Essen: „Le Grand Macabre“

Premiere am 14.Februar 2015

Besprechung von Christoph Zimmermann

War das Premierendatum beim Aalto-Musiktheater eine rein dispositionelle Angelegenheit oder sollte ein Bezug zum närrischen Treiben hergestellt werden, welches derzeit die deutschen Lande überschwemmt? Auf jeden Fall ist die Aberwitzigkeit von György Ligetis einziger Oper (nach den formal viel stärker experimentierenden „Aventures“) mit mehr Hintergründigkeit angelegt, als wie sie von dem populären Frohsinn jemals aufgebracht werden kann. Die Essener Erstaufführung stellte allerdings auch die Frage, ob die kabarettistische Schaumwirkung des Werkes heute noch angemessen, gar verschreckend zu wirken vermag.

Da steigt (wie bereits von Michel de Ghelderodes „La balade du Grand Macabre“ vorgegeben) der als Nekrotzar personifizierte Tod aus den Untiefen seiner Grabeswelt hervor und prophezeit den Untergang des irdischen Planeten. Ein solcher scheint tatsächlich zu nahen, denn auch ein auf die Erde zurasender Komet droht mit Zerstörung. Er wird vom Astrologen Astradamors beobachtet, angetrieben von seiner Frau Mescalina, die ihm in ihrer sexuellen Unmäßigkeit auch in punkto Erotik die Hölle heiß macht. Am Hofe des Fürsten Gogo geht es auch nicht gerade friedlich zu. Zwei Minister bedrängen den kindlichen, stets verfressenen Herrscher und drohen mit Demission, falls er ihren demagogischen Wünschen nicht willfährt. Überdies kündet der Chef der Gepopo (Geheime Politische Polizei) mit wilden Sopran-Koloraturen einen Volksaufstand an. In dieses Tohuwabohu platzt, an seiner Seite der ständig besoffene Piet vom Fass, Nekrotzar. Sein prognostiziertes Weltenende erweist sich jedoch als Fata Morgana, der Kometeneinschlag verkümmert zu einem bescheidenen Feuerchen, so zeigt es auch die Essener Inszenierung von MARIAME CLÉMENT. Zuletzt taucht noch ein Liebespaar auf, welches zu Beginn auf der Suche nach einem lauschigen Plätzchen für seine heftigen Unterleibsgefühle ist. Im Grab, welchem Nekrotzar entsteigt, wird es gefunden. Man vergnügt sich und verpasst alles, was parterre an Aufruhr geschieht.

Diese absurden Begebenheiten ergeben keine wirklich verstörende Apokalypse, sondern visualisieren die „Idee eines tragikomischen, übertrieben schrecklichen und doch nicht wirklich gefährlichen Jüngsten Gerichts“ (Siegrid Wiesemann), welche der Komponist möglicherweise auch als Parodie des „Dies irae“ seines Requiems betrachtete. Als Stofflieferant der Oper diente nicht von ungefähr der belgisch-flämische Autor Michel de Ghelderode, welcher zu den modernen Symbolisten gezählt wird. Der Handlungsort „im soundsovielten Jahrhundert“ nennt sich Breughelland, wobei man die lebensüppigen Bilder des Pieter Bruegel durchaus als Vorprägung der von Todesvisionen durchfressenen Gemälde des Hieronymus Bosch sehen kann.

Die Ausstattung von JULIA HANSEN nimmt auf dies alles zwar Bezug, wirkt in summa jedoch eher realistisch harmlos. Das Moment des Absurden (literarisches Vorbild hierfür ist vor allem Alfred Jarry mit seinem „Roi Ubu“) spiegelt sich stärker in den teilweise drastisch deformierten Kostümen. Einen dezent ironisierendem Kontrast bietet das Liebespaar (ELIZABETH CRAGG als Amanda und KARIN STROBOS als Amando ausgesprochen schön singend) mit seiner Rokokokleidung, wobei die silberne Rose eine pikante Anspielung abgibt. Überhaupt eignet der Inszenierung ein freundlicher Touch, sie offeriert fantasiereiche Bildlösungen, spart auch nicht mit drastischen Erotizismen. Aber Ghelderodes Ausspruch „Ich lächle mit eisernen Zähnen“ findet nur bedingt Niederschlag. Der etwas durchhängende zweite Teil der Aufführung weist darauf hin, dass das Werk per se um einige Grade zu lang ist.

Wirklich „eisern“ ist die messerscharfe Schlagtechnik, die Präzision und Perfektion, mit welcher DIMA SLOBODENIOUK die ESSENER PHILHARMONIKER zu einem kalt blitzenden, auch bruitistischem Klangbild animiert, welches dem Ohr des Hörers nur wenige harmonische Erholungen gönnt. Aber das ist ja auch die schlüssige Absicht Ligetis, welcher gleich zu Beginn der Oper ein grelles Konzert von Autohupen anstimmen lässt und auch später mit extravaganten Geräuschinstrumenten nicht geizt. Geräuschhaft ist seine immer wieder zitathafte Musik auch sonst, manchmal bis zur akustischen Schmerzgrenze. Das erfordert selbst nahezu 40 Jahre nach der Stockholmer Uraufführung immer noch viel Hörtoleranz. Etliche, zufällig aufgeschnappte Kommentare von Premierenbesuchern bestätigten das.

Wenn der Beifall am Schluss einhellig, ja überschäumend war, so galt das nicht zuletzt dem Totaleinsatz des Sängerensembles. HEIKO TRINSINGERs dämonisch aufgeplusterter, mit starker Baritonvitalität aufwartender Nekrotzar war 2013 bereits in Chemnitz zu erleben. Als Piet vom Fass kann RAINER MARIA RÖHR tenoral mal wieder so richtig „ausholen“. URSULA HESSE VON DEN STEINEN als Mescalina zieht ebenfalls mächtig vom Leder, ihren Gatten-Partner übertrumpfend (gleichwohl rollenprall: TIJL FAVEYTS). Die Koloraturvirtuosität von SUSANNE ELMARK (Gepopo und Botticelli-Venus) grenzt fast schon an Wahnsinn, die sehr gefestigte Stimme des jungen englischen Counters JAKE ARDITTI (Go-Go) würde man gerne in einer barocken Partie näher testen. Schließlich noch das skurril übersprudelnde Minister-Duo KAREL LUDVIG und JEFFREY DOWD, wobei der letztgenannte Heldentenor des Hauses neue gesangsdarstellerische Qualitäten an sich erkennen lässt. Mit kleinen Partien ergänzen HARALD WITTKOP (Ruffiack), HOLGER PENNO (Schobiack) und ANDREAS BARONNER (Schabernack) das Ensemble, welches sich durch den immensen Beifall beglückt zeigte, aber wohl auch einigermaßen erschöpft gewesen sein dürfte.

Bilder weiterhin: Aalto / Matthias Jung

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