
Jacques Offenbachs letztes und genialstes Bühnenwerk „Hoffmanns Erzählungen“ ist der Inbegriff romantisch-fantastischer Bühnenkunst. Als Koproduktion mit der Oper Graz geht die Deutsche Oper am Rhein besondere Wege, um sich dem effektvollen, aber schwer zu händelnden Werk zu nähern. Denn Offenbach selbst konnte die Oper nicht vollenden, hinterließ aber eine Unmenge an Skizzen, Musiknummern und Plänen, was jeden Musiker und Regisseur vor das Problem stellt, aus dem fragmentarischen Erbe eine überzeugende Fassung zu schmieden. Das gelingt mit der Graz-Düsseldorfer Fassung durchaus, wobei man den „unvollendeten“ Charakter des Torsos nutzte, um die fünf Akte gleich vier denkbar unterschiedlich geprägten Regie-Teams anzuvertrauen. Die unvermeidliche Buntscheckigkeit der Szenenfolge wird dabei bewusst in Kauf genommen. Es entsteht eine zerrissene Szenerie, die der aufgewühlten Seelenlage Hoffmanns entspricht.
Die Oper ist ein komplexes Zeugnis von Offenbachs Begeisterung für das literarisch-musikalische Multi-Talent E. Th. A. Hoffmann und unheimlichen, der „schwarzen“ Romantik nahestehenden Erzählungen. Hoffmann ist der Titelheld der Oper. Auf der Suche nach der erfüllten Liebe kreuzen fünf Frauen seinen Weg. Stella, seine aktuelle, aber unerreichbare Geliebte sowie Olympia, Antonia und Giulietta mit ihren missglückten Romanzen, die Hoffmann in tiefe Verzweiflung stürzen. Es bleibt ihm die Muse, die ihm zu neuem Lebensmut und Schaffensdrang verhilft.

Tobias Ribitzki ist für die beiden Eck-Akte zuständig, die die Rahmenhandlung bilden. Ribitzki richtet den Blick nahezu asketisch streng auf Hoffmann, seine Muse und den Bösewicht und Rivalen Lindorf. Sie sind die einzigen Figuren, die wie eine Art „schwarze Linie“ das folgende szenische Ragout durchziehen. Die Bühne ist noch leer, in tiefes Schwarz gehüllt, kein munteres Wirthaustreiben lenkt ab, der Chor der zechenden Studenten singt, akustisch nicht unproblematisch, hinter der Bühne. Eine einzige Kerze erleuchtet sparsam den Raum, bevor Hoffmann seine erste „Erzählung“ anstimmt.
So schwarz der erste Akt, so bunt geht es im Haus des Physikers Spalanzani zu, der seine mechanische Puppe Olympia so lebensecht konstruierte, dass sich Hoffmann, durch eine Brille seines Widersachers verblendet, Hals über Kopf in sie verliebt. Eine Illusion, die am Ende ebenso zerbricht wie die Puppe selbst. Das dreiköpfige englische Kollektiv „1927“, das schon Barrie Koskys Inszenierung der „Zauberflöte“ mit pfiffigen Ideen zum Erfolg verhalf, projiziert Olympia als bewegliche, überlebensgroße Idealfigur auf die Rückwand, gibt immer wieder Einblick in das innere Zahnradwerk der Maschine und integriert den Kopf der Sängerin Elena Sancho Pereg in das Bild.
Dem Puppenspieler Guru Neville Tranter wird der Antonia-Akt überlassen. Die Geschichte der begabten jungen Sängerin, die sich trotz ihrer Lungenkrankheit von dem Bösweicht Dr. Miracle alias Lindorf und dem Geist ihrer verstorbenen Mutter animieren lässt, ohne Rücksicht auf ihre Kräfte zu singen und, zur Verzweiflung Hoffmanns, tot umfällt. Tranter zeigt den Akt als Puppenspiel, bei dem nur Antonia und Hoffmann als leibhaftige Wesen auftreten. Alle anderen erscheinen als lebensgroße, von Sängern oder Statisten geführte Klappmaulpuppen. Skurril, teils unheimlich, teils grotesk komisch anmutend wirken die Puppen, die allerdings eine gewisse Schwerfälligkeit in den Ablauf der Handlung bringen.
Dunkel und bedrückend geht es anschließend im Venedig des Giulietta-Aktes zu, den die Choreografin Nanine Linning als eine Art Totentanz zelebriert. Die Bühne ist schwarz und leer, die blau gewandete Festgesellschaft bewegt sich wellenartig wie in einer magischen Unterwasserwelt. Gondeln sind nicht zu sehen. Es ist eine menschliche Unterwelt, in der sich Hoffmann von der Prostituierten Giulietta täuschen lässt. Dramaturgisch bedient sich Linning mit guten Gründen einer straffen Fassung und verzichtet auf später eingefügte Ohrwürmer wie Dapertuttos „Diamant“-Arie oder das effektvolle Septett.

So breit Tobias Ribitzki den ersten Akt mit diversen zusätzlichen Musiknummern ausführte, so kurz fasst er sich im Schlussakt, der eher den Namen Epilog verdient. Den verzweifelten Hoffmann hilft die treue Muse dauerhaft aus der Krise.
Insgesamt eine ambitionierte, fantasie- und abwechslungsreiche Inszenierung, die trotz ihrer collagenhaften Stückelung den Blick auf Hoffmann und seine Muse nicht verliert. Dabei wird die Muse zu einer Protagonistin aufgewertet, wozu wesentlich die Mezzosopranistin Maria Kataeva beiträgt, die die Rolle zum Augen- und Ohrenschmaus adelt. Mit ihrem persönlichen Charisma und ihrer samtweichen, in jeder Lage mühelos geführten Stimme bot sie eine der besten Leistungen des Abends. Nicht zuletzt dank ihrer ausgeprägten Legato-Kultur, mit der sie lange melodische Linien bruchlos entfalten kann.
Der rumänische Tenor Ovidiu Purcel hat in der Titelrolle wesentlich härtere Nüsse zu knacken. Allein die nahezu pausenlose Präsenz auf der Bühne erfordert Kondition, die szenischen Wechselbäder Konzentration und die stimmlichen Ansprüche in gleichem Maße kraftvolles Durchsetzungsvermögen und die schwerelose Eleganz französischer Gesangskulturen. Purcel kann mit seiner beeindruckenden Leistung überzeugen, auch wenn sein Tenor in der Höhe bisweilen recht eng klingt.

Angesichts der intensiven Ensemblepflege der Deutschen Oper am Rhein dürfte es kein Problem sein, auch die vielen weiteren anspruchsvollen Rollen der Oper aus eigenen Reihen zu besetzen. Deshalb gibt es auch keinerlei Ausfälle zu bemängeln. Elena Sancho Pereg bewältigt die Koloraturkünste der Olympia ebenso souverän wie Daria Augustan die lyrischen Anforderungen an die Rolle der zarten Antonia. Sarah Ferede als Giulietta komplettiert das Damenquartett auf adäquatem Niveau und Bogdan Taloş verleiht den vier Bösewichtern mit seinem voluminösen Bass markante Tiefenschwärze. Gewohnt sicher agiert der Chor der Deutschen Oper am Rhein.
Ein Kenner der französischen Oper und speziell Offenbachs ist der Dirigent Frédéric Chaslin, der mit viel Gespür für den Pulsschlag des Werks die vielen Fassetten der Partitur erklingen ließ und auf einen zügigen, aber nicht übereilten Ablauf des langen Abends achtete. Musikalisch lässt der Düsseldorfer „Hoffmann“ kaum etwas zu wünschen übrig.
Pedro Obiera, 18. März 2025
Hoffmanns Erzählungen
Jacques Offenbach
Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf
16. März 2025
Inszenierung: 1927, Nanine Linning, Tobias Ribitzki, Neville John Tranter
Musikalische Leitung: Frederic Chaslin
Düsseldorfer Symphoniker