfen. Immer noch eine stimmliche Sensation ist Hans-Peter König als Marke. Der Bassist singt zwar schon seit über 20 Jahren im Wagner-Fach, klingt aber vollkommen unverbraucht. Mit welcher Stimmschönheit und Klugheit König seine Partie interpretiert ist einfach zum Niederknien. Ein gelungener Einfall der Regie ist, dass Andreas Boege am Englisch Horn auch szenisch zu einem Alter Ego Tristans wird und in einigen Momenten Darsteller wird, wie man es aus Inszenierungen Peter Konwitschnys kennt, wo Orchestermusiker mit den Sängern interagieren. Problematisch ist aber, dass das Streichquartett nur auf der Bühne sitzt und hinter den Notenpulten spielt. Sinnvoller wäre gewesen, diese Musiker hinter einem Vorhang spielen zu lassen, damit sie genauso unsichtbar werden wie das Orchester. Berührend ist es, wenn Tristan Isolde im Liebesduett des 2. Aktes aus der Marke-Welt auf die Vorderbühne zu „seinem“ Streichquartett führt. Eine starke Szene ist das Finale, wenn 18 weitere Musikerinnen die Bühne betreten und Linda Watson auswendig begleiten. Da gehen Musik und Szene Hand in Hand, lassen nicht nur großartige Musik, sondern auch ein starkes Bild entstehen.
Ansonsten vermisst man bei dieser Inszenierung ein schlüssiges inszenatorisches und optisches Konzept: Im ersten Akt wird das Schiff nur angedeutet: Auf der ebenen Bühne befindet sich eine Treppe, die auf die untere Etage eines Podestes führt. Dort wird die Schiffskabine mit ein paar Tüchern bloß markiert. Der zweite Akt ist optisch am konzentriertesten: Bühnenbildnerin Heike Scheele hat hier einen langgezogenen Raum mit Tisch entworfen, wo sich Tristan und Isolde treffen. Im dritten Akt sitzt Tristan trauernd an der Theke einer Cocktailbar. Die Wunde an der er leidet, ist der Verlust Isoldes, so steht es wenigstens im Programmheft. Im Hintergrund sieht man aber Kurwenal und den Hirten, der hier ein Arzt ist, wie sie sich in einem Paralleluniversum um den verwundeten Tristan auf der Intensivstation kümmern. Über weite Strecken sieht es so aus, als ob Regisseur Dorian Dreher den SängerInnen freie Hand gelassen hätte. Bei einem Haus mit dem Niveau der Deutschen Oper am Rhein hätte man sich gewünscht, dass eine Neuproduktion von „Tristan und Isolde“ nicht nur ein musikalisch erstklassig geboten, sondern auch in einer durchdachten Form auf die Bühne gebracht wird.
In der Saison 2021/22 soll diese Produktion noch dreimal im Duisburger Haus der Rheinoper gespielt werden (31. Oktober, 06. und 14. November), sofern die herbstlichen Inzidenzwerte nicht zu einer erneuten Schließung der Theater führen. Dann sollen Alexandra Petersamer und Daniel Frank das titelgebende Liebespaar singen.
Rudolf Hermes, 9.7.2021