Palazzo Ducale 5.8.22
Hier handelt es sich um die Uraufführung eines zwischen 2008 und 2012 geschriebenen Werks, das zur Feier der 150 Jahre von Italiens Staatswerdung gedacht war, aber seinen Weg auf die Bühne nicht gefunden hatte. Der Text der bei Breitkopf&Härtel verlegten Oper stammt von Elio (Künstlername des in Italien sehr populären Stefano Belisari) und Piero Bodrato. Die drei Akte von je ungefähr 30 Minuten Dauer zeigen uns das Italien der Wirtschaftswunder-Sechzigerjahre, der Achtzigerjahre mit ihren Protesten und bleiernen Zeiten und zu Beginn des neuen Jahrtausends im kapitalistischen Konsumtaumel. Der zwischen Nostalgie und Ironie beheimatete Text bringt die Stimmung der jeweiligen Jahre sehr gut auf den Punkt. Die Arbeit des sich ausdrücklich für „nicht im Elfenbeinturm geschriebene Werke“ erklärende Komponisten hinterließ allerdings nicht viel Eindruck. Zitate von klassischen Autoren bis zum Jazz wechseln einander ab, ohne aber einen erkennbaren Stil zu entwickeln bzw. im Ohr zu verbleiben. Dem durchaus Höhepunkte gewährenden Text folgt nie ein dramatischer Klimax. Dies ist zumindest mein Eindruck beim erst- und einmaligen Hören.
Das Bühnenbild von Fabio Carpene deutete mit Hilfe von Neonbeleuchtung die Umrisse eines in die Jahre gekommenen neunstöckigen Hauses an, in dessen Hof sich im 1. Akt die Kartons mit den ersten Errungenschaften des Wohlstands wie Eiskasten, Waschmaschine usw. stapelten. Der 2. Akt spielt zwischen Fernsehantennen auf dem Dach besagten Gebäudes, der dritte in einer eleganten Dachwohnung, die allerdings nur angedeutet wird. Die Kostüme von Giada Masi folgten den Entwicklungen der Mode in den gezeigten Jahren, wobei vor allem die Kleidung von Scellerata (Alt) der Phantasie Möglichkeiten gab. Dieser Name steht eigentlich für „ruchlos, frevlerisch“, ist aber durchaus ironisch gemeint, denn die Figur stellt zwar eine oberflächliche Person dar, die aber nicht ohne Sympathie zu sehen ist, auch wenn sie das „Haben“ dem „Sein“ (Copyright: Bruno Bettelheim) vorzieht. Ihr gegenüber steht Opera (Sopran), die sich durchaus selbstironisch als „melodramatisch“ bezeichnet und nach Versuchen, im Haifischbecken des Kapitalismus ihr Glück zu machen, endlich zu ihrer eigentlichen Liebe Mario (Bariton) zurückkehrt.
Dieser wollte immer „Jemand“ sein, hatte sich Scelleratas Avancen ergeben, explodiert am Ende des Werks, als er glaubt, endlich ein Gerät erfunden zu haben, das alle, wirklich alle, mit Strom versorgt, und steigt zu den Sternen auf, welches Finale recht hübsch an die Bindung Martina Francas an Barockopern erinnert. Vervollständigt wird das Personal durch Soldini (soldi=Geld; Tenor), einen skrupellosen Immobilienmakler, den Hausmeister Balconi (Bass) und einen Klavier spielenden, namenlosen Bewohner des Hauses. Regisseur Tommaso Franchin führte einen Knaben und ein Mädchen ein, die vermutlich Mario und Opera als Kinder versinnbildlichen sollten. Ansonsten zeigte die Inszenierung brav, was im Textbuch vorgeschrieben war und sich damit dem Niveau der Komposition anpasste.
Mario, den Mittelpunkt der Handlung, sang der Armenier Gurgen Baveyan mit solider Stimme (dabei allerdings zur Verfärbung des Vokals „a“ hin zu „o“ tendierend) und engagiertem Spiel. Scellerata hatte in Candida Guida eine spielfreudige Interpretin gefunden, die allerdings mehr Mezzo war als der verlangte Alt. Die vokal schwierigste Rolle hatte Cristin Arsenova inne (trotz ihres Namens aus Verona gebürtig); sie entledigte sich ihrer hohen, anspruchsvollen Tessitura mit Anstand. Raffaele Abete gab den im Textbuch als „sympathisch und selbstsicher“ bezeichneten Soldini mit seinem effektvollen Charaktertenor von Anfang an schmierig, was nicht ohne Wirkung blieb. Yuri Guerra aus Brasilien verkörperte glaubwürdig den opportunistischen Hausmeister Balconi. Am Klavier war Claudio Bonfiglio als der spielende Hausbewohner tätig. Alessandro Cardario hielt das Orchester des Teatro Petruzzelli di Bari gut zusammen – mehr wage ich nach diesem erstmaligen Kennenlernen nicht zu sagen.
Höflicher Applaus eines Publikums, das die zur Verfügung stehenden Plätze zu etwa zwei Drittel füllte.