Erl: „I puritani (konzertant)“, Vincenzo Bellini

© Kreativ Kartell

Die neue künstlerische Leitung des Tiroler Festivals durch Jonas Kaufmann setzt auf ein abwechslungsreiches Programm, in welchem auch Symphoniekonzerte nicht fehlen, während die Opern einerseits einem breiten Publikum leicht zugängliche Titel (wie etwa heuer „La Bohème“) und auf der anderen Seite Juwelen des Belcanto präsentieren sollen. Da Operninszenierungen bekanntlich viel Geld verschlingen, hat man sich für eine konzertante Aufführung mancher Werke entschieden. (Das kann den durch das Regietheater gequälten Opernbesuchern nur recht sein).

So auch im Fall von Vincenzo Bellinis letzter Komposition, uraufgeführt 1835 in Paris. Diese Oper verlangt einen erstklassigen Bariton und Bass, eine herausragende Primadonna und einen Tenor, der in die Fußstapfen des Premierensängers Giovanni Battista Rubini steigen soll. Dieser war für die Opern der beginnenden Romantik unabdingbar, sang er doch nicht nur ausdrucksvoll, sondern auch mit einem Höhenregister, das auch ein hohes d, e und sogar f bewältigte. Allerdings sang er diese Extremhöhe mit Kopfstimme, dem sogenannten falsettone, das nicht mit dem Falsett zu verwechseln ist. Mit Verdi kam diese Art des Gesangsstils ab, und der Verismo versetzte ihm insofern den Todesstoß, als das Publikum diese Töne entweder mit Bruststimme gesungen oder gar nicht hören wollte – diese Situation dauert bis heute an. Der langen Rede kurzer Sinn: Es sind nur ganz wenige Spezialisten geblieben, die sich an die Rolle des Arturo wagen, und Operndirektoren zögern, die „Puritani“ ins Repertoire aufzunehmen.

In Erl hatte man ein gutes Ensemble zusammengestellt, doch erkrankten sowohl René Barbera (Arturo), als auch die Elvira Zuzana Marková (die ihrerseits bereits eine angekündigte Kollegin ersetzten sollte). Kaufmanns internationales Netzwerk funktionierte offenbar: Für den Arturo kam der Südafrikaner Levy Sekgapane und für die Dezembervorstellung Jessica Pratt, die einen Triumph feierte, allerdings für die Jännervorstellung nicht einspringen konnte. Aber voilà: Aus dem Zylinder wurde niemand Geringerer als Lisette Oropesa gezaubert!

© Kreativ Kartell

Doch nun zur Vorstellung: Oropesa sang mit der von ihr gewohnten Brillanz und legte starken Ausdruck in ihre Phrasen, der die relative Kühle ihres Timbres sofort vergessen ließ. Dazu interpretierte sie mit einem Mienenspiel, das die Figur des zuerst glücklichen, dann wahnsinnigen und schließlich genesenen Mädchens in allen Facetten wiedergab. Sekgapane befand sich gesanglich nicht auf diesem Niveau, gestaltete aber sehr schön den Todesmut dieses Anhängers der Stuart, der unter die Leute Cromwells zurückkehrt, um seine geliebte Elvira wiederzusehen. Die erwähnten sovracuti sang er mit Bruststimme, was erwartungsgemäß kein Genuss war, aber das hohe f mit voix mixte, und das klang recht anständig. Den unglücklich liebenden Riccardo gab Mattia Olivieri mit gesundem, kraftvollem Bariton, wobei er der Rolle auch die in seiner Auftrittsarie erwünschten leisen, melancholischen Töne verlieh. Diese Interpretation passte ausgezeichnet zu der umfangreichen, weichen Stimme des Georgiers Giorgi Manoshvili als Sir Giorgio, Elviras geliebter Onkel. Dabei handelt es sich um eine Basspartie, während mir der junge Mann ein Bassbariton scheint. Dennoch sang er die Rolle vorzüglich und musste mit Olivieri das große Duett „Suoni la tromba“ wegen des riesigen Publikumsjubels wiederholen. Der besonders junge Pole Pawel Horodyski ließ als Gualtiero Valton mit einem wunderbar timbrierten Bass aufhorchen – schade, dass die Rolle so kurz ist. Vielversprechend klang auch die Kroatin Emilia Rukavina als Enrichetta – auch von ihr hätte man gern mehr gehört. Der Brite Peter Kirk als Sir Bruno steuerte einen nicht unbedingt angenehmen Tenor bei.

Lorenzo Passerini am Pult des Orchesters der Tiroler Festspiele Erl machte mich etwas ratlos, denn er dirigierte mit unglaublichen Verrenkungen, die an Gestalten von E.T.A. Hoffmann denken ließen. Allerdings folgte er den Sängern aufmerksam und ließ das hochmotiviert klingende Orchester nur manchmal etwas zu laut spielen. Auffallend war das hervorragende Blech, was vielleicht damit zu tun hat, dass Passerini zunächst Posaune studiert hat. Auf hohem Niveau sang der von der Weißrussin Olga Yanum einstudierte (und seit 2018 geleitete) Chor der Tiroler Festspiele Erl.

Das Publikum im 732 Plätze fassenden, ausverkauften Festspielhaus mit seiner phantastischen Akustik war völlig aus dem Häuschen und feierte die Ausführenden lange.   

Eva Pleus, 14. Januar 2025


I puritani
Vincenzo Bellini
(Konzertante Aufführung)

Festspielhaus Erl

4. Januar 2025

Musikalische Leitung: Lorenzo Passerini
Orchester Tiroler Festspiele Erl