Amsterdam: „Aus Licht“

Karlheinz Stockhausen

Premiere: 30. Mai bis 2. Juni 2019

Besuchte Vorstellungen: 1. und 2. Juni 2019

Solch ein Großprojekt zu Stockhausens „Licht“-Zyklus hat es bisher noch nicht gegeben. Mittlerweile sind zwar alle sieben Teile uraufgeführt worden, und der „Donnerstag“ ist auch in Basel, Paris und London nachgespielt worden. Einen umfassenden Einblick in den Zyklus gibt es aber erst mit dem dreitägigen Amsterdamer „Aus Licht“ –Spektakel.

Stockhausen-Muse und Lebensgefährtin Kathinka Pasveer hat als musikalische Leiterin im Zusammenarbeit dem Königlichen Konservatorium Den Haag eine Auswahl der Szenen getroffen, da viele der dortigen Musikstudenten beteiligt sind. Das hilft die Kosten des gigantischen Projektes zu senken und gleichzeitig wird der Geist und die Musik Stockhausens an die jüngere Generation weitergegeben. So haben neben Pasveer auch viele Licht-Interpreten der ersten Generation mit den Studenten gearbeitet, so auch die Stockhausen Söhne Markus und Simon.

Keine der sieben Opern wird in Amsterdam vollständig gespielt. Besonders präsent sind der „Donnerstag“, „Montag“ und „Mittwoch“ von denen jeweils zwei Drittel erklingen. Stiefmütterlich wird der „Freitag“ behandelt, von dem nur der „Gruß“ und „Abschied“ als elektronische Musik eingespielt werden. Verteilt werden die Ausschnitte auf drei Tage: Am ersten Tag gibt es unter dem Titel „Michael“ die Szenen aus dem autobiographisch geprägten „Donnerstag“, am zweiten Tag folgen als „Luzifer und Eva“ Ausschnitte aus „Samstag“ und „Montag“. Den Abschluss bildet mit „Zusammenarbeiten und Öffnung des Raumes“ eine Auswahl aus „Dienstag“, „Mittwoch“ und „Sonntag“.

Der Aufführungsort ist nicht das Opernhaus am Waterlooplein, sondern ein alter Gasometer auf dem Gelände der ehemaligen Westergasfabrik, die heute ein öffentlicher Park im Westen der Stadt ist. Als Regisseur fungiert zwar Pierre Audi, da Stockhausen aber genaue Angaben über die Bewegungsabläufe der Interpreten vorgeschrieben hat, kann von einer eigenständigen Interpretation nicht die Rede sein. Stattdessen ist Audi mit seinem Team für den optischen Rahmen zuständig, in dem Stockhausen Musiktheater stattfindet.

Ausstatter Urs Schönebaum hat das Innere des Gasometers zu einem fantastischen Lichtraum gestaltet. Da führen Planentenbahnen, die in allen Farben leuchten können, durch den Raum. Zwei große Bühnen, ein Podest und eine mehrstufige Stufenbühne, stehen sich gegenüber. Das hat zur Folge, dass die Umbaupausen immer wieder eine Stunde dauern, weil die Bestuhlung komplett gedreht wird. Die Videos von Chris Kondek und Robi Voigt zeigen meist die abgefilmten Darsteller und überblenden sie mit dem Raum.

Die Szenen, die in Amsterdam gespielt werden, sind von unterschiedlicher Qualität. Immer wieder wird man von der Musik und dem szenischen Geschehen mitgerissen, während sich in anderen Szenen große Langeweile und Ratlosigkeit ausbreiten.

Mit furioser Gewalt bricht in „Invasion –Explosion“ aus „Dienstag“ der Kampf der Michaels-Trompeter gegen die Luzifer-Posaunisten herein. Dazu erklingt die „Oktophonie“ mit ihren das Publikum umkreisenden Flug- und Explosionsgeräuschen. Sehr anrührend ist die anschließende „Pieta“ für Sopran und Flügelhorn. Wieso dann aber das irrwitzige Solo des Synthie-Fou diese Kriegsszene abschließen muss, erschließt sich nicht.

Im virtuos-surrealen „Kathinkas Gesang“ staunt man, wie Stockhausen eine Querflöte und sechs Schlagwerker zu fast schon synthetischen Klänge verschmelzen lässt. „Luzifers Tanz“ für 80-köpfiges Blasorchester überrascht mit seinen leuchtenden Farben und unruhigem Pulsieren. Da die Dynamik und Tempo aber durchgehend gleichbleibend sind, nutzt sich die Musik ab. Erst das Auftreten des Michael-Trompeters, der gegen Luzifer protestiert, schafft dramatische Spannung.

Die „Engel-Prozessionen“ aus „Sonntag“ begeistern und berühren mit ihren umherziehenden Chorgruppen, die immer wieder aus allen Ecken des Saales durcheinander Schnattern. Ein besonders Erlebnis ist das legendäre „Helikopter-Streichquartett“: Die vier Musikerinnen fahren von Kameras und einer Reporterin begleitet zum Startplatz und musizieren dann während des Fluges im Zusammenspiel mit den Rotorblättern. Die Energie der Maschinen scheint sich auf die Musikerinnen zu übertragen.

Gleichzeitig gibt es ermüdende Szenen. Da sind die „Orchester-Finalisten“ zu nennen, in denen 13 Musiker in 45 Minuten wenig mitreißende Soli spielen, die bestimmt nie bei einem Orchestervorspiel erklingen werden. Auch das „Welt-Parlament“, in dem über die Liebe debattiert wird, bleibt zu gleichförmig, als das es interessieren würde. Ratlos ist man auch bei den „Montag“-Szenen: Warum müssen die Eva-Kinder eine Zweitgeburt durchmachen? Warum müssen diese Sprösslinge vom Kinderfänger mit seinem Flötenspiel entführt werden, um zu einer höheren Bewusstseinsebene zu gelangen?

Über 400 Interpreten sind bei diesem gigantischen Projekt im Einsatz, so dass hier nur einige Künstler namentlich erwähnt werden können: Da ist die virtuose Flötistin Marta Goméz Alonso in „Kathinkas Gesang“ zu nennen, sowie Johanna Stephens-Janning, die „Evas Lied“ mit ihrem betörenden Spiel auf dem Bassethorn adelt. Chloe Abbott trompetet in „Luzifers Tanz“ einen furiosen Michael, der durch sein Instrument spricht, während Valentin Francois in „Pieta“ sein Spiel noch robust-rhythmischer anlegt. Im gleichen Stück singt Pia Davila eine strahlend selbstbewusste Eva.

Auch die Ensembles, die den Zyklus tragen, sind stark: Als Helikopter-Streichquartett begeistert das Pelargos-Quartett. Immer wieder wird von Stockhausens Fähigkeit gefangen für große Chöre zu schreiben. Das ist auch der hohen Qualität der Capella Amsterdam zu verdanken, welche die „Engels-Prozessionen“ singt und dem großen Kinderchor, der die „Mädchenprozession“ aus „Montag“ aufführt. Wie die Jugendlichen Stockhausens Musik mit größter Klarheit und Souveränität singt, nötigt dem Hörer höchsten Respekt ab.

Die erste Runde von „Aus Licht“ ist gut besucht, aber nicht ausverkauft. Abschreckend könnten auch die Kartenpreise gewirkt haben. Wer den ganzen Zyklus sehen will, muss 315 Euro zahlen, Ermäßigungen gibt es nicht. Das Publikum ist aber trotzdem euphorisch und feiert fast jede Szene mit stehenden Ovationen. Selbst am dritten Tag sieht man viele Besucher, die aus ihrer Begeisterung für Stockhausens Musik noch alle drei Einlassbändchen am Handgelenk tragen.

Bezeichnend für dieses Festival: Viele der Zuschauer sind aus Deutschland angereist, aber weit und breit sieht man hier keinen deutschen Intendanten, der sich ein eigenes Bild von Stockhausens Licht-Zyklus macht.

Trotz gelegentlicher Durchhänger ist der Besuch dieses Stockhausen-Festivals empfohlen: So viel „Licht“-Musik in szenischer Präsentation wird man in den nächsten Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten nicht erleben können. Zwei weitere Zyklen folgen vom 4. bis 6. und vom 8. bis 10. Juni.

Wem die Reise nach Amsterdam zu weit und die Eintrittspreise zu teuer sind, der sei auf die Stockhausen-Konzerte im bergischen Kürten, dem Wohnort des Komponisten, hingewiesen. Bei freiem Eintritt kann man dort vom 27. Juli bis 4. August in der Turnhalle der örtlichen Gesamtschule neun Konzerte bei freiem Eintritt erleben. Am 27. Juli gibt es Ausschnitte aus „Samstag“, am 30. Juli aus „Dienstag“.

Rudolf Hermes 4.6.2019

Bilder (c) Ruth und Martin Walz