Düsseldorf: „Otello“, Giuseppe Verdi (2. Besprechung)

Dramaturgin Schwarz-Schütte berichtete in ihrer Einführung zu Verdis vorletzter Oper Otello ausführlich über deren Entstehungsgeschichte und referierte deren Inhalt, um dann doch noch ein paar Sätze über die Inszenierung zu verlieren. Bei der Wiederaufnahme zeige die Deutsche Oper am Rhein eine – gemeinsam mit dem Regisseur Michael Thalheimer konzipierte – rassismuskritische Überarbeitung der Inszenierung, die am 8. Oktober 2016 in Düsseldorf Premiere feierte. Dem erstaunten Publikum erläuterte Frau Schwarz-Schütte, dass Blackfacing, also das Schwarzschminken z.B. eines weißen Sängers, als Ausdruck einer rassistischen Gesinnung missverstanden werden könne. Deshalb habe man sich entschlossen, in der Düsseldorfer Inszenierung nun Otellos Gesicht weiß zu schminken. Damit nicht genug. Bevor die Oper in Düsseldorf beginnt, wird das Publikum durch die Übertitelungsanlage darüber informiert, dass bei der deutschen Übersetzung des Librettos zwar das Wort „Mohr“ beibehalten, aber immer durchgestrichen werde, um es als diskriminierenden, rassistischen Ausdruck zu kennzeichnen. Und natürlich wird nun auch Otellos selbstquälerischer Zweifel bei seiner Begegnung mit Desdemona zu Beginn des zweiten Aktes „forse perché ho sul viso quest l’altro tenebroso“ in der deutschen Übersetzung mit „Finsternis im Gesicht“ wiedergegeben. Die Düsseldorfer Oper hofft, auf diese Weise der Political Correctness Genüge getan zu haben.
 
Kommen wir nun aber zu dem Erfreulichen des Abends. Musikalisch erreichte die Aufführung Weltklasseniveau dank eines Ensembles, das als Idealbesetzung bezeichnet werden darf. Die Palme gebührt dabei dem deutsch-brasilianischen Tenor Martin Muehle, der erst kürzlich bei einem Galaabend im Konzerthaus Dortmund mit der italienischen Starsopranistin Maria Agresta Triumphe gefeiert hat. Martin Muehle stellt ganz offenbar die Gesetze der Zeit auf den Kopf. Je älter er wird, desto strahlender, auch in den höchsten Lagen mit mühelosen Spitzentönen aufwartend, nie Ermüdungserscheinungen offenbarend präsentiert sich dieser wunderbare Tenor und scheint auf dem Zenit seines Könnens angekommen zu sein. Man kann sich stimmlich keine bessere Verkörperung der Titelfigur, dieses ehrgeizigen Emporkömmlings und Befehlshabers der venezianischen Flotte, vorstellen. Aber auch schauspielerisch bleibt Martin Muehle seiner Rolle nichts schuldig. In dem klaustrophobischen schwarzen Bühnenraum (Henrik Ahr) ist er von Anfang an ein Getriebener, der  wie ein gehetztes Tier an den schwarzen Wänden zurückprallt, die symbolisch für die  selbstauferlegten Zweifel, Eifersuchts-  und Minderwertigkeitsgefühle stehen, aber vor allem auch die Vorurteile einer erbarmungslosen Gesellschaft charakterisieren. Aus dieser Isolation, aus diesem  Gefängnis der eigenen Vorstellungen und Ängste gibt es kein Entrinnen.

Seinem Widersacher Jago, wie Otello in düsteres Schwarz gekleidet (Kostüme: Michaela Barth), verleiht der weißrussische Bariton Vladislav Sulimsky alle Züge des intriganten, heuchlerischen Schurken, der die Schwächen seiner Gegenspieler schonungslos um des eigenen Vorteils willen ausnutzt. Der bei den Salzburger Festspielen als Macbeth gefeierte Sänger überzeugte auf der ganzen Linie mit seinem voluminösen, runden und warmem Bariton, der nicht nur die schmeichlerisch-infamen Passagen der Partitur glänzend interpretiert, sondern auch sein nihilistisches Credo im zweiten Akt mit der notwendigen dämonischen Attacke geradezu herausschleudert und im Racheduett zu großer Form aufläuft. Eine bravouröse Leistung.

Anke Krabbe ist eine ganz wunderbare Desdemona. Mit ihrem leuchtenden lyrischen Sopran stellt  sie Otellos unglückliche Gattin nicht ausschließlich als eine engelsgleiche, dem Schicksal ergebene und sich aufopfernde Liebende dar, sondern als eine couragierte junge Frau, die vehement ihre Treue bekundet und sich Otellos haltlosen Verdächtigungen widersetzt. Ihr berühmtes Lied von der Weide, mit dem Desdemona ihren Tod vorausahnt, und das anschließende Gebet, in wunderschönstem Piano gesungen, wurden zu einem besonderen musikalischen Höhepunkt an diesem faszinierenden Opernabend in Düsseldorf.

Auch die Nebenrollen waren durchweg gut bis sehr gut besetzt. Die Düsseldorfer Symphoniker und der Chor der Deutschen Oper am Rhein (Gerhard Michalski) liefen unter der souveränen Leitung von Axel Kober zu großer Form auf. Die Sturm- und Gewitterstimmung zu Beginn des ersten Aktes nahm geradezu furchterregende Gestalt an. Dabei agiert der Chor  als eine dunkle, amorphe Masse, die sich drohend in den Vordergrund schiebt und die Rettung Otellos nur als Aufschub des sich unerbittlich abspielenden Verhängnisses erscheinen lässt. Wie Kober dann aber bei Desdemonas Lied von der Weide  alle notwendigen lyrischen Farben der Partitur erblühen lässt, zeigt, welch exzellenter Verdiinterpret der langjährige GMD der Düsseldorfer Oper mittlerweile ist.

Fazit: Ein vor allem musikalisch großartiger Opernabend, der vom begeisterten Publikum mit Ovationen bedacht wurde. Kein Verdifreund sollte eine der folgenden Vorstellungen verpassen.

Norbert Pabelick, 30. Juni 2025

Erste Besprechung


Otello
Giuseppe Verdi
Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf

Besuchte Aufführung am  28. Juni 2025
Premiere am 8. Oktober 2024

Inszenierung: Michael Thalheimer
Musikalische Leitung: Axel Kober
Düsseldorfer Symphoniker

Weitere Aufführungen: 02./10./13. Juli